Weitverbreitete Missverständnisse bezüglich des Buddhismus

Es gibt vielerlei Missverständnisse bezüglich des Buddhismus, und sie entstehen aus vielerlei Gründen. Einige sind kulturbedingt, sei es in der westlichen Kultur oder in asiatischen und anderen Kulturen, die von heutigen westlichen Denkweisen beeinflusst snd. Manche stammen aus anderen Kulturgebieten, zum Beispiel aus dem traditionellen chinesischen Denken. Es können Missverständnisse auftreten, die eher allgemein bedingt sind, nämlich durch die störenden Emotionen von Menschen. Missverständnisse können auch einfach deshalb vorkommen, weil das Material schwer verständlich ist. Sie können dadurch entstehen, dass Lehrer etwas nicht deutlich erklären oder unerklärt lassen und wir dann darauf projizieren, was es unserer Meinung nach bedeutet. Es mag auch sein, dass die Lehrer selbst die Lehren missverstehen, denn nicht alle Lehrer sind optimal qualifiziert: Viele werden mit Lehrtätigkeiten beauftragt oder darum gebeten, bevor sie vollständig qualifiziert sind. Und auch wenn Lehrer etwas deutlich erklären, kann es sein, dass wir nicht besonders gut zuhören oder uns später nicht richtig daran erinnern. Oder wir machen uns unzureichende Notizen und lesen sie vielleicht nicht einmal mehr durch. Es gibt überaus viele falsche Vorstellungen, die auf diese Weise entstehen, aber hier wollen wir nur einige der häufigsten davon zu klären versuchen, die sich auf ein paar allgemeine Themen beziehen, obwohl natürlich noch erheblich mehr besprochen werden könnten.

Allgemeine Missverständnisse bezüglich des Buddhismus selbst

Denken, Buddhismus sei eine pessimistische Weltanschauung

Die erste Lehre Buddhas war diejenige über die vier edlen Wahrheiten, deren erste die „wahren Leiden“ sind. Ganz gleich, ob wir von Unglücklichsein, von unseren gewöhnlichen Arten von Glück oder von dem Erleben zwangsläufig immer wieder auftretender Wiedergeburt reden – das alles gehört zum Leiden. „Leiden“ ist allerdings in den westlichen Sprachen ein ziemlich krasses Wort. Hier in diesem Zusammenhang bedeutet es, dass all diese Zustände unbefriedigend und mit Problemen behaftet sind. Und daher – weil jeder glücklich sein und niemand unglücklich sein möchte – ist es notwendig, all die Probleme im Leben zu überwinden.

Es ist ein Missverständnis zu meinen, im Buddhismus würde behauptet, dass etwas verkehrt daran sei, glücklich zu sein. Vielmehr geht es darum, dass unsere gewöhnlichen Arten von Glück mit Nachteilen behaftet sind – sie dauern nie an, sie stellen nie dauerhaft zufrieden, und wenn sie zu Ende gehen, wollen wir immer mehr. Wenn wir zu viel von etwas haben, was wir mögen, zum Beisel von unserem Lieblingsessen, werden wir dessen überdrüssig und sind unzufrieden damit, noch mehr davon zu essen. Der Buddhismus lehrt daher, Glück anzustreben, das frei von solchen unbefriedigenden Gegebenheiten ist. Das heißt aber keineswegs, dass das höchste Ziel darin besteht, gar nichts mehr zu fühlen. Es bedeutet vielmehr, dass es viele Arten von Glück gibt, und dasjenige, das wir normalerweise erleben, ist zwar besser als Unglücklichsein, aber nicht das vollständige Ausmaß von Glück, das wir erleben können.

Denken, dass Vergänglichkeit nur nachteilige Bedeutungen hat

Es ist ein Missverständnis, Vergänglichkeit bzw. Unbeständigkeit nur so zu verstehen, dass sie sich auf unser gewöhnliches Glück bezieht: dass es zu Ende gehen und sich wieder in Unzufriedenheit und Unglücklichsein verwandeln wird. Vergänglichkeit heißt auch, dass jede unglückliche Phase in unserem Leben ebenfalls vorübergehen wird. Das lässt die Möglichkeit zu, dass Heilung stattfinden kann und dass man neue Gelegenheiten ergreifen kann, unsere Situation im Leben zu verbessern. Der Buddhismus bietet daher eine große Anzahl von Methoden, unsere Einstellung und Sichtweise zu ändern und letztlich Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. All diese Veränderungen gehen ebenfalls aus dem grundlegenden Prinzip der Unbeständigkeit hervor.

Denken, Buddhismus sei eine Art Nihilismus

Buddha lehrte, dass die wahre Ursache der Probleme im Leben von jedem das mangelnde Gewahrsein (die Unwissenheit) bezüglich der Realität ist, nämlich in Bezug darauf, wie er oder sie, andere und überhaupt alles existiert. Es ist ein Missverständnis zu denken, Leerheit wäre eine Art Nihilismus und Buddha hätte gesagt, dass überhaupt nichts existiert, etwa dass weder du noch andere noch ihre Probleme existieren und daher die Lösung der Probleme darin bestünde, zu erkennen, dass das alles nicht existiert.

Das ist keineswegs die Bedeutung von Leerheit. Vielmehr ist es so, dass wir lauter unmögliche Arten und Weisen auf die Realität projizieren im Zusammenhang damit, wie die Dinge existieren – zum Beispiel, dass sie getrennt voneinander und unabhängig von allem anderen wären. Wir sind uns dessen nicht bewusst, dass alles miteinander in Verbindung steht und somit eine ganzheitliche, natürliche Verbundenheit von allem besteht. Unsere gewohnheitsmäßige Verwirrung diesbezüglich führt dazu, dass unser Geist die Dinge so erscheinen lässt, als würden sie auf eine Art und Weise existieren, die in Wirklichkeit gar nicht sein kann. Diese Webseite zum Beispiel erscheint so, als würde sie einfach so, ganz von sich aus existieren, unabhängig von den Zehntausenden Arbeitsstunden der über hundert Menschen, die sie produziert haben. Eine solche unmögliche Art zu existieren entspricht nichts Realem. Leerheit ist die völlige Abwesenheit jeglicher realen Bezugspunkte, die unserer Projektion von unmöglichen Existenzweisen entsprechen würde. Nichts existiert für sich allein, ganz von sich aus; das heißt aber durchaus nicht, dass nichts existiert.

Missverständnisse bezüglich Ethik und Gelübden

Denken, dass buddhistische Ethik auf moralischer Bewertung von Gut und Böse beruht

Was die Ethik betrifft, wie auch in vielen anderen Fällen, können Missverständnisse häufig aufgrund von Übersetzungsbegriffen entstehen. Aufgrund dessen projizieren wir oft Vorstellungen auf die Lehren, die mit Buddhismus überhaupt nichts zu tun haben. Es kann z.B. sein, dass wir Begriffe verwenden, deren Bedeutung mit Inhalten aus unserer biblischen Tradition verknüpft ist, etwa die Wörter „tugendhaft“, „Untugend“, „Verdienst“ oder „Sünde“. Mit solchen Wörtern werden dann Vorstellungen von moralischem Urteil und Schuld auf die buddhistischen Lehren über Ethik projiziert: dass bestimmte Dinge tugendhaft sind, d.h. gut und richtig; und dass wir gute Menschen sind, wenn wir sie tun, und durch entsprechendes Handeln Verdienste sammeln wie eine Art Belohnung. Und dass wir, wenn wir nicht tugendhaft, sondern „sündhaft“ handeln, schlecht sind und Sünde auf uns laden, für die wir dann büßen müssen. Das ist eine ganz klare Projektion biblischer Vorstellungen auf buddhistische Ethik.

Buddhistische Ethik beruht ganz und gar darauf, dass man unterscheidendes Gewahrsein entwickelt. Wir müssen lernen zu unterscheiden, was förderlich und was destruktiv ist, was von Nutzen und was schädlich ist, und dann, weil wir das verstehen, von schädlichem, destruktivem Verhalten Abstand nehmen.

Denken, dass buddhistische Ethik auf Gehorsam gegenüber Gesetzen basiert

Des Weiteren ist es ein Missverständnis, zu meinen, buddhistische Ethik würde auf Gehorsam gegenüber Gesetzen statt auf unterscheidendem Gewahrsein beruhen. In manchen Kulturen nehmen die Menschen Gesetze sehr ernst und werden dann ziemlich unflexibel: sie wollen keine Gesetze brechen. Tibeter hingegen haben gegenüber ethischen Richtlinien eine ziemlich entspannte Haltung. Das heißt nicht, dass sie nachlässig sind, sondern es bedeutet, dass man in bestimmten Situationen im Hinblick darauf, wie die Richtlinien anzuwenden sind, unterscheidendes Gewahrsein benutzen muss. Was wir dabei zu unterscheiden versuchen, ist, ob wir unter dem Einfluss einer störenden Emotion handeln oder ob es einen nutzbringenden Grund für unser Verhalten gibt.

Denken, dass Gelübde so ähnlich wie Gesetze mit Schlupflöchern sind

Das andere Extrem ist, die Gelübde so zu betrachten wie ein Rechtsanwalt. Dann suchen wir nach Schlupflöchern in der Darstellung von Karma, um Ausreden für destruktives Verhalten zu finden oder dafür, Zugeständnisse zu machen und ein Gelübde herunterzuspielen. Lasst mich dafür ein Beispiel geben. Es mag sein, dass wir ein Gelübde ablegen, unangebrachte sexuelle Handlungen zu vermeiden, und dann behaupten, dass Oralverkehr zulässig sei, weil das ein Ausdruck von Liebe sei. Wir suchen nach Ausreden, weil uns diese Art sexueller Handlungen eben gefällt. Oder wir legen das Gelübde ab, Alkohol aufzugeben, und sagen dann, dass es in Ordnung sei, beim Essen mit unseren Eltern Wein zu trinken, um sie nicht vor den Kopf zu stoßen, oder dass es in Ordnung sei, ab und zu etwas zu trinken, solange wir uns keinen Rausch antrinken. Wir erfinden diese Ausflüchte, um das Gelübde zu umgehen.

Der Punkt ist: Wenn man ein Gelübde ablegt, tut man es ganz. Man legt ein Gelübde nicht teilweise ab. Auf diese Weise wird ein Gelübde definiert. Wenn wir nicht alle Einzelheiten der Gelübde oder eines bestimmten Gelübdes einhalten können, wie sie im Text angegeben sind, dann sollten wir das Gelübde nicht ablegen. Es besteht keine Verpflichtung dazu.

Es gibt allerdings eine Alternative. In der Erörterung der Gelübde werden im Abhidharma drei Kategorien genannt: Es gibt Gelübde, mit denen man gelobt, etwas, das destruktiv ist, grundsätzlich zu unterlassen. Außerdem gibt es eine Kategorie, die sehr schwer zu übersetzen ist – wörtlich lautet der Ausdruck „Gegen-Gelübde“. Das ist ein Gelübde, etwas Destruktives nicht zu unterlassen, beispielsweise das Töten. Zum Beispiel wenn man der Bundeswehr beitritt, legt man möglicherweise das Gelöbnis ab, es im Falle feindlicher Angriffe nicht zu unterlassen zu schießen. Und es gibt [als dritte Kategorie] eine Art Zwischenlösung: nur einen Teil dessen zu unterlassen, was in einem bestimmten Gelübde festgelegt ist.

Diese Zwischen-Kategorie ist es, die hier zur Anwendung kommen kann. Wenn es zum Beispiel in dem Gelübde für Laien, sich unangebrachter sexueller Handlungen zu enthalten, Bestandteile gibt, von denen wir meinen, dass wir sie nicht tatsächlich einhalten können, besteht die Möglichkeit, z.B. nur zu geloben, keinen Geschlechtsverkehr mit dem Partner von jemand anderem zu haben oder beim Sex keinerlei Gewalt anzuwenden, etwa jemanden dazu zu zwingen oder zu vergewaltigen usw. Ein solches Versprechen zu geben ist nicht tatsächlich das Gelübde, wie es in den Texten vorgegeben ist, aber es ist dennoch erheblich positiver, es baut mehr positive Kraft auf – ich bevorzuge das Wort „positive Kraft“ statt „Verdienst“ und „negative Kraft“ statt „Sünde“ – es schafft also mehr positive Kraft in unserem geistigen Kontinuum, als wenn wir mit diesem Verhalten einfach so aufhören würden. Mit dieser Art von Versprechen verletzen wir das Gelübde nicht und es wird trotzdem zu einer starken Form ethischer Praxis.

Denken, buddhistische Ethik sei humanistisch – also lediglich der Grundsatz, anderen nicht zu schaden

Ein weiterer Irrtum im Zusammenhang mit Ethik ist das Missverständnis, die buddhistische Ethik sei humanistisch. „Humanistisch“ heißt nur zu vermeiden, etwas zu tun, was anderen schaden würde. Solange es niemand anderem schadet, ist es in Ordnung. Das ist humanistische Ethik, zumindest soweit ich sie verstehe. Das ist gut und schön, aber das ist nicht die Grundlage buddhistischer Ethik. Bei der Grundlage buddhistischer Ethik wird der Schwerpunkt darauf gelegt zu vermeiden, was selbstzerstörerisch ist, denn wir wissen nicht genau, was anderen schaden würde: Es kann sein, dass man jemandem eine Million Euro gibt und denkt, man tut ihm etwas Gutes, und am nächsten Tag wird er wegen dieses Geldes überfallen und umgebracht. Wir können nicht in die Zukunft blicken; wir wissen nicht, was für jemand anderen von Nutzen sein wird. Was in den buddhistischen Lehren dargelegt wird, ist Folgendes: Wenn wir destruktiv handeln, beruhend auf störenden Emotionen – Ärger, Habsucht, Begierde, Eifersucht, Naivität usw. –, so ist das selbstzerstörerisch: Es baut eine negative Gewohnheit auf, dergleichen zu wiederholen, und wird bewirken, dass wir selbst Leiden erfahren. Das ist die Grundlage buddhistischer Ethik.

Missverständnisse bezüglich Wiedergeburt

Nicht an unseren negativen Verhaltensweisen und störenden Emotionen arbeiten, weil wir das Thema Wiedergeburt auslassen

Die falsche Vorstellung, die buddhistische Ethik sei humanistisch – lediglich niemand anderen zu verletzen – scheint häufig daher zu rühren, dass eine vorzeitige Betonung der Mahayana-Praxis stattfindet, indem man denkt, man könne die anfängliche und mittlere Stufe des Lam-rim überspringen. „Lam-rim“ bedeutet Stufenweg zur Erleuchtung. Die Motivation der anfänglichen Stufe zielt darauf ab, schlimmere Wiedergeburt zu verhindern – nun, wir glauben nicht einmal, dass es Wiedergeburt gibt. Die mittlere Ebene besteht darin, zwangsläufige Wiedergeburt überhaupt aufzugeben. Doch wir glauben immer noch nicht an Wiedergeburt und daher beeindruckt uns all das nicht; wir halten das nicht für sonderlich wichtig, also überspringen wir es. Aber zu den Mahayana-Lehren fühlen wir uns hingezogen, weil sie in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich klingen wie einige unserer traditionellen abendländischen Werte von Liebe, Mitgefühl, Toleranz, Großzügigkeit, Wohltätigkeit usw. Das klingt sehr gut, und wir fühlen uns dazu hingezogen und überspringen oder unterschätzen die Wichtigkeit jener beiden anfänglichen Stufen.

Damit überspringen wir auch einen wichtigen Teil ihres Inhalts, nämlich daran zu arbeiten, von destruktivem Verhalten und den störenden Emotionen und Einstellungen abzulassen, weil sie selbstzerstörerisch sind. Wir gehen einfach dazu über zu versuchen, anderen zu helfen. Das ist ein Fehler. Es ist zwar richtig, das Mahayana hervorzuheben, aber es muss auf der Grundlage der Stufen anfänglicher und mittlerer Reichweite geschehen. Wir müssen zunächst an unseren destruktiven Verhaltensweisen und störenden Emotionen arbeiten, weil sie unsere Versuche, anderen zu helfen, schwer beeinträchtigen.

Das Thema Wiedergeburt nicht ernst nehmen

Ein starker Grund dafür, dass viele von uns die Lehren der anfänglichen Inhalte lieber überspringen, besteht darin, dass wir denken, es gebe keine Wiedergeburt. Auf jener Stufe liegt nämlich das Hauptaugenmerk darauf, eine schlimmere Wiedergeburt zu vermeiden; deshalb nimmt man Zuflucht (gibt seinem Leben eine positive Richtung) und richtet sich nach den Gesetzen des Karmas, um zerstörerisches Verhalten zu vermeiden, weil dieses uns schlimmere Wiedergeburten einbringen wird. Doch diese Themen überfliegen wir nur oder spielen ihre Bedeutung herunter, weil wir nicht an Wiedergeburt glauben. Und an die Höllenbereiche, die Bereiche der hungrigen Geister und die Bereiche der Götter und Gegengötter glauben wir erst recht nicht. Wir denken, dass sie nicht wirklich existieren und dass die Beschreibungen in den Dharma-Texten sich eigentlich bloß auf psychologische Zustände von Menschen beziehen. Das wird jedoch den Lehren wirklich nicht gerecht und ist ein großes Missverständnis.

Video: Khandro Rinpoche — „Die Hölle im Buddhismus“ 
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Wiedergeburt in Bereichen nicht ernst nehmen, die weder der Menschen- noch der Tierwelt angehören

Ich möchte hier nicht allzu sehr ins Detail gehen, aber wenn wir an den Geist denken, an ein geistiges Kontinuum, sei es unseres oder das von jemand anderem, besteht kein Grund, warum es nicht möglich sein sollte, dass es das gesamte Spektrum von Glück und Unglück, Wohlgefühl und Schmerz erfahren kann und nicht bloß den begrenzten Umfang des Spektrums, der durch die Parameter unseres Körpers und Geistes als Mensch vorgegeben ist. Etliche Tiere können über viel weitere Entfernungen sehen als wir Menschen, einige können besser hören als wir, usw. Warum sollte es also nicht möglich sein, dass das Ausmaß dessen, was wir an Glück, Unglück, Wohlgefühl und Schmerz erfahren können, auch ausgedehnter sein kann und eine entsprechende physische Form als Grundlage dafür haben kann, etwa den Körper eines Höllenwesens oder einer Gottheit.

Andere Lebensformen lediglich auf psychologische Zustände von Menschen reduzieren

Auch wenn in den Darstellungen von Karma erwähnt wird, dass es gewisse Nachwirkungen in einem menschlichen Leben geben kann, Überbleibsel aus früheren Leben in jenen anderen Bereichen – wir erleben dann etwas, das dem ähnelt, was wir in jenen Leben erfuhren –, so heißt das nicht, dass wir die Erörterung jener anderen Lebensformen, die wir und andere annehmen können, einfach auf psychologische menschliche Zustände reduzieren können. Damit würden wir uns an den Lehren vorbeimogeln.

Denken, Karma ergäbe keinen Sinn, weil wir seine Auswirkungen lediglich auf ein einziges Leben beziehen

Weil wir nicht akzeptieren, dass es Wiedergeburt und jene anderen Daseinsformen gibt, missverstehen wir Karma dahingehend, dass es lediglich Folgen unserer Handlungen beschreibt, die in diesem Leben eintreten werden. Diese Beschränkung bewirkt eine Menge Zweifel hinsichtlich der Lehren über Karma. Es gibt ja Schwerverbrecher, die nie gefasst werden und anscheinend davonkommen mit ihren Missetaten. Und es kann sein, dass uns lauter schreckliche Dinge im Leben widerfahren, dass wir an Krebs sterben oder so etwas, obwohl wir nie etwas übermäßig Destruktives getan haben. Wenn wir unsere Überlegungen oder unsere Sichtweise nur auf dieses Leben beschränken, scheint es so, als ergebe Karma keinen Sinn.

Missverständnisse in Bezug auf den Dharma

Den Buddhismus modernisieren, indem wir Bestandteile eliminieren, die uns nicht gefallen

All das hebt ein viel größeres Problem, ein viel größeres Missverständnis bezüglich des Dharma hervor, nämlich dass wir uns einfach das heraussuchen könnten, was uns gefällt, und das, was uns schwerfällt zu akzeptieren, streichen oder ignorieren könnten: sozusagen modernisierter Buddhismus. Wir renovieren ihn bzw. säubern ihn von allem, was schwierig ist.

Wenn wir jene Geschichten über Karma hören, in denen von Elefanten die Rede ist, die sich unter die Erde begeben und Gold ausscheiden, und dergleichen mehr, denken wir: „Also bitte! Das sind doch Kindermärchen!“ Wir sehen nicht, dass eine Lektion darin enthalten ist. Ob wir sie wörtlich nehmen (wie einige Tibeter es tun) oder nicht, ist hier nicht der Punkt. Es geht darum, sie nicht zu verwerfen; es handelt sich um Bestandteile der Lehren. Auch angesichts der Vorstellung in den Mahayana-Sutras, dass die Buddhas Hunderte Millionen Wesen lehren, Hunderte Millionen Buddhas anwesend sind und sich in jeder Pore eines Buddha weitere hundert Millionen befinden usw., sind wir oft etwas peinlich berührt und sagen: „Das ist einfach zu grotesk“. Wir akzeptieren es nicht als Bestandteil des Dharma.

Das Problem ist hier, dass man sich Teile des Buddhismus, die einem gefallen, heraussucht und auswählt. Es gibt bestimmte tantrische und Bodhisattva-Gelübde, die verhindern sollen, dass man bestimmte Lehren des Buddhismus einfach streicht oder behauptet, sie seien nicht authentisch; mit anderen Worten, einfach Teile der Lehren herausgreift, andere ignoriert und bloß annimmt, was einem beliebt. Wenn wir den Buddhismus als unseren spirituellen Weg akzeptieren wollen, müssen wir zumindest aufgeschlossen genug sein, um zu sagen: „Diese oder jene Lehre verstehe ich nicht“, selbst wenn sie uns reichlich absurd erscheint, und uns vorzunehmen: „Ich werde mich zumindest mit meinem Urteil darüber zurückhalten, bis ich eine tiefer gehende Erklärung dazu bekomme und es besser verstehen kann“, statt uns dem zu verschließen und es zu verwerfen.

Denken, es wäre einfach, eine weitere Wiedergeburt als Mensch zu erlangen

Ein anderes Missverständnis besteht darin, dass wir, selbst wenn wir Wiedergeburt akzeptieren, meinen, es wäre ganz einfach, wieder eine kostbare menschliche Existenz zu erlangen. Viele meinen: „Ja, ja, ich glaube an Wiedergeburt, und natürlich werde ich dann wieder ein Mensch sein und selbstverständlich alle Möglichkeiten zur Verfügung haben, weiter zu üben.“ Das ist ausgesprochen naiv, ganz und gar naiv. Insbesondere wenn wir an all die destruktiven Verhaltensweisen denken, die wir an den Tag gelegt haben, an das Ausmaß an Zeit, die wir unter dem Einfluss der störenden Emotionen – Ärger, Gier, Selbstsucht usw. – gestanden haben, im Vergleich zu dem Ausmaß an Zeit, in der wir aus reiner Liebe und Mitgefühl gehandelt haben, dann wird ziemlich klar, dass es sehr schwierig werden wird, erneut eine so kostbare Wiedergeburt als Mensch zu erlangen.

Eine kostbare Wiedergeburt als Mensch anstreben, um weiter mit denjenigen zusammen zu sein, die wir lieben

Ein weiterer Irrtum besteht darin, aus Anhaftung an Freunden und Angehörigen nach einer kostbaren Wiedergeburt als Mensch zu streben, damit wir weiter mit ihnen zusammen sein können. Oder auch nur zu denken, dass wir, wenn wir wieder als Mensch geboren werden, dann natürlich auch all unsere Freunde, Verwandten und die Menschen wiedertreffen werden, an denen uns liegt – auch das ist ein Missverständnis. Es gibt unzählige Lebensformen und Wesen, und wir alle werden in verschiedenen Situationen wiedergeboren. Es gibt absolut keine Garantie dafür, dass wir einander wiedertreffen; tatsächlich ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass es immens lange dauern wird, bis wir irgendjemanden aus diesem Leben nochmals treffen. Es könnte sein; es ist nicht so, dass es unmöglich wäre. Aber es ist ein Missverständnis zu meinen, das wäre einfach oder gewiss.

Missverständnisse bezüglich Karma

Denken, man sei schlecht und würde das Reifen der negativen karmischen Potenziale verdienen

Ein anderer Punkt im Zusammenhang mit Karma und Wiedergeburt ist, dass wir – auch wenn wir akzeptieren, dass unser Leiden in diesem Leben aus negativem karmischen Potenzial reift, das in früheren Leben aufgebaut wurde – vielleicht denken: „Wenn ich leide, wenn mir etwas Schlimmes passiert, dann verdiene ich es nicht anders“, oder dass uns recht geschieht, wenn so etwas passiert. Hier beinhaltet das Missverständnis die Auffassung, dass es ein auf feststehende Weise existierendes „Ich“ gäbe, das die Regeln gebrochen hat, schuldig und schlecht ist und jetzt seine verdiente Strafe bekommt. Wir geben dabei die Schuld diesem festen „Ich“, das so schlecht ist und nun bestraft wird. Der Grund für diese Einstellung ist, dass wir die Regeln des Karmas, nämlich Ursache und Wirkung von Verhalten, übermäßig vereinfacht haben.

Denken, wir seien verantwortlich für das Heranreifen des Karmas von anderen

Dann dehnen wir diese Vorstellung von Schuld auch auf unsere Rolle beim Heranreifen des Karmas von anderen aus. Wir sehen nicht, dass am Erleben des Reifens von Karma viele Ursachen und Umstände beteiligt sind, die alle wiederum ihre eigenen Ursachen haben. Es ist ein Missverständnis zu denken, dass wir die Ursache dafür sind, dass das Karma anderer Menschen heranreift. Was sie erleben, entsteht in Abhängigkeit von all diesen Faktoren, nicht nur von uns.

Ich möchte ein Beispiel anführen. Nehmen wir an, ich werde von einem Auto angefahren. Es ist nicht so, dass etwas, das ich in einem früheren Leben getan habe, die andere Person veranlasst, mich anzufahren. Wenn wir denken: „Ich bin karmisch verantwortlich dafür, dass sie mich anfährt“, dann ist das nicht zutreffend. Wofür ich karmisch verantwortlich bin, ist, dass ich es erlebe, angefahren zu werden. Das Karma jener anderen Person ist verantwortlich dafür, dass sie mich mit dem Auto angefahren hat. Somit ist das, was uns passiert, das Resultat der Wechselwirkung von vielen, vielen verschiedenen karmischen Faktoren sowie von störenden Emotionen und allgemeinen Faktoren – etwa dem Wetter: es hat geregnet, die Straße war glatt usw. usw. All das kommt zusammen und führt zu einer Situation, in der wir Leiden oder Probleme erleben.

Missverständnisse bezüglich Gurus

Die Tatsache ignorieren, dass Gurus qualifiziert sein müssen und uns inspirieren müssen

Was nun die Gurus betrifft – ich denke, das ist ein Thema, zu dem es reichlich Missverständnisse gibt, und zwar nicht nur bei Menschen im Westen. Zunächst einmal wird bei all der Betonung, wie wichtig ein spiritueller Meister, ein Guru, ist, oft die Tatsache vernachlässigt, dass dieser qualifiziert sein muss – es gibt Listen, in denen die erforderlichen Eigenschaften und Qualifikation explizit aufgeführt sind. Und selbst wenn der Guru qualifiziert ist, ist es überdies auch von großer Bedeutung, dass wir uns von diesem Menschen inspiriert fühlen.

Einer der wesentlichen Gründe für die wichtige Bedeutung des spirituellen Lehrers ist, dass der Lehrer uns die Inspiration gibt, die Energie dafür, dass wir praktizieren, ein Vorbild ist, dem wir folgen wollen. Informationen können wir auch aus Büchern, aus dem Internet usw. bekommen. Natürlich müssen spirituelle Lehrer Fragen beantworten, und sie müssen imstande sein, uns zu korrigieren, wenn wir in unserer Meditationspraxis Fehler machen. Aber wenn uns der Mensch nicht inspiriert, werden wir nicht sonderlich weit kommen.

Jemanden ohne vorherige genaue Überprüfung als unseren Guru akzeptieren

Weil viele sich nicht darüber im Klaren sind, dass ein spiritueller Meister wirklich qualifiziert sein muss und dass es notwendig ist, sich von ihm inspiriert zu fühlen, sind Schüler oft allzu schnell bereit, jemanden als den eigenen Guru zu akzeptieren, ohne ihn oder sie zuerst hinreichend oder angemessen zu überprüfen. Wir fühlen uns unter Druck, weil betont wird: „Sie brauchen einen Lehrer; man muss unbedingt einen Lehrer haben.“ Und dann laufen wir möglicherweise Gefahr, enttäuscht zu werden, wenn wir später feststellen, dass er oder sie Fehler hat. Wir haben das nicht sorgfältig überprüft. Das ist ein großes Problem, denn es hat allerlei Skandale gegeben im Zusammenhang mit spirituellen Lehrern, die zu Recht oder zu Unrecht beschuldigt wurden, sich ungebührlich verhalten zu haben. Manchmal werden sie dessen zu Recht angeklagt; sie waren eigentlich nicht qualifiziert und wir haben uns durch diese Betonung der Rolle des Gurus unter Druck gefühlt, diesen Menschen als unseren spirituellen Meister zu akzeptieren. Wenn wir dann von den unschönen Dingen hören, an denen diese Person beteiligt war, sind wir am Boden zerstört.

Denken, alle Tibeter, vor allem Ordinierte und vor allem diejenigen, die einen Titel tragen, seien vorbildliche Buddhisten

Als Ergänzung dazu ist noch zu erwähnen, dass es ein Missverständnis ist zu denken, dass alle Tibeter – oder zumindest alle Mönche und Nonnen, oder, um es noch weiter einzuschränken, alle Rinpoches, Geshes und Kenpos – perfekte Beispiele buddhistischer Praxis wären. Das ist eine weit verbreitete falsche Vorstellung. Wir meinen: „Das müssen die perfekten Buddhisten sein: es sind ja Tibeter“ oder „Perfekte Buddhisten: sie tragen ja Roben“, „Ein perfekter Buddhist: er hat ja den Titel Rinpoche. Da muss er ein erleuchtetes Wesen sein“. Das ist reichlich naiv. Die meisten davon sind ganz normale Menschen.

Es mag sein, dass es unter Tibetern einen größeren Anteil praktizierender Buddhisten gibt als in den meisten anderen Gesellschaften und dass es bestimmte buddhistische Werte gibt, die zu ihrer Kultur gehören, aber das heißt keineswegs, dass sie alle vollkommen sind. Und dafür, dass jemand Mönch oder Nonne wird, kann es vielerlei Gründe geben. Unter Tibetern ist es gut möglich, dass eine Familie ein Kind in ein Kloster gibt, weil sie es nicht ernähren konnte, denn im Kloster bekommt das Kind zu essen und eine Ausbildung. Es kann auch spezielle persönliche Gründe geben, etwa dass jemand Probleme hat und die Disziplin des Klosterlebens braucht, um diese Probleme zu überwinden.

Einer meiner Freunde, ein Rinpoche, sagte „Die Roben zu tragen ist ein Zeichen dafür, dass ich diese Disziplin wirklich brauche, denn ich bin ein sehr undisziplinierter Mensch und habe eine Menge störender Emotionen, und ich versuche eben mit aller Kraft, sie zu bewältigen.“ Das heißt nicht, dass diese Person sie bereits überwunden hat. Wir sollten also nicht so naiv sein und denken, dass sie alle erleuchtet wären, insbesondere in Bezug auf die Rinpoches. Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt immer, dass es wirklich ein großer Fehler ist, sich einfach auf den berühmten Namen eines Vorgängers zu verlassen. Er betont, dass die Rinpoches ihre Qualifikation in diesem Leben zeigen und beweisen müssen, statt sich lediglich auf das Renommee ihres Namens zu berufen.

Mönche und Nonnen nicht achten und sie zu Dienstleistenden für die Laien machen

Andererseits ist es auch ein Missverständnis, Mönche und Nonnen nicht zu achten und zu unterstützen, sondern sie in Dharma-Zentren zu Dienstleistenden für die Laien zu machen. Es kommt häufig vor, dass in einem Dharma-Zentrum ein Mönch oder eine Nonne wohnt, und diese müssen dann das Haus sauber halten, aufräumen, alles für die Unterweisungen vorbereiten, das Geld für die Kosten einsammeln. Wenn es sich um ein Zentrum mit Wohnmöglichkeit für Kursteilnehmern handelt, müssen sie sich bei Wochenendkursen auch noch um die Unterbringung kümmern und all so etwas, sodass sie selbst oft nicht einmal die Unterweisungen besuchen können, weil sie alles Mögliche erledigen müssen. Es ist fast so, als würden die Laien denken, die Ordinierten wären ihre Bediensteten.

Dabei sollte es genau umgekehrt sein. Als Mönche und Nonnen verdienen sie großen Respekt, ungeachtet dessen, welcher Stufe ihre ethischen Gelübde angehören. Das ist Bestandteil der Lehren im Zusammenhang mit der sicheren Richtung bzw. der Zufluchtnahme zum Sangha: Man respektiert sogar die Roben selbst. Das heißt nicht, dass man denkt, die betreffenden Personen wären perfekt, und sich diesbezüglich etwas vormacht. Aber ein gewisser Respekt gebührt ihnen schon.

Meinen, der Guru wäre buchstäblich ein unfehlbarer Buddha und alle Verantwortung für das eigene Leben abgeben

Des Weiteren besteht ein großes Missverständnis hinsichtlich des Begriffs der so genannten Hingabe an den Guru. Ich finde, das ist keine sehr hilfreiche Übersetzung, weil es eine fast blinde Verehrung des Gurus nahelegt, wie in einem Kult. Das ist ein riesiges Missverständnis. Der Begriff, der hier im Zusammenhang mit der Beziehung zum spirituellen Lehrer verwendet wird, bedeutet, sich nach einem qualifizierten spirituellen Lehrer zu richten und ihm auf eine Art und Weise zu vertrauen, wie wir uns auf einen qualifizierten Arzt verlassen und ihm vertrauen würden. Der gleiche Begriff wird auch für die Beziehung zu einem Arzt verwendet. Aber aufgrund der Anweisung, den Guru als einen Buddha anzusehen, missverstehen wir das oft und denken, dass der Lehrer unfehlbar sei und wir ihm deshalb fraglosen Gehorsam schulden, wie in einer Sekte. Das ist ein Irrtum. Aufgrund dieser Vorstellung gibt man sämtliche Kritikfähigkeit und die Verantwortung für sich selbst ab und macht sich davon abhängig, ein Mo zu erbitten (mo; Weissagung mittels Würfel oder Ähnlichem) – wir bitten den Lehrer, einen Würfel zu werfen und für uns die Entscheidungen zu treffen.

Unser Ziel ist, selbst Buddhas zu werden, unterscheidendes Gewahrsein zu entwickeln, um imstande zu sein, selbst intelligente und mitfühlende Entscheidungen zu treffen. Wenn ein Lehrer darauf abzielt, uns von ihm abhängig zu machen, etwa weil er auf Macht aus ist, dann stimmt etwas nicht. Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass das in Ordnung wäre, und sich damit abzufinden. Dieser Art Machtbedürfnis eines Lehrers Vorschub zu leisten heißt, dass man sich nicht korrekt an die Richtlinien hält.

Dem Guru die Rolle eines Therapeuten oder Pastors zuschreiben

Es ist ebenfalls ein Missverständnis, auf einen buddhistischen Lehrer die Rolle eines Pastors oder eines Therapeuten zu projizieren, mit dem wir unsere persönlichen Probleme erörtern und den wir um Ratschläge dafür bitten. Das entspricht nicht der Rolle eines buddhistischen spirituellen Lehrers. Ein buddhistischer spiritueller Lehrer erteilt traditionell Unterweisungen, und es ist an uns, zu ergründen, wie wir sie anwenden. Es ist wirklich nur angebracht, Fragen zu stellen, die mit unserem Verständnis der Lehren und unserer Meditationspraxis zusammenhängen.

Wenn man psychologische Probleme hat, geht man zu einem Therapeuten, nicht zum spirituellen Lehrer. Und besonders unangemessen ist es, mit einem Mönch oder einer Nonne über Ehe- und Beziehungsprobleme sowie über sexuelle Probleme zu sprechen. Sie leben im Zölibat, sie haben damit nichts zu tun. Sie sind nicht die passenden Ansprechpartner für diese Art von Problemen. Aber wir, die wir aus einer Tradition mit Pastoren, Priestern, Rabbis oder was auch immer kommen, erwarten oft, dass sie diese allgemeine Funktion übernehmen, uns durch schwierige Situationen in unserem ganz persönlichen Leben zu leiten.

Ich möchte ein Beispiel anführen. Ich habe mich neun Jahre lang in nächster Nähe meines spirituellen Lehrers Serkong Rinpoche aufgehalten; die meiste Zeit über war ich Tag und Nacht in seiner Nähe. In den neun Jahren hat er mir niemals eine persönliche Frage gestellt. Nie. Nicht über mein persönliches Leben, nicht über meine Familie oder meine Herkunft. Nichts davon. Es ging ganz und gar um die täglichen Angelegenheiten, entweder indem er mir etwas beibrachte oder im Zusammenhang damit, dass ich mit ihm zusammen dafür tätig war, anderen zu nutzen – für ihn zu übersetzen, seine Reisen vorzubereiten oder was auch immer. Das war eine sehr andere Art von Beziehung, als wir es gewohnt sind, und die für uns nicht leicht zu verstehen ist.

Bagatellisieren der Zufluchtnahme – des Einschlagens einer sicheren Richtung in unserem Leben

Was das Zusammenwirken mit dem Lehrer betrifft, so bringt uns das zum Thema Zufluchtnahme – etwas, das ich gerne als „sichere Richtung“ bezeichne. Es bedeutet, unserem Leben eine Richtung zu geben, wie sie von Buddha, Dharma und Sangha angezeigt wird. Es ist ein falsches Verständnis der Zufluchtnahme, wenn man sie lediglich als Beitritt zu einem Verein trivialisiert – ihr wisst schon, man schneidet eine Haarsträhne ab, bekommt ein rotes Bändchen, das man sich um den Hals bindet, erhält einen neuen Namen, und schon ist man dem Verein beigetreten. Das wird insbesondere zum Problem, wenn wir den Verein, dem wir beitreten, eher als eine bestimmte Überlieferungslinie des tibetischen Buddhismus statt als Buddhismus im Allgemeinen verstehen, bloß weil der Lehrer einer bestimmten tibetischen Tradition angehört: „Jetzt bin ich Gelugpa geworden“, „Jetzt gehöre ich zu den Karma Kagyüs“, „Jetzt bin ich Nyingma“, „Jetzt bin ich Sakya“. Anstatt: „Jetzt folge ich dem Weg des Buddha“. Aufgrund dieses Missverständnisses werden wir sektiererisch, schließen alles andere aus und suchen niemals ein anderes Dharma-Zentrum auf als dasjenige, dem wir beigetreten sind. Es ist wirklich ziemlich erstaunlich, dass die meisten westlichen Buddhisten, die Dharma-Zentren aufsuchen, immer nur in ein einziges Zentrum gehen und nie einen Fuß in ein anderes setzen.

Die Vorstellung, jeder Lehrer, der in den Westen kommt, müsse sein eigenes Dharma-Zentrum und seine eigene Organisation gründen

Noch verwirrender ist, dass anscheinend jeder Lehrer, der herkommt, gern sein eigenes Dharma-Zentrum und seine eigene Organisation gründen möchte. Ich finde, das ist ein großer Fehler, denn das wird auf die Dauer untragbar. Man kann nicht bis in alle Zukunft vierhundert verschiedene Arten von Buddhismus aufrechterhalten. Außerdem ist das auch sehr verwirrend für neue Interessenten. Und es ist mit großen finanziellen Belastungen und Aufzehrung von Mitteln verbunden, all diese Zentren mit ihren Altären und Bibliotheken zu unterstützen, die Miete zu bezahlen usw. usw. Auch nach Tibet kamen viele verschiedene Lehrer und es wurden verschiedene Klöster gegründet, doch schließlich wurden sie zusammengelegt und es wurden bestimmte Gruppen gebildet. Nicht dieselben Gruppen, die es in Indien gegeben hatte – in Indien gab es keine Kagyü- oder Sakya-Tradition –, sondern Gruppen, die man dann aufrechterhalten konnte, und die verschiedene Überlieferungslinien zusammenführten.

Wir haben zwar große Organisationen im westlichen Dharma – etwa diejenigen, die von Trungpa Rinpoche, von Sogyal Rinpoche, von Lama Yeshe und Lama Zopa ins Leben gerufen wurden usw. –, aber wir müssen noch weiter in die Richtung denken, umfassendere Überlieferungen zu bilden, wie es auch in Tibet geschah. Allerdings müssen dabei zwei Extreme vermieden werden. Das eine ist: Wenn der Buddhismus im Westen zu sehr fragmentiert ist, funktioniert das nicht. Wenn er andererseits aber zu sehr reglementiert wird, funktioniert das auch nicht. Man muss dabei also sehr achtgeben, aber ich denke, es ist ein wichtiges Thema, wie das alles tragfähig bleiben kann.

Denken, wenn wir einen Lehrer haben, könnten wir nicht bei anderen Lehrern studieren

Im Hinblick auf die Tendenz, keine anderen Dharma-Zentren aufzusuchen, ist es ebenfalls ein Missverständnis zu denken, dass wir nicht bei anderen Lehrern studieren könnten, nicht einmal innerhalb der Überlieferungstradition unseres eigenen Lehrers. Die meisten Tibeter haben mehrere Lehrer, nicht nur einen. Es ist dokumentiert, dass beispielsweise Atisha 155 Lehrer hatte. Verschiedene Lehrer haben verschiedene Spezialgebiete. Der eine kann dies, der andere jenes besonders gut erklären. Einer hat diese Überlieferung, ein anderer jene. Viele Lehrer zu haben ist kein Treuebruch gegenüber dem eigenen Lehrer. Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt: Wir können unsere Lehrer ansehen wie den elfköpfigen Avalokiteshvara: jeder Lehrer ist wie ein anderes Gesicht, und alle zusammen bilden eine zentrale Gestalt, die uns spirituell anleitet.

Verschiedene Lehrer haben, die nicht miteinander übereinstimmen

Dann ist es also sehr wichtig, sich nicht an verschiedene Lehrer zu halten, die im Konflikt miteinander stehen. Das bewährt sich nicht. Man muss Lehrer finden, die im Einklang miteinander sind, die etwas haben, was im Tibetischen dam-tshig genannt wird – eine enge und harmonische Verbindung. Denn unglücklicherweise gibt es etwas, das wir manchmal spirituelle Sternenkriege nennen, zwischen verschiedenen spirituellen Lehrern, die sich in Bezug auf bestimmte Angelegenheiten heftig widersprechen – sei es in Bezug auf Beschützer, oder in Bezug darauf, wer der richtige Karmapa ist, oder was auch immer. Wenn man mehr als einen Lehrer hat, sollte man sich also solche aussuchen, die miteinander im Einklang stehen.

Denken, bloß einem Vortrag zuzuhören würde den Redner schon zu unserem spirituellen Lehrer machen

Wesentlich ist auch zu wissen, dass bloß dadurch, dass wir dem Vortrag eines buddhistischen Lehrers zuhören, diese Person nicht automatisch zu unserem spirituellen Lehrer wird, mitsamt all den Verbindlichkeiten und Konsequenzen, die mit dem Vertrauen zum Guru zusammenhängen – auch wenn es durchaus angebracht ist, dem vortragenden Lehrer gegenüber einen gewissen Respekt an den Tag zu legen. Seine Heiligkeit sagt: „Man kann zu den Unterweisungen eines jeden Lehrers gehen und ihnen einfach wie einem Vortrag zuhören, so wie es bei einer Universitäts-Vorlesung der Fall ist.“ Es beinhaltet nichts weiter als das.

Missverständnisse bezüglich der Praxis

Studium und Praxis nicht miteinander verbinden

Was die Praxis betrifft, so ist es ein Missverständnis zu denken, dass die Gelug-Tradition eine Überlieferung sei, die gänzlich aus Studieren besteht, während die Kagyü- und Nyingma-Tradition reine Praxis-Überlieferungen seien. Aufgrund dieser einfältigen Vorstellung meinen wir vielleicht, dass man, wenn man der einen Überlieferung folgt, den jeweils anderen Aspekt vernachlässigt, also entweder das Studium oder die Meditation vernachlässigt. Doch wenn bestimmte Lehrer das eine oder das andere besonders hervorheben, heißt das nicht, dass wir nur das eine üben und das andere ignorieren. Es ist ganz klar, dass wir beides brauchen.

Seine Heiligkeit der Dalai Lama hat kürzlich in einer Audienz für eine Gruppe von Westlern, die in den 70er und 80er Jahren an der Library in Dharamsala studierten, eine sehr schöne Analogie genannt. Er sagte, dass Tantra, Mahamudra, Dzogchen und derartige fortgeschrittene Praktiken wie Finger einer Hand seien. Die Handfläche, die Grundlage, seien die Lehren der indischen Tradition aus dem Kloster Nalanda, die Lehren der indischen Meister aus Nalanda über Sutra. Das Missverständnis besteht darin, zu viel Gewicht auf die Finger zu legen, Manche Lehrer tun das; sie überbetonen die Finger. Sie veranlassen ihre Schüler, nur die Finger zu studieren, und darüber gerät die Hand in Vergessenheit. Die Finger gehen jedoch von der Hand aus und sind getrennt davon nicht funktionsfähig. Ich denke, dass diese Analogie einen sehr hilfreichen Ratschlag beinhaltet. Es ist ein Missverständnis zu denken: „Alles, was ich tun muss, ist Dzogchen zu üben, mich einfach hinzusetzen und ganz natürlich zu sein.“ So zu üben ist eine übermäßige und unangebrachte Vereinfachung dieser Art von Lehren, ohne dass man die Grundlage dafür hat.

Denken, wir wären Milarepa und müssten unser ganzes Leben in Meditationsklausur verbringen

Ebenso ist es ein Missverständnis zu denken, dass wir lauter Milarepas sind und dass jeder – insbesondere wir selbst – ein Leben lang in Klausur verbringen müssten oder zumindest eine dreijährige Klausur machen müssten. Nur wenige Menschen eignen sich dafür, ein Leben zu führen, in dem sie die ganze Zeit meditieren; die meisten müssen sich am sozialen Gefüge beteiligen und zum Wohl der Gesellschaft beitragen. Das ist der direkte Rat seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Es ist überaus selten, dass jemand für ein ganzes Leben in Meditations-Klausur geeignet ist oder dass man aus einer Drei-Jahres-Klausur tiefgreifenden Nutzen ziehen kann und nicht nur dasitzt und drei Jahre lang Mantras rezitiert, ohne wirklich auf tieferer Ebene an sich zu arbeiten.

Denken, wir könnten Erleuchtung erlangen, indem wir nur in unserer Freizeit meditieren

Natürlich ist es notwendig, den ganzen Tag über intensive Dharma-Praxis auszuüben, um Befreiung oder Erleuchtung zu erlangen, und es ist ein Fehler, sich zu überschätzen und zu denken, wir könnten Befreiung und Erleuchtung erreichen, ohne solche ganztägige Übung. Wir denken vielleicht: „Ach, ich kann ja einfach in meiner freien Zeit praktizieren und werde dadurch befreit und erleuchtet werden.“ Auch das ist ein Missverständnis. Ebenso ist es aber auch ein Fehler, unrealistisch zu sein in Bezug auf uns selbst und unsere gegenwärtige Fähigkeit zu höchst intensiver Praxis. Denn was vor allem passiert, wenn wir uns zu sehr antreiben und zu solcher Art von Praxis nicht wirklich imstande sind, ist, dass wir sehr frustriert werden. Wir bekommen das, was die Tibeter „Lung“ nennen, verstörte Nervenenergie – und das macht uns psychisch, emotional und körperlich wirklich fertig.

Unrealistisch in Bezug darauf sein, dass es Äonen von Leben dauern wird, Erleuchtung zu erreichen

Auch dies knüpft ein bisschen daran an, dass wir eigentlich nicht an Wiedergeburt glauben, denn wenn wir nicht an Wiedergeburt glauben, ist unsere Sicht nicht ernsthaft auf langfristige Ziele gerichtet, die man erst nach vielen, vielen Äonen des Übens erreicht. Zwar gibt es die Lehre, die besagt, es sei möglich, Erleuchtung in diesem Leben zu erreichen, aber das sollte nicht als Vorwand dafür dienen zu denken: „Wir haben nur dieses eine Leben, denn es gibt keine Wiedergeburt“ und uns deshalb zu mehr anzutreiben, als wir momentan tun können.

Unterschätzen, wie wichtig ununterbrochene tägliche Übung ist

Auch das Gegenteil davon ist ein Fehler, nämlich die Wichtigkeit täglicher Meditationsübung zu unterschätzen. Wenn wir unsere Dharma-Praxis aufrechterhalten wollen, ist es sehr wichtig eine tägliche Meditationsübung in unseren Tagesablauf einzubauen. Dies hat enorm viele Vorteile im Hinblick auf Disziplin, Verbindlichkeit, Stabilität in unserem Leben und Verlässlichkeit: ganz gleich was passiert, wir werden jeden Tag meditieren. Wenn uns ernsthaft daran gelegen ist, mehr förderliche Gewohnheiten zu entwickeln – und genau darum geht es bei der Meditation –, müssen wir üben.

Video: Geshe Lhakdor — „Wirkliche Meditation“ 
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Was bedeutet „Praktizieren“? Es bedeutet: mit Hilfe von Untersuchung und Wiederholung förderliche Gewohnheiten entwickeln. Wir können uns zum Beispiel in einem geschützten Raum verschiedene schwierige Situationen vorstellen, die uns normalerweise aufregen, und dann den Ursachen für unseren emotionalen Tumult auf den Grund gehen. Wir würden beispielsweise untersuchen: „Warum rege ich mich über diese oder jene Situation auf? Warum werde ich z.B. launisch und gereizt, wenn ich krank werde? Ist es, weil …?“ usw. Dann forschen wir immer tiefgreifender nach und stellen fest: „Nun, ich bin ganz auf mich selbst zentriert. ‘Ich leide. Ich Arme/r.‘“

Auch wenn wir nicht bewusst „ich Arme/r“ denken, während wir krank sind, liegt unser Hauptschwerpunkt auf dem „Ich“, das wir zum herausragenden Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit machen. Und weil uns nicht gefällt, was wir erleben, sind wir verärgert und richten den Ärger auf andere Menschen. In der Meditation untersuchen wir also solche Situationen, die wir aus persönlicher Erfahrung kennen, und entwickeln eine Einstellung, die angesichts der schwierigen Situation hilfreicher ist – in diesem Fall Geduld. Eine tägliche Übung, in der wir solche Dinge untersuchen und darauf hinarbeiten, irgendeine hilfreiche Gewohnheit zu trainieren, ist von großem Nutzen. Es ist ein großes Missverständnis zu denken, wir könnten ohne das auskommen.

Denken, dass buddhistische Praxis lediglich bedeutet, ein Ritual auszuüben

Ebenfalls ein Missverständnis ist es, zu denken, buddhistische Praxis würde bedeuten, lediglich ein Ritual durchzuführen und nicht in erster Linie an sich selbst zu arbeiten. Viele Leute rezitieren, entweder allein oder in einer Gruppe, regelmäßig eine „Sadhana“, einen Text mit tantrischen Visualisationen. Und häufig rezitieren sie den Text auf Tibetisch – in einer Sprache, die sie gar nicht verstehen – und meinen, das wäre „Praxis“. Dzongsar Khyentse Rinpoche führte einen schönen Vergleich an. Er sagte: „Wenn die Tibeter jeden Tag Gebete und allerlei Texte auf Deutsch rezitieren müssten, die in Lautschrift in tibetischer Buchstaben aufgeschrieben wären, ohne dabei die geringste Ahnung zu haben, was sie da eigentlich aufsagen, bezweifle ich, dass es sehr viele gäbe, die das tatsächlich tun würden.“ Aber wir Westler tun das und halten das für „Praktizieren“ und meinen, das würde ausreichen, um Erleuchtung zu erlangen. Doch tatsächlich zu praktizieren bedeutet, an sich selbst zu arbeiten: die Einstellung zu verändern, unseren störenden Emotionen ein Ende zu setzen, indem wir sie untersuchen und tiefer verstehen, und dadurch hilfreichere Gewohnheiten wie z.B. Liebe, Mitgefühl, richtiges Verständnis usw. entwickeln.

Denken, wir müssten tibetische Bräuche übernehmen, um richtig Dharma zu üben

Noch ein Missverständnis in Bezug auf Praxis besteht darin zu denken, dass wir, um richtig Dharma zu praktizieren, tibetischen oder anderen Formen asiatischer Bräuche folgen müssten – etwa einen reich geschmückten Altar in tibetischem Stil einrichten, ein extra „Schrein-Zimmer“ zu Hause oder auch nur in einem Dharma-Zentrum haben. Viele tibetische Lehrer, die in den Westen kommen, richten natürlich ein Dharma-Zentrum gern so ein wie einen tibetischen Tempel, mit entsprechenden Wandfarben, mit Rollbildern dekoriert usw.

Meine tibetischen Freunde sagen: „Wenn es den Westlern gefällt, warum nicht? Das ist ja nichts Schlimmes.“ Aber zu denken, diese Art von Dekoration wäre unbedingt notwendig, ist ein großer Fehler. Vor allem, wenn es mit enormen Kosten verbunden ist, während das Geld auf andere Weise erheblich nützlicher verwendet werden könnte. Wir brauchen keine aufwändige Ausstattung in tibetischem Stil, sei es im Dharma-Zentrum oder zu Hause, um tibetischen Buddhismus zu praktizieren. Wenn der Raum, in dem wir meditieren, sauber und aufgeräumt ist und auf diese Weise unser Respekt vor dem zeigt, was wir tun, ist das vollkommen ausreichend.

Denken, dass es schnell gehen wird, unsere störenden Emotionen loszuwerden

Zwar liegt das Hauptgewicht im Dharma darauf, die Ursachen des Leidens für immer zu beseitigen – nämlich unsere Unwissenheit, unser mangelndes Gewahrsein in Bezug auf die Realität, unsere störenden Emotionen usw. –, aber es ist ein weiteres Missverständnis zu denken, dass es schnell gehen wird, die störenden Emotionen zu überwinden. Wir vergessen leicht, dass wir erst, wenn wir ein Arhat, ein befreites Wesen sind, völlig frei von Ärger, Anhaftung usw. sein werden – auch wenn sie auf dem Weg dahin allmählich in immer geringerem Ausmaß auftreten werden. Wenn wir diese Tatsache vergessen, verlieren wir leicht den Mut, wenn wir nach jahrelanger Praxis immer noch ärgerlich werden. Das kommt ziemlich häufig vor.

Es ist ein Fehler, keine Geduld mit sich selbst zu haben. Wir müssen erkennen, dass es in der Dharma-Praxis auf und ab geht, genau wie Samsara immer auf und ab geht. Langfristig können wir hoffen, dass es besser wird, aber es wird nicht ganz einfach sein. Es ist also ein Fehler, keine Geduld mit uns selbst zu haben, wenn wir Phasen erleben, in denen es nicht vorangeht und wir niedergeschlagen sind. Andererseits müssen wir auch das andere Extrem vermeiden, nämlich zu nachgiebig mit unseren schlechten Gewohnheiten zu sein und zu lasch oder zu faul zu sein, um an uns selbst zu arbeiten. Der Mittelweg ist hier: uns nicht selbst fertigzumachen, wenn wir immer noch ärgerlich werden, aber auch nicht einfach zu sagen. „Gut, ich bin ärgerlich“ oder „Ich habe eben schlechte Laune“, ohne zu versuchen, irgendeine Methode des Dharma anzuwenden, um da herauszukommen.

Es ist sehr interessant zu beobachten, welchen Optionen wir uns zuwenden, wenn wir schlechte Laune haben. Wende ich mich der Meditation zu? Wende ich mich der Zuflucht zu? Oder wende ich mich der Tafel Schokolade oder sexuellen Aktivitäten oder dem Fernseher oder Gesprächen mit Freunden oder dem Surfen im Internet zu? Wohin wende ich mich? Ich denke, das sagt sehr viel über unsere Dharma-Praxis aus – wie wir damit umgehen, wenn wir schlecht gelaunt sind.

Zusammenfassung

Dies sind einige der Missverständnisse, die mir einfielen, als ich mich hinsetzte und über dieses Thema nachdachte. Ich bin sicher, dass es noch viel mehr gibt, was man auflisten könnte. Wie gesagt, viele Missverständnisse entstehen einfach deswegen, weil das Material schwierig ist, insbesondere bei Themen wie Leerheit, den unterschiedlichen Lehrsystemen usw. Einer der wesentlichen Punkte am Dharma ist: Alles, was Buddha lehrte, lehrte er, um anderen zu nutzen. Wenn wir das ernst nehmen, versuchen wir herauszufinden, was der Zweck all jener verwirrenden Punkte in den Lehren ist. Wenn wir etwas nicht verstehen, versuchen wir es mithilfe der Methoden des Dharma und mit logischen Überlegungen zu entschlüsseln, und wenn das nicht gelingt, fragen wir jemanden, den wir als kompetent dafür anerkennen. Wenn wir aufgeschlossen sind und bereit sind anzunehmen, dass ein großer Teil unserer Verwirrung auf Missverständnisse zurückzuführen ist, werden wir offen dafür sein, Berichtigungen zu akzeptieren, sodass wir den größten Nutzen aus den Lehren ziehen können.

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