Geistestraining für die anfängliche Stufe des Lam-rim

Verse 1 bis 7

Die Tatsache nutzen, dass man sich an einem heiligen Ort befindet

Wie ich es gestern erklärt habe, befinden wir uns hier an einem besonderen Ort, an dem der Buddha seine Erleuchtung manifestiert hat und an dem sich zahlreiche erleuchtete Wesen aufgehalten haben. Zum Beispiel Nagarjuna und seine beiden spirituellen Söhne, ebenso wie zahlreiche Tibeter. Sie alle haben hier in Bodhgaya gelebt. Sanggye Yeshe beispielsweise kam vor langer Zeit aus Kham hierher und wurde der Abt des hiesigen Klosters. Auch zahlreiche andere Menschen kamen aus verschiedenen Ländern und konnten dank der Inspiration, die von diesem Ort ausgeht, zahlreiche Einsichten gewinnen. Dies ist eine spezielle Eigenschaft dieses heiligen Ortes. Wenn wir also, die wir uns ebenfalls hier befinden, eine starke, korrekte Motivation haben, und wenn wir innig beten, dann können wir mithilfe von viel freudiger Ausdauer und durch korrektes Üben ebenfalls viel positive Kraft aufbauen.

Etwas, das besonders für diejenigen unter Ihnen gilt, die von Tibet hierher gekommen sind: Obwohl die dortigen Bedingungen so schwierig sind, sollten Sie versuchen, die Tatsache, dass wir uns jetzt an einem so heiligen Ort befinden, voll zu nutzen, und so viel positive Kraft wie möglich entwickeln. Wir alle hier haben viel Glück. In einer Zeit wie der gegenwärtigen, in der in unserer Welt soviel ungezügelte Verblendung, soviel Begierde und soviel Hass bestehen, ist es äußerst wertvoll, die Gelegenheit zu haben, den Lehren des Buddha über das Mitgefühl, die Liebe und so weiter, folgen zu können. Obwohl es soviel Reichtum in der Welt gibt, ist es doch unmöglich, dass wir uns mit Geld die Freiheit von Tod, vom Alter und von anderen grundlegenden Problemen erkaufen könnten. Da das Leiden von der geistigen Seite kommt, können äußere Umstände, wie der Reichtum, das geistige Leiden nicht beseitigen. Daher ist es sehr wichtig, spirituellen Methoden zu folgen, und es ist wundervoll, dass Sie, aus all diesen verschiedenen Traditionen stammend, dieses Interesse am Buddhismus haben.

Schauen Sie sich die zahlreichen westlichen Menschen an, die hier unter uns sind. Sie sind aufgrund ihres aufrichtigen Interesses am Buddhismus gekommen. Sie meditieren, rezitieren Gebete, praktizieren und wissen wirklich Einiges. Ihr Interesse am Buddhismus kommt dadurch zustande, dass sie mit Logik und Verstand darüber nachgedacht haben. Bevor sie die buddhistischen Lehren akzeptiert haben, haben sie diese zunächst analysiert. Anhand ihres Beispiels können wir erkennen, dass es eine sehr kostbare und bedeutende Gelegenheit ist, an einem solch heiligen Ort wie diesem, in Bodhgaya, zu sein. Hier erinnern wir uns an all die großen Taten und Werke, und an all die Qualitäten der erleuchteten Wesen. Da es wirklich sehr selten ist, sich an einem Ort zu befinden, der dermaßen förderlich ist für konstruktives Handeln und Denken müssen wir versuchen, hier so viel positive Kraft wie nur möglich aufzubauen. Je mehr konstruktive Dinge wir hier tun, desto mehr positive Kraft bauen wir auf – sogar noch mehr als sonst irgendwo, einfach deshalb, weil dies ein besonderer Ort ist. Verstehen Sie, was ich meine?

Praktischer Ratschlag für Besucher aus Tibet

Obwohl es nicht verboten ist, Dinge zu verkaufen, während Sie hier sind, sollten Sie ehrlich sein. Es ist in Ordnung, wenn Sie bei Ihren Verkäufen einen Profit erzielen, doch seien Sie nicht gierig oder unehrlich. Außerdem: Schwätzen Sie nicht und gehen Sie nicht Ihren Tagträumen nach, wenn Sie Umwandlungen machen; seien Sie aufmerksam und respektvoll. Werfen Sie bitte nicht überall Papier auf den Boden und gehen Sie nicht überall auf die Toilette. Ich kann nachvollziehen, dass Sie Stunden lang warten müssen, wenn Sie Schlange stehen, um auf die Toilette zu gehen, und dass Sie daher manchmal andere Lösungen finden müssen, doch seien Sie bitte so sauber wie möglich. Tibet ist ein kaltes Land, doch in Indien sind die Bedingungen im Tiefland anders. Verschmutzen Sie diesen Ort daher nicht überall. Seien Sie sorgfältig und verantwortungsbewusst.

Es ist auch sehr gut, Niederwerfungen zu machen, egal ob man sie mit gebeugten Knien oder mit dem ganzen Körper ausführt, doch führen Sie die Niederwerfungen bitte in der richtigen Weise aus. Setzen Sie Ihre Hände flach auf dem Boden auf, mit der Handfläche nach unten. Bringen Sie Kerzen dar. Sie könne solche Dinge tun. Das ist sehr gut; das ist ausgezeichnet. Rezitieren Sie Gebete, meditieren Sie; auch wenn Sie das nicht mit einsgerichteter Konzentration tun, entwickeln Sie gute Gewohnheiten. Am wichtigsten ist es, eine reine Motivation zu entwickeln. Deshalb müssen wir bei allem, was wir tun, unseren Geist und unsere Motivation untersuchen. Dies ist sehr wichtig. Wir müssen die Kraft unser störenden Emotionen und Geisteshaltungen so weit wie möglich reduzieren.

Das Beste, was man tun kann, ist die Geisteshaltung zu entwickeln, mit der wir die anderen Lebewesen für wichtig halten und uns selbst als unwichtig betrachten. Dies ist die Essenz des Mahayana-Buddhismus. Entwickeln Sie ein gütiges und warmes Herz. Der Punkt auf des es wirklich ankommt, ist, dass man in den eigenen Handlungen konstruktiv ist und ein gütiges, warmes Herz hat. Wenn wir aus Stolz, aus Wettbewerbsdenken oder aus Neid äußerliche Dharma-Handlungen ausführen, dann bildet dies lediglich negative karmische Kraft. Deshalb ist das, was wir tun und warum wir es tun, von zentraler Bedeutung. Wir müssen unsere Motivation ständig beobachten und verbessern.

Die Motivation ausrichten

Da wir uns hier an diesem heiligen, besonderen Ort befinden, sollte wir versuchen, so sehr wie möglich von einer erleuchtenden Motivation beseelt zu sein. Indem wir uns ständig an das Vorbild der Buddhas erinnern und daran, wie sie einen Bodhichitta-Ausrichtung entwickelten, sollten wir, so sehr wir können, versuchen, die Buddhas zu imitieren. Wenn wir an einem Ort wie diesem ein gütiges Herz und eine umfassende Motivation entwickeln, dann ist dies sehr nutzbringend. Verstehen Sie, was ich meine?

Wie es im „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ heißt, versuchen wir, nie wütend zu werden. Wie es dort erklärt wird, gibt es nichts, dass in einem stärkeren Ausmaß positive Kraft zerstört als die Wut. Versuchen Sie folglich nie die Fassung zu verlieren und nie auf jemanden wütend zu werden. Versuchen Sie Ihren Geist zu zähmen und zu disziplinieren, damit er nicht roh oder ungehobelt bleibt. Anstatt neidisch auf das zu sein, was die anderen tun und auf das, was sie verwirklicht haben, erfreuen Sie sich lieber an der positiven Kraft, die jeder hier hervorgebracht hat. Rezitieren Sie das „Siebengliedrige Gebet“ und gehen Sie jeden seiner Punkte geistig gut durch. Versuchen Sie soviel positive Kraft wie Sie nur können aufzubauen. Haben Sie das verstanden? Und wenn wir hier gemeinsam ein bisschen positive Kraft aufbauen können, dann wird dies unser Leben viel besser machen, oder etwa nicht?

Nun versuchen Sie bitte eine Bodhichitta-Motivation zu erzeugen, damit Sie diesen Lehren mit dem bestmöglichen Nutzen zuhören können. Es handelt sich um die „Die siebenunddreißig Bodhisattva-Praktiken“ von Togme Zangpo. Der Text gliedert sich in drei Teile: Der Anfang, die eigentliche Besprechung und der Schluss. Die eigentliche Besprechung gliedert sich in die drei Ebenen der Motivation, wie sie im Lam-rim oder „Stufenpfad“, erklärt werden. Als erstes kommt die anfängliche Ebene der Motivation.

Das kostbare menschliche Leben

(1) Die Übung der Bodhisattvas ist: jetzt, da wir das große Boot zur Verfügung haben, das so schwer zu finden ist, [nämlich ein menschliches Leben,] das mit reichen Ausstattungen versehen ist und uns Muße gewährt, Tag und Nacht unbeirrt zuzuhören, nachzudenken und zu meditieren, um uns selbst und andere aus dem Ozean des zwanghaften Daseinskreislaufs zu befreien.

Der Dharma ist ein Methodensystem, das dazu dient, einen friedlosen Geist in einen friedlichen, und einen ungezähmten Geist in einen gezähmten Geist zu verwandeln. Wir alle sind uns darin gleich, dass wir uns Glück und die Abwesenheit allen Leidens wünschen. Der Dharma ist das, was diesen Wunsch verwirklicht. Doch die Menschen wissen nicht, wie sie dies üben sollen. Betrachten wir unseren menschlichen Körper. Wir könnten uns denken, dass er sich lediglich in der Gattung bzw. der Abstammungslinie unserer Eltern befindet. Doch wenn wir die Dinge tiefgründiger betrachten, dann stellen wir fest, dass unser Körper auch in die Kategorie der Dinge gehört, die Ruhepausen und Bereicherungen haben. „Ruhepausen” bedeutet hier Unabhängigkeit oder Freiheit – die Freiheit, den Dharma zu praktizieren. Nehmen wir uns selbst hier als ein Beispiel: Wir haben die Freiheit, hierher zu kommen und den Dharma zu praktizieren, oder etwa nicht? Wir sind nicht taub, es fehlen uns nicht die verschiedenen Fähigkeiten, ohne die wir die Lehren nicht hören könnten. Wir sind mit allen für die Praxis förderlichen Bedingungen ausgestattet, und die nicht förderlichen Bedingungen sind hier nicht gegeben. Tatsächlich haben wir acht solche Ruhepausen und zehn solche Bereicherungen.

In der Welt gibt es viele Menschen, die eine menschliche Wiedergeburt erlangt haben, