Rat zur Entwicklung einer sinnvollen Tantra-Praxis

Sadhana-Praxis in unserer eigenen Sprache  

Meinen Sie, es wäre gut, einen großen Teil unserer Sadhana-Praxis nicht auf Tibetisch, sondern in der Sprache zu machen, die für uns leichter zu verstehen ist, wie Englisch oder Norwegisch?

Wenn wir einmal schauen, wie die Tibeter ihre Sadhanas praktizieren, so sehen wir, dass sie es nicht auf Sanskrit tun. Sie rezitieren sie auf Tibetisch. Beruhend darauf könnte man sagen, dass es große Nutzen und Vorteile hat, unsere Praxis in unserer eigenen Sprache zu machen. Sie in unserer Sprache zu machen, würde uns erlauben viel klarer zu verstehen, was wir tatsächlich rezitieren. Ein Sadhana ist wie das Script einer Oper, denn es geht darum, die Geisteszustände hervorzubringen und Visualisierungen zu machen, wie sie mit Worten beschrieben werden. Das ist schon schwer genug. Müssen wir zusätzlich noch überlegen, was die Worte selbst bedeuten, ist die Herausforderung noch größer.

Die Schwierigkeit ist natürlich, eine korrekte und gute Übersetzung zu haben. Sie muss nicht nur korrekt sondern auch schön sein und sich so anhören, dass sie auf melodische Weise gesprochen werden kann. Auch muss sie so geschrieben werden, dass man sie gut singen kann, was ziemlich herausfordernd und nicht gerade einfach ist. Wenn wir einen Sadhana in unserer eigenen Sprache haben, der wegen der Sprache sehr schwer zu rezitieren und auch nicht klar übersetzt worden ist, stellt dies ebenfalls ein Hindernis dar. 

Sie auf Tibetisch zu belassen, ist laut dem früheren Kalu Rinpoche, dem Vorgänger des derzeitigen, von Vorteil, weil alle die Praxis in allen Zentren der Welt gemeinsam in der gleichen Sprache rezitieren könnten. Das ist äußerst hilfreich, um ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Daher gibt es Vor- und Nachteile auf beiden Seiten.

Was mich betrifft, muss ich sagen, dass ich Sadhanas die meisten Jahre meiner Praxis auf Tibetisch gemacht habe, aber das liegt daran, dass ich Tibetisch beherrsche. Wenn ich die Sprache lese, weiß ich, was es bedeutet. Ich habe keine Erfahrung damit, wie es ist, wenn man nicht versteht, was man rezitiert, außer ganz am Anfang, als ich die Sprache wirklich nicht kannte und noch keine Erklärungen des Textes bekommen hatte. Ich konnte den Text lesen und die Wörter im Wörterbuch nachschlagen, aber wusste nicht wirklich, was ich da rezitierte. Aber an dem Punkt war es für mich ziemlich hilfreich. 

Der Grund war, dass ich aufgrund meines intellektuellen Hintergrunds an der Harvard Universität ziemlich arrogant war. Ich hatte die Einstellung, nichts tun zu wollen, ohne zu verstehen, was ich da tat. Ich erkannte, dass diese Einstellung ein Problem war, zu meinen, ich wäre so wichtig und andere müssten es mir unbedingt erklären. Wegen dieser Art der Geisteshaltung war es ziemlich gut, eine Art Demut zu entwickeln und die Sadhanas einfach zu rezitieren, obwohl ich nicht wirklich verstand, was ich da tat. Als ich bereit war, haben meine Lehrer mir dann erklärt, was alles bedeutete. 

Das war noch bevor es irgendwelche Übersetzungen gab. Ich habe diese Praktiken 1970 begonnen, was ziemlich lang her ist. Mein Tibetisch hat sich aber dann später verbessert, ich bekam die Belehrungen und habe die Sadhanas auf Tibetisch gemacht. Dann kam ich jedoch an einen gewissen Punkt, an dem meine Praxis eine Ebene erreichte, auf der es nicht weiterging. Sie wurde nur zu einem „bla, bla, bla“ und ich sah nicht viel Sinn darin. Ich ging dann dazu über, sie auf Englisch zu machen, allerdings mit meine eigenen Übersetzungen und ich wusste, was sie bedeuten sollten. Nun mache ich sie auf Englisch und ich finde, dass sie mehr Sinn für mich ergeben. Ich habe also versucht, sie auf drei verschiedene Weisen zu machen – auf Tibetisch ohne zu wissen, was die Worte bedeuten; auf Tibetisch mit Tibetisch-Kenntnissen; und auf Englisch.

Wenn wir diese Praktiken zusammen in einer Gemeinschaft machen, mögen wir sie auf eine bestimmte Weise machen, besonders, wenn es sich um eine internationale Gemeinschaft handelt. Üben wir sie nur für uns, machen wir es dann vielleicht auf andere Weise. Ich denke, wir sollten selbst urteilen, was am hilfreichsten ist. Der Punkt ist natürlich, den Sadhana-Text als ein Script zu nutzen, und tatsächlich die Geisteszustände so zu erzeugen und die Visualisierungen so zu machen, wie sie in den Worten beschrieben werden. 

Wie ich bereits erwähnte, geht es um eine Selbst-Erzeugung, eine Selbst-Transformation und nicht um eine mündliche Transformation. So ist es. Was allerdings das Singen betrifft, funktioniert das Tibetische heutzutage noch immer am besten.

Sich zu früh oder voreilig mit Tantra befassen 

Ich habe zwei Punkte. Was zunächst meine vorangegangene Frage darüber betrifft, ob man auf Tibetisch oder Englisch praktizieren sollte, wurde mir einmal gesagt, dass man zwar viel übersetzen könne, aber manche Sadhanas, die als Termas offenbart wurden, nicht übersetzt werden sollten. Dazu hätte ich gern Ihre Meinung. Mein zweiter Punkt ist, dass Westler besonders vom Tantra und Vajrayana fasziniert zu sein scheinen, was auf das Interesse an Magie und diese Dinge zurückzuführen ist. Auch der Wunsch, in einem Leben Erleuchtung zu erlangen, scheint etwas sehr Westliches zu sein. Habe ich ihre Darstellung heute Morgen richtig verstanden, dass wir Sutrayana zu schnell überspringen und den Sutras mehr Aufmerksamkeit widmen sollten, als uns gleich mit Ngöndro, Dzogchen oder was auch immer zu befassen?

Was deinen zweiten Punkt betrifft, hast du mich richtig verstanden. In meiner Erfahrung habe ich gesehen, dass viele Menschen sich zu früh mit Tantra befassen, was keineswegs hilfreich ist. Sie neigen dazu, nicht zu verstehen, was sie da tun, und ihre Praxis wird dann fast zu etwas, bei dem man spielt, ein Yogi zu sein, der sich jedoch nur mit all den rituellen Aspekten beschäftigt, aber nichts davon wirklich im Leben anwendet. Die Praxis wird dann etwas völlig vom Leben abgetrenntes und führt daher zu keiner Verbesserung, was das Überwinden von Wut, Anhaftung, Selbstbezogenheit und all diese Dinge betrifft. Daher habe ich ganz klar das Gefühl, dass man die richtigen Voraussetzungen und Qualifikationen haben muss.

Hinsichtlich dieses Problems gibt es verschiedene Punkte. Zunächst war die Praxis des Vajrayana oder jede buddhistische Praxis im traditionellen Tibet der monastischen Gemeinschaft vorbehalten. Die Menschen kamen mit sieben oder acht Jahren ins Kloster und bekamen eine komplette Sutra-Ausbildung, bevor sie sich mit fortgeschritteneren Dingen befassen konnten. Sie hatten also diese Voraussetzungen. Die Laiengemeinschaft war größtenteils ungebildet und es wurden lediglich Mantras und einfache Gebete rezitiert, Umrundungen gemacht usw. Es war jedoch selten, dass Laien sich mit komplexeren, fortgeschritteneren Praktiken befassten. 

Das ist etwas, was im Buddhismus ganz allgemein so ist. Nur in Burma begannen sie im frühen zwanzigsten Jahrhundert die allgemeine Laienbevölkerung in Meditation zu unterrichten. Das ist eine Sache. Vajrayana-Meditation den Laien zu unterrichten, von denen die meisten Westler sind, ist eine ganz andere Sache. Wir sind nicht diese grundlegende Sutra-Ausbildung durchgegangen und haben nicht seit unserem achten Lebensjahr daran gearbeitet. Werden uns dann auf einmal diese tantrischen Praktiken ganz ohne irgendwelchen Hintergrund vermittelt, ist das übereilt.

Zweitens, und es ist nicht gerade schön, darüber zu sprechen, aber die Umstände haben sich für die Situation des tibetischen Buddhismus durch die Flüchtlinge sehr geändert. Vor 1959 gab es für die Mönchsgemeinschaft eine große Unterstützung seitens der Gesellschaft. Es gab nie wirklich Sorgen in Bezug auf die Ernährung und Unterbringung aller Mönche und Nonnen. Die Möglichkeiten und Mittel waren gegeben; die Gesellschaft funktionierte. Was nun die Tibeter betrifft, die sich in Indien und Nepal im Exil befinden, so ist es nicht leicht, zum Beispiel viertausend Mönche jeden Tag zu ernähren, sie unterzubringen und so weiter. Das ist gar nicht leicht. Daher stehen diese Lamas, Khenpos, Geshes und Rinpoches, besonders die Rinpoches, die herumreisen, unter enormen Druck seitens der Klöster, Geld zu bringen, um all die Mönche ernähren und unterbringen zu können. Dieser Druck ist da.

Wenn sie nun kommen und über ganz grundsätzliche Themen reden, wie viele Leute werden dann kommen, um etwas über die Zuflucht zu hören, ganz zu schweigen von den höllischen Bereichen? Es werden nur wenige kommen. Gibt jemand eine Einweihung, kommt jeder, weil wir denken, es ist etwas Besonderes, etwas Exotisches. Das ist ein Druck, unter dem besonders die Rinpoches stehen, die verantwortlich für ihre Klöster sind.

Ein anderer Faktor, um den es geht, ist, dass die tibetische Bevölkerung die Wiedergeburt als Teil ihres Kulturpaketes haben, mit dem sie geboren wurden. Es wird akzeptiert, dass es so etwas wie die Wiedergeburt gibt. Wenn Lamas Initiationen für Laien-Tibeter geben, wird nur ein kleiner Prozentsatz jener, die teilnehmen, tatsächlich praktizieren. Die eigentliche Idee ist, Samen für zukünftige Leben zu säen. Viele Laien-Tibeter kommen ganz ohne jede Absicht, die Praxis auszuführen. Vielleicht werden sie einen Mantra rezitieren, aber sie haben nicht die Absicht, mehr als das zu tun. Es werden also Samen für zukünftige Leben gesät und so denken sie beispielsweise: „Im nächsten Leben werde ich es verstehen.“ Wir hören das sogar bei den Mönchen und Nonnen: „Jetzt säe ich erst einmal die Samen.“ 

Daher denkt besonders die ältere Generation der tibetischen Lamas, dass Westler auch diese gleiche Einstellung haben und kommen, um Samen für zukünftige Leben zu säen. Sie halten das für wunderbar und großartig: die Leute haben eine perfekte Motivation – zukünftige Leben zu verbessern – und alles ist in Ordnung, außer, dass Westler nicht an zukünftige Leben und das Säen von Samen glauben, sondern jetzt etwas machen wollen. So zum Beispiel die Leute, welche die Kalachakra-Initiation empfangen: keine Laien-Tibeter wären jemals so vermessen zu denken, sie könnten Kalachakra praktizieren. Es ist die komplizierteste tantrische Praxis, und doch gibt es mittlerweile dieses riesige Kalachakra-Netzwerk im Westen und eine recht hingegebene Gruppe Laien, die Kalachakra praktizieren wollen. Normalerweise ist so eine Praxis beschränkt auf wenige besondere Klöster, weil sie so kompliziert ist. Auf diese Weise befassen wir uns oft mit fortgeschrittenen Praxis-Formen auf übereilte Weise.

Ein anderes Problem ist auch, dass große Lamas in manche westliche Städte kommen und nur kurz bleiben. Sie kommen, erteilen die Einweihung und gehen wieder, ohne irgendwelche Anweisungen zu geben, einfach nichts. Mit alledem gehen die Leute dann auf merkwürdige spirituelle Trips. Sie erwarten, dass all ihre Problem verschwinden, nachdem sie 100.000 dieses und 100.000 jenes machen. 

Manche höchst fortgeschrittene Praxis wird vielleicht als einfacher und schneller Pfad angepriesen und es heißt, man müsse sich nur in den natürlichen Zustand des Geistes hinein entspannen und so weiter. Seine Heiligkeit bezeichnet das als buddhistische Propaganda. Doch es handelt sich dabei um schwierige Dinge. Natürlich können wir ganz schnell sehr weit kommen, doch wir müssen wirklich vorbereitet sein und große Bemühungen hineinstecken. Wie steht es damit, gute Konzentration zu haben, ganz zu schweigen von Disziplin und all diesen anderen Dingen? Oh, und nebenbei gibt es auch noch das Ngöndro, was auch nicht gerade einfach ist.

Mir geht es um das abhängige Entstehen. Die Umstände, in denen sich so viele von uns momentan befinden, wenn wir uns voreilig mit Tantra befassen, sind durch viele Ursachen und Bedingungen zustande gekommen. Man kann nicht sagen, es liege an diesem oder jenem, und man kann auch nicht die ganze Schuld auf eine Sache schieben. Das ist nun einmal die Situation, in der wir uns befinden. Aus diesem Grund ist das, was ich versuche zu erklären und worüber die Menschen nachdenken sollten, die Situation zu akzeptieren und herauszufinden, wie man das Beste daraus machen kann. Unsere Situation ist, dass wir aus einer Kultur stammen, in der man nicht an zukünftige Leben glaubt und in der wir so viel zu tun haben, dass wir uns nicht einfach mal so drei Jahre freinehmen können, um ein intensives Meditations-Retreat zu machen. Auch wenn wir in der Lage sind, ein langes Retreat zu machen und vielleicht eine tiefgreifende Veränderung erfahren, passen wir, wenn wir wieder zurückkommen, nicht mehr in unsere alte Situation, mit unserem Job, der Familie und alledem. Wie können wir also das Beste aus der Situation machen? 

Realistisches Entwickeln der Tantra-Praxis 

Was ist die Realität dessen, was wir tun und realistisch erwarten können, um nicht enttäuscht zu werden? Darauf wollte ich ein wenig eingehen. Wir haben diese tantrischen Praktiken; sie sind ausgesprochen hilfreich, um Disziplin und Demut zu entwickeln, wenn wir sie auf Tibetisch machen. Mit der Zeit entwickeln wir die einzelnen Teile immer weiter, bis sie einen Sinn ergeben und die Struktur des Sadhana ausfüllen. Wenn es im Sadhana heißt: „Ich nehme Zuflucht, nun entwickle ich Bodhichitta und nun die vier Unermesslichen“, wird nur das Aufsagen dieser Worte nicht wirklich unseren Geist verändern. Wir müssen sie vorher durchgegangen sein, damit wir, wenn wir sie rezitieren, tatsächlich diese Geisteszustände erzeugen können und in der Lage sind, sie schnell hervorzubringen. 

Das ist nicht etwas, was wir urplötzlich und mit einem Mal tun können. Es erfordert viel Praxis. Sind wir jedoch wirklich vertraut damit, müssen wir nicht all die Schritte durchgehen, wie beim Bodhichitta, dass alle ebenbürtig sind, alle schon einmal unsere Mutter waren und gütig sind, wir Dankbarkeit für die mütterliche Güte haben und so weiter. Wir können dann fast unmittelbar eine Bodhichitta-Ausrichtung erzeugen.

Serkong Rinpoche war ein wunderbarer Lehrer, besonders wegen der Weise, wie er Lam-rim, den Stufenpfad, unterrichtete. All die Sutra-Lehren können in vielen verschiedenen Arten der Struktur dargestellt werden. Es gibt die drei Ebenen des Lam-rim. Es gibt die vier Gedanken, die den Geist dem Dharma zuwenden. Es gibt die Weise, wie es im „Juwelenschmuck der Befreiung“ angeordnet wird. Es gibt das Sich-Lösen von den vier Arten des Klammerns, was wir im Sakya haben. Es gibt die vier Dharmas von Gampopa. Es gibt auch viele verschieden Weisen, all diese Stile miteinander zu verknüpfen und zusammenzufügen. 

Einmal unterrichtete Serkong Rinpoche den gesamten Lam-rim über ein langes Wochenende und präsentierte noch dazu eine Chenrezig-Praxis. Am Ende sagte er dann: „Nun lasst uns meditieren. Geht den gesamten Lam-rim durch und macht dann die Chenrezig-Praxis. Ihr habt zwei Minuten Zeit dafür.“ Die Leute fragten, wie sie all das in zwei Minuten durchgehen sollten, worauf Serkong Rinpoche sagte: „Gut, dann eben drei Minuten.“

Dann erklärte er, dass wir, wenn wir wirklich gut geübt sind, in der Lage sein sollten, den gesamten Lam-rim in der Zeit durchzugehen und einfach so hervorzubringen, die es braucht, einen Fuß in den Steigbügel zu setzen und den anderen Fuß über das Pferd zu schwingen. Das ist es, was wir anstreben. 

Das Visualisieren verbessern 

In ähnlicher Weise sollten wir, wenn wir einen Sadhana ausführen, jeden Punkt visualisieren können, den wir in dem Moment aussprechen. Natürlich fangen wir langsam an und bauen jeden Punkt einzeln auf. Sind wir erst einmal mit der ganzen Struktur des Sadhana vertraut, können wir dem Rat von Tsongkhapa in Bezug darauf folgen, wie man eine Visualisierung macht. Laut ihm gibt es zwei Wege, eine komplexe Visualisierung auszuführen. Eine besteht darin, sich auf eine kleine Sache, wie das dritte Auge, zu konzentrieren und dann ein Detail nach dem anderen hinzuzufügen. Die eigentliche Weise, die am gebräuchlichsten und für die meisten Menschen am hilfreichsten ist, besteht jedoch darin, zunächst zu versuchen das gesamte Mandala, die gesamte Form der Gottheit, also alles ganz grob und ohne Details zu visualisieren, mit dem Gefühl, dass das, was wir visualisieren sollen, präsent ist. Innerhalb dieser größeren Struktur fügen wir dann langsam immer mehr Details hinzu. Um so fixierter und konzentrierter wir sind, desto mehr Einzelheiten werden in den Fokus rücken. 

Daher sollten wir, wenn wir eine Sadhana-Praxis ausführen, zunächst vertraut mit der Struktur des Ganzen werden und können dann, beruhend auf unserer weiteren Sutra-Meditation, jedem der Teile wie in der Visualisierung mehr Details hinzufügen. Ich glaube, das ist die einzige Weise, der wir momentan folgen können, wenn wir uns bereits für das Ausführen einer täglichen Praxis verpflichtet haben. Die Frage ist ausgesprochen wichtig und geht uns alle an. 

Es gibt einen weiteren Punkt von Serkong Rinpoche, den ich erwähnen wollte. Er war ziemlich bodenständig und mitfühlend, und sagte Folgendes: Wenn wir merken, dass wir eine Initiation empfangen haben und übereilt ein Praxis-Verpflichtung eingegangen sind, die wir nicht halten können, sollten wir sie im Geist respektvoll ganz oben ins Regal legen und zugeben, dass wir momentan nicht wirklich in der Lage sind, sie auszuführen, aber darauf zurückkommen wollen, wenn wir bereit dafür sind. Wenn wir das tun, ist es etwas ganz anderes, als zu sagen: „ich war so ein Idiot, mit darauf einzulassen; es wir wirklich dumm“, und es einfach zu vergessen. Das ist meiner Meinung nach ein recht hilfreicher Rat, falls wir uns in dieser Situation wiederfinden.

Viele verschiedene Praktiken haben 

Ich habe ein Ngöndro ausgeführt und es vor etwa zehn Jahren beendet. Nun mache ich Guru-Yoga, Mantra und Dzogchen, und möchte keine neuen Sadhanas lernen, weil ich denke, dass zu viel Energie und Zeit dafür notwendig ist. Was denken Sie darüber?

Es gibt ein Sprichwort – ich habe vergessen, welcher tibetische Meister es vor langer Zeit gesagt hat: Die indischen Meister praktizierten nur eine Gottheit und erlangten oder verwirklichten dadurch alle, während die Tibeter versuchen, sie alle zu praktizieren und keine verwirklichen. Wir müssen wirklich sehen, was unsere eigene Kapazität ist. Für die meisten von uns ist eine Tantra-Praxis mehr als genug. Hier stütze ich mich wieder auf den Rat Seiner Heiligkeit des Dalai Lama: Wenn wir bereit sind, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche unserer intensiven Praxis zu widmen, sollten wir nur eine Gottheit und eine Praxis auswählen und uns auf sie fokussieren. In jeder Praxis mit einer Gottheit liegt die Betonung oder der Schwerpunkt auf einem bestimmten Teil der Praxis, als in einer anderen. In einer gibt es einen Aspekt, der mehr hervorgehoben wird und mehr Schritte hat und in einer zweiten einen anderen Aspekt. Haben wir die Kapazität dafür, können wir mehr als eine dieser Gottheiten-Praktiken ausführen, um ein paar mehr Einzelheiten und Vertrautheit mit diesem oder jenem Aspekt des Tantra zu bekommen. 

Diese Aspekte der Tantra-Praxis, die betont werden, mögen das Erzeugen verschiedener Emanationen sein, die Arbeit an den Chakren und Kanälen oder der Zugang zum Geist des klaren Lichts und solche Dinge. Wir praktizieren auf diese Weise, um eine feste Grundlage zu bekommen; doch wenn es uns wirklich ernst ist, sollten wir nur eine Gottheiten-Praxis haben. Es ist keine Sache des Wettstreites, welche Tantra-Praxis nun die beste ist. Das gibt es sogar in den Mahayana-Sutras. Überall heißt es, dieses Sutra sei das beste und wunderbarste, und wenn wir es rezitieren, werden all unsere Probleme verschwinden, wir werden 72.000 Äonen negativen Potenzials reinigen und so weiter. Viele der Mahayana-Sutras preisen sich selbst auf diese Weise. Man muss es jedoch in einem gewissen Kontext verstehen. All die Mahayana-Lehren sind dazu da, uns zur Erleuchtung zu führen. Sie werden uns alle gleichermaßen zur Erleuchtung führen; darüber sollten wir uns keine Sorgen machen. 

Lasst mich am Rande etwas über diese Mahayana-Sutras sagen. Ich weiß nicht, wie vertraut ihr damit seid, diese Sutras zu lesen, doch sie sind voller Preisungen für sich selbst. In den frühen Tagen, als die Mahayana-Sutras erstmalig weite Verbreitung erlangten, gab es kaum schriftliche Kopien. Um diese Sutras zu rezitieren, musste man sie auswendig lernen, indem man zuhörte, wie sie laut rezitiert wurden, was enorme Mühen erforderte, da diese Sutras lang waren. 

Denken wir einmal darüber nach, ist es doch so, dass wir seit anfangsloser Zeit negatives Potenzial aufgebaut haben, was unglaublich viel negatives Potenzial ist. Seit zahllosen Zeitaltern haben wir negative Potenziale aufgebaut. In den Sutras heißt es, dass wir drei zahllose Zeitalter brauchen, was drei Zillionen von Zeitaltern sind, um positive Kraft aufzubauen, damit wir all das überwinden können. Wenn in einem Sutra gesagt wird, dass wir, wenn wir es rezitieren, damit 72.000 Zeitalter dieses negativen Potenzials reinigen können, ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein; dennoch gibt es uns Hoffnung, dass wir damit etwas weiterkommen. Ich glaube, das ist die Absicht hier.

Genau wie diese Aussagen in den Mahayana-Sutras gab es auch zu Zeiten, als der Buddha lehrte, diese hohen Nummern: es waren 720.000 Devas anwesend, 42.500 Gandharvas usw., was eine ähnliche Absicht hatte. Wir mögen uns darüber wundern, doch das ist das Mahayana, das große Fahrzeug, in dem es darum geht, unseren Geist und unsere Herzen der Weite unzähliger Wesen zu öffnen. Wir sollen versuchen, uns beispielsweise den Buddha auf dem Geierberg vorzustellen, wie er diese Sutras übermittelte. Falls wir jemals auf dem Geierberg waren – es ist eine fantastische Szenerie – da gibt es diesen Berg und diesen Felsvorsprung auf der Spitze, der aus dem Berg herausragt und von dem es einen Blick über dieses riesige Tal gibt. Begeben wir uns dorthin, setzen uns nieder, was wir tun können, und stellen uns vor, wie dieses gesamte Tal mit Wesen gefüllt ist, beginnen wir ein Gefühl für Mahayana zu bekommen. Reden wir von allen fühlenden Wesen, ist das eine ziemlich große Anzahl. Diese hohen Nummern, die in den Sutras beschrieben werden, sind im Grund ziemlich hilfreich, um sich gedanklich auf „alle fühlenden Wesen“ zu beziehen.

Man sollte sich nicht sorgen oder nerven, wie sie auf diese Zahlen gekommen sind. Warum sind es 36.000.000 und nicht 37.000.000? Ich glaube darum geht es nicht. Der Punkt ist, angeregt zu werden und unseren Geist zu öffnen, damit wir in einer Weite des Mahayana denken können. Das nur nebenbei, aber ich finde, das ist ein ziemlich hilfreicher Punkt. Ansonsten ist es recht leicht, die Bodhisattva-Gelübde zu brechen, indem wir die Mahayana-Sutras kritisieren oder uns wegen ihnen schämen, weil es da irgendwelche merkwürdigen Sachen in ihnen gibt. Stattdessen können wir sehen, dass Buddha stets geschickte Methoden benutzte, um uns zu helfen, unseren Geist besonders im Mahayana-Sinn zu weiten. Wir sollten es ernst nehmen, dass wir daran arbeiten, allen fühlenden Wesen zu helfen und erkennen, wie viel Bemühung es kostet, wegen dieser anfangslosen Zeit die Trägheit der anfangslosen Unwissenheit zu überwinden.

Sambhogakaya klarstellen 

Könnten Sie vielleicht etwas über die drei Kayas (die Drei Buddhakörper) sagen, besonders über den Sambhogakaya, denn für viele von uns, wie auch für mich, ist es schwierig zu verstehen, was er bedeutet. Sie haben beispielsweise gesagt, dass es in den Mahayana-Sutras zahllose Wesen und Gandharvas gibt und dies ganz klar keine menschlichen Wesen, sondern eine Art spirituelle Wesen auf einer anderen Ebene sind. Hat das etwas mit der Sambhogakaya-Ebene der Realität zu tun? 

Nein, nicht wirklich. Was Sambhogakaya betrifft, so gibt es eine Sutra-Darstellung und ein Tantra-Darstellung, insbesondere in Bezug auf Anuttarayoga-Tantra, die höchste Tantra-Ebene. 

Im Sutra gibt es fünf Faktoren, die bezüglich Sambhogakaya gewiss sind: 

  • Sie belehren Arya-Bodhisattvas. Es sind Bodhisattvas, die eine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit oder Leere haben. Es sind keine gewöhnlichen Devas, Gandharvas, Gottheiten usw., welche die Zuhörer der Mahayana-Sutras sind.  
  • Sie lehren in den Buddha-Gefilden, diesen reinen Ländern.  
  • Sie lehren stets Mahayana.  
  • Sie haben all die großen und kleinen körperlichen Zeichen eines Buddhas.  
  • Sie bleiben für immer bestehen, ohne Ende. 

Was Mahamudra betrifft, so gibt es die leere Natur des Geistes und die allwissende Natur des Geistes, und das ist der Dharmakaya. Dharmakaya kommuniziert auf natürliche Weise nach außen, um anderen zu nützen. Er kommuniziert in subtilen Form und das ist Sambhogakaya. Sambhogakaya strahlt gröbere Erscheinungen aus, welche Nirmanakaya sind. Nirmanakaya Erscheinungen sind da, um gewöhnliche Wesen zu belehren, während Sambhogakaya jene sind, die Arya-Bodhisattva belehren. Aus diesem Grund gibt es zwei verschiedene Ebenen von Erscheinungen. Sie sind dazu da, um zwei besondere Arten von Zuhörern zu unterrichten.

Im Tantra wird Sambhogakaya mit der erleuchtenden Rede eines Buddhas identifiziert, die wiederum eine subtile Weise des Kommunizierens nach außen ist. Nirmanakaya sind die körperlichen Erscheinungen. Im Kalachakra wird Sambhogakaya sowohl als erleuchtende Rede sowie als subtile körperliche Erscheinungen beschrieben.

Bringen wir Sprachen mit ins Spiel, so wird Sambhogakaya häufig als der „Freudenkörper“ übersetzt, aber das ist nicht wirklich die Bedeutung. Es ist eine Bedeutung des Sanskrit-Wortes sambhoga, wenn wir es im Wörterbuch nachschlagen. Allerdings hat es viele Bedeutungen, wie zum Beispiel auch „zu essen“. Die Tibeter übersetzten es mit einem Wort, dessen Bedeutung „von Gebrauch machen“ ist. Auf diese Weise wird es normalerweise beschrieben. Es ist der Körper eines Buddhas, der vollen Gebrauch von den Mahayana-Lehren machen kann, indem er sie Arya-Bodhisattvas in reinen Ländern unterrichtet. Das ist die Bedeutung von sambhoga in dem Wort Sambhogakaya. Er ist nicht zum Genuss da, als wäre es ein Körper für die Vergnügung oder der Vergnügungskörper.

Geschwindigkeit der Tantra-Praxis einteilen

Könnten Sie etwas über die Geschwindigkeit sagen, darüber, wie schnell man in der Meditation vorangehen sollte, um den richtigen Geisteszustand hervorzubringen oder Ablenkungen entgegenzuwirken? Ist das eine persönliche Sache oder kann man etwas Allgemeines dazu sagen?

Serkong Rinipoche drückte es sehr schön aus. Er sagte: Wenn der Herr des Todes kommt, wird er nicht darauf warten, bis wir uns gerade hingesetzt, unsere Motivation erzeugt und alles ganz langsam hervorgebracht haben. Wenn der Herr des Todes kommt, gilt es den richtigen Geisteszustand in einem Augenblick zu erzeugen; wir müssen unsere Handlungen unmittelbar ausführen können. Das ist das Ziel, den korrekten Geisteszustand in einem Moment erzeugen zu können. Die Frage ist, wie kommen wir an diesen Punkt? Wie üben wir, um dorthin zu gelangen? Anfangs ist es notwendig, langsam vorzugehen, und wenn wir die Freiheit und die Zeit dazu haben, die Übungen langsam auszuführen, ist das wunderbar. 

In den Klöstern rezitieren manche unglaublich langsam. In Serkong Rinpoches Kloster, mit dem ich vertraut bin und in dem ich Zeit verbracht habe, kommt man zu bestimmten Zeiten im Jahr zusammen und rezitiert das Guhyasamaja-Tantra auf ganz besondere Weise. Man kann während der gesamten Rezitation für jede Silbe eine Minute brauchen und dann kann es den ganzen Tag dauern, ein Kapitel durchzugehen. Wenn wir es auf ganz extreme Weise machen wollen, ist das ein Stil. Der andere Stil besteht, wie beispielsweise im Namgyal Dratsang Kloster Seiner Heiligkeit, darin, alles superschnell durchzugehen. Wenn Seine Heiligkeit die Kalachakra-Einweihung gibt, müssen die Leute am Morgen davor die Selbst-Initiation machen, die viermal länger ist, als die Einweihungszeremonie selbst.

Sie machen es unglaublich schnell und trotzdem dauert es fünf Stunden. Ich habe währenddessen mit ihnen zusammengesessen und es war schwer für meine Augen, dem Text so schnell zu folgen. Für jede Initiation, die Seine Heiligkeit auf einer großen Bühne erteilt, macht er vorher die Selbst-Initiation und man kann sich nicht vorstellen, wie schnell er in der Lage ist, all das zu rezitieren. Das ist das andere Extrem. 

Ich denke, das wichtigste Kriterium ist, es in der Geschwindigkeit zu tun, in der es noch immer einen Sinn ergibt. Das ist nicht so einfach. Im Buddhismus wird das in der Erkenntnistheorie sehr schön beschrieben. Wir rezitieren die Worte und ordnen sie Hörkategorien zu. Unabhängig davon, wie wir ein Wort sagen, passt es in die Kategorie, der Klang dieses Wortes zu sein. Doch wir müssen das Wort auch einer Bedeutungs-Kategorie zuordnen, damit es eine Bedeutung hat. Es ist ziemlich leicht, nur Worte ohne eine Bedeutung zu haben. Das sind zwei ziemlich eigenständige Dinge. Wir können die Worte auf Autopilot rezitieren und unser Geist kann gleichzeitig an alle möglichen anderen Dinge denken. Es ist ziemlich interessant, dass dies in der Erkenntnistheorie beschrieben wird, wie es hier zwei eigenständige Faktoren gibt: Hörkategorien und bedeutungsbezogene Kategorien. 

Ungeachtet dessen, ob wir den Text laut oder in unserem Geist rezitieren, ist es ein Problem, sich über die Bedeutung der Worte bewusst zu sein, sogar wenn wir sie in unserer eigenen Sprache aufsagen. Jeder von uns muss sich entscheiden, ob er sie laut, leise oder nur in seinem Geist rezitiert. Es braucht viel länger, sie laut auszusprechen und wenn wir es im Geiste tun, mag es viel schneller gehen, aber dann besteht immer die Gefahr, dass sie keine Bedeutung haben. 

Es gibt jedoch diese verschiedenen Weisen, wie wir Mantras rezitieren. Es ist klar, dass es eine geistige und eine verbale Rezitation gibt. Wir müssen es selbst einschätzen, aber das Wichtigste für unsere Praxis ist, dass sie eine Bedeutung hat und nicht nur aus Worten besteht.

Eigenschaften einer gesunden Sangha im Westen 

Lama Changchub ermutigt uns stets, unser Bestes zu geben, was die edle Sangha betrifft. Auch wenn wir keine Arya-Bodhisattvas sind, sollten wir etwas erschaffen, was dem möglichst nahekommt. Da Sie sowohl ein Gelehrter als auch ein Praktizierender sind, würde ich gern hören, was die allgemeinen Merkmale einer gesunden weltlichen Sangha sind und welche persönlichen Beobachtungen Sie auf ihren Reisen gemacht haben, welche Eigenschaften anstrebenswert sind oder welche Sie in einer gesunden Sangha gesehen haben. 

Das ist eine sehr gute Frage. Eines der tantrischen Gelübde ist, niemals auf unsere Vajra-Brüder und Schwestern wütend zu werden. Ein Vajra-Bruder und eine Vajra-Schwester werden als Menschen definiert, die eine Einweihung vom gleichen Lama bekommen haben, wie wir. Es muss nicht die gleiche Einweihung gewesen sein und sie muss nicht zur gleichen Zeit stattgefunden haben. Wir definieren uns deswegen als Brüder oder Schwestern, weil wir uns vorstellen, durch den tantrischen Meister als Kind geboren zu werden. 

Es ist ziemlich schwierig, innerhalb unserer Gemeinschaft geduldig miteinander zu sein oder nicht wütend auf den anderen zu werden. Meistens gibt es in den Gemeinschaften für gewöhnlich eine Person, die wirklich nervend und herausfordernd ist, jemanden, mit dem wir alle geduldig sein müssen. In den verschiedenen monastischen, Bodhisattva- und tantrischen Gelübden gibt es zahlreiche Richtlinien, die helfen, eine Gemeinschaft aufzubauen. Tatsächlich sind die meisten Gelübde für Mönche und Nonnen dafür vorgesehen, dabei behilflich zu sein, so eine Gemeinschaft zu erschaffen. 

Was ich traurig finde, ist, dass die Menschen in manchen buddhistischen Gemeinschaften nur kommen, ihre Praxis zusammen machen, aber keinen Austausch miteinander haben und dann einfach wieder gehen. Wenn jemand krank wird oder ähnliches, kommt niemand, um ihm oder ihr zu helfen oder beizustehen. Ich denke, da können wir viel von unseren christlichen Gemeinschaften lernen, denn wenn wir wie im Kloster eine Gemeinschaft sein wollen, kümmern wir uns um die anderen, wenn jemand krank wird. Ist jemand bedürftig, helfen wir ihm. Die Menschen kommunizieren miteinander. Ich glaube, das ist wesentlich, wenn man eine Gemeinschaft sein will und wenn man von den Vorzügen einer Gemeinschaft profitieren möchte. Es sollte eine Gemeinschaft sein, die sich umeinander kümmert und weiß, was mit den anderen los ist. 

Damit wir einander kennenlernen, müssen wir miteinander kommunizieren. Es gibt bestimmte Situationen, wo es nützlich ist, Stille zu wahren und nicht zu reden. Führt das jedoch dazu, dass niemand den anderen kennt und jeder in seiner eigenen Welt lebt, sollte man die Praxis der Stille nur zu einer bestimmten Zeit und in einer angemessenen Situation nutzen. In anderen Situationen sollten die Menschen in der Gemeinschaft einander kennen, Dinge von anderen erfahren und freundlich miteinander umgehen. 

Auch sollte die Gemeinschaft offen gegenüber Neulingen sein, damit sie sich willkommen fühlen. Das ist wirklich wichtig. Wir sollten nicht auf die Liebe verzichten; das ist eins der Bodhisattva-Gelübde, wie auch eins der Tantra-Gelübde. Wir sollten für niemanden auf die Liebe verzichten. Sie ist der Wunsch, andere mögen glücklich sein und die Ursachen für Glück besitzen. Was bedeutet das? Es bedeutet, sie willkommen zu heißen und sie nicht auszuschließen; man sollte nicht denken: „störe mich bitte nicht.“ 

Außerdem ist es ziemlich traurig in manchen Gemeinschaften, dass Kinder nicht willkommen sind. Dadurch werden Familien ausgeschlossen und oft gibt es dann nur ältere Leute ohne Kinder oder Singles. Einmal kam ich zu einer Gruppe, zu der jemand sein zweijähriges Kind mit in die Sitzung brachte, das während der Belehrungen wild umherlief. Ich war dort nur als Gast und jemand anders war der Lehrer. Er wies darauf hin, dass der kleine Junge uns in Geduld lehrte; das war die Lektion des Tages, sich nicht durch das Herumrennen des kleinen Jungen stören zu lassen. Denken wir an die Wiedergeburt, werden wir schließlich auch irgendwann wieder ein kleines Kind sein. Wir sollten aufnahmebereit sein und wenn Kinder mit dabei sind, kann man Kinderbetreuung anbieten. Diese Dinge sind ausgesprochen wichtig.

Wenn jemand krank ist oder sich im Krankenhaus befindet, sollten wir ihn besuchen gehen; wir sollten uns gegenseitig helfen und unterstützen. Es gibt bestimmte Aspekte der Praxis, die nur zwischen uns und dem Lehrer bleiben sollten. Es ist in Ordnung, diese Dinge privat zu halten. Was aber beispielsweise meine Gruppe in Berlin betrifft, so gehen die meisten von uns nach dem Unterricht zusammen in ein Restaurant. Es ist eine kleine Gruppe und ich halte sie absichtlich klein. Die Belehrungen finden nur in meiner Wohnung statt, es kommen fünf bis maximal 12 Leute und ich mache keine Werbung dafür. Die Leute können sie immer auch auf einem Podcast hören. Das ist in Ordnung; ich bin nicht da wegen des Geldes oder dergleichen.

In der Gruppe kennt jeder jeden und wir haben Sitzungen, in denen wir darüber reden, wie wir die Lehren in der Woche in unserem Leben angewendet haben. Darum geht es, und nicht nur um ein Hobby, dem wir nebenbei nachgehen und statt ins Kino zu gehen mal eben einen Sadhana machen. Wir fragen uns, wie wir die Lehren in unserem Leben angewandt haben. Haben sie uns geholfen und wenn ja, wie haben sie geholfen? Haben wir ein bestimmtes Problem, bringen wir es in die Gruppe. Es ist nicht ganz so, wie bei den anonymen Alkoholikern, aber wir bringen es in die Gruppe und versuchen herauszufinden, wie man auf eine Dharma-Weise damit umgehen könnte. Wie können wir einander helfen? 

Auf diese Weise erschaffen wir eine echte buddhistische Gemeinschaft. Das ist, glaube ich, recht hilfreich. Sind es viele Leute, ist das natürlich nicht so einfach, aber wir können uns in kleinere Gruppen aufteilen. Aus meiner Erfahrung sind das hilfreiche Richtlinien. In unserem Leben, besonders in unserer modernen Welt, sind wir so isoliert und die sozialen Medien helfen uns da auch nicht wirklich weiter. Sie geben uns den Anschein, als wären wir miteinander verbunden. Stattdessen sitzen wir aber in unserem Zimmer, sehen uns etwas auf dem Bildschirm an, wie andere ihr Leben genießen. Wir betrachten andere Leute, die anscheinend eine gute Zeit haben und fühlen uns dadurch oft noch isolierter.

Kommen wir persönlich in unseren wöchentlichen Sitzungen zusammen, legen wir unsere technischen Geräte beiseite oder bringen sie gar nicht erst mit und wenden einfach die Lehren an. Das gilt insbesondere, wenn ich die von mir entwickelte Meditation „Ausgewogene Sensibilität entwickeln“ unterrichte. Dabei handelt es sich um ein Ausbildungsprogramm, indem wir lernen, in Bezug auf unser Verhalten uns selbst und anderen gegenüber, sowie in Bezug auf unsere eigenen Situationen und Situationen anderer, weder überempfindlich noch unsensibel zu sein. Das ganze Training baut auf dem Dharma auf. Die Methoden, die wir dort nutzen, habe ich auf die üblicheren buddhistischen Meditationen ausgeweitet, die wir in einer Gruppe machen können. 

So meditieren wir beispielsweise in einem Kreis und sehen uns gegenseitig an, anstatt Liebe für eine visualisierte Gruppe von Wesen zu entwickeln, was nicht so herausfordernd ist, als sich mit echten Menschen auseinanderzusetzen. Visualisieren wir die Menschen nur, werden sie unseren Blick nicht erwidern. Natürlich hat es auch seine Vorteile, andere zu visualisieren und ihnen Liebe zu schicken, besonders wenn wir allein sind. Meditieren wir jedoch über den Punkt, dass jeder in einem früheren Leben schon einmal unsere Mutter gewesen ist und gütig zu uns war, ist es viel mächtiger, jede Person im Kreis anzusehen und zu denken: „Du warst eine Mutter für mich, du warst eine Mutter für mich und auch du warst eine Mutter für mich.“ Wir versuchen tatsächlich, dieses Gefühl mit einem anderen menschlichen Wesen zu erzeugen: „Mögest du glücklich sein, mögest du glücklich sein und mögest auch du glücklich sein.“ Wir versuchen, es zu empfinden und es auf jede Person in der Gruppe zu richten. 

Wenn wir das tun, wird die Praxis viel mächtiger und beginnt, eine emotionale Komponente zu bekommen, was man nicht so leicht mit einer Visualisierung erreichen kann. Die Praxis wird echt und es wird einfacher, dies zu praktizieren, wenn wir in einem Bus sitzen, uns in der U-Bahn befinden oder im Stau stecken. Wir betrachten all die Menschen, die ebenfalls im Stau stecken und erkennen, dass niemand in dieser Situation sein möchte. Wir sind nicht die Einzigen, die nach Hause oder an einen bestimmten Ort kommen wollen. Anstatt dann die Person im Auto neben uns zu verfluchen, erzeugen wir ein Gefühl der Liebe gegenüber dieser Person. Das ist die Anwendung. Wir nutzen ihn als perfekte Gelegenheit zum Praktizieren. Andernfalls geht es uns im Stau einfach nur schlecht. 

Das hilf, eine Gemeinschaft aufzubauen, wenn wir tatsächlich miteinander auf diese Weise praktizieren, anstatt nur, jeder für sich, isoliert dazusitzen und zu visualisieren. Wir versuchen, diese positiven Geisteszustände miteinander in die Realität umzusetzen und einander zu helfen. Hat jemand Schwierigkeiten, implementieren wir etwas aus dem Dharma. Das ist wirklich hilfreich. Vielleicht kommt jemand eines Tages in die Gruppe und möchte über eine Person auf seiner Arbeit reden, mit der er Probleme hat. Wie gehen wir damit um? Für die Gemeinschaft und auch für jeden Einzelnen ist es ausgesprochen hilfreich zu versuchen, eine Dharma-Strategie zu finden, um mit diesem Problem aus dem echten Leben umzugehen.

Danke, dass Sie uns mit ihren Worten über die Gemeinschaft inspiriert haben und darüber sprachen, dass die Gruppe nicht zu groß sein sollte. Ich frage mich, wie so eine Gruppe zusammenbleibt, die so bodenständig und so verbunden mit dem eigentlichen Leben ist. Wenn ich in unserer Gemeinschaft zu einem Kurs gehe, dann vielleicht erst im Frühjahr oder Herbst. Laut Ihnen wäre es jedoch schön, wenn man einige Zeit weitermachen könnte, um einander kennenzulernen und dranzubleiben. Könnten Sie bitte dazu etwas sagen?

Es besteht ein Unterschied zwischen einem Wochenendseminar, zum dem die Leute von überall kommen, und einem regelmäßigen wöchentlichen Kurs. Ich spreche von einem wöchentlichen Kurs und in diesem Kurs gibt es Leute, die seit Jahren kommen. Von Zeit zu Zeit treten neue Leute bei und sie werden willkommen geheißen. Nicht jeder kommt jede Woche, so ist das ganz bestimmt nicht. Das unterscheidet sich zum Beispiel auch maßgebend von der traditionellen Situation in einem Kloster, wo alle zu jeder Sitzung kommen und es keinen Vorwand gibt, eine auszulassen. Die Realität ist, dass wir ziemlich viel zu tun haben und nicht immer kommen können. Die Teilnahme an einem Kurs ist somit flexibel.

Wenn ich jedoch beispielsweise an einem Wochenende dieses Sensibilitätstraining unterrichte, können wir trotz allem in einem Kreis sitzen und wenn es viele Leute gibt, können wir zwei oder drei Kreise machen. Das spielt keine Rolle. Auf diese Weise lernen wir nicht wirklich all die Menschen im Kreis persönlich kennen. Aber das ist in Ordnung; wir lernen ja auch nicht all die Leute im Bus oder im Stau persönlich kennen. Doch wir können dieses Gefühl hervorbringen: „mögest du glücklich sein“ und „ich werde dich nicht verurteilen“. Das ist ein wirklich wichtiger Aspekt: keine Urteile zu fällen. Wir wollen einfach nur helfen. Das ist ein beachtliches Geschenk, das wir geben können. Es ist das Geschenk des Gleichmuts. 

Es gibt viele Formen des Gleichmuts, aber eine Form ist die Großzügigkeit des Gleichmuts. Was bedeutet das? „Ich werde nicht an dir hängen, ich werde dich nicht ablehnen, und ich werde dich nicht ignorieren.“ Das sind die drei Gifte, wenn wir es in buddhistischen Fachausdrücken sagen wollen. Wir klammern nicht, wir lehnen nicht ab und wir ignorieren nicht. Das ist ein wunderbares Geschenk, das wir jedem geben können, und wir können es auch Fremden zuteil werden lassen. Wenn wir persönliche Freundschaften in einer Gemeinschaft entwickeln wollen, in der man sich umeinander kümmert, braucht man natürlich Leute, die regelmäßig kommen. 

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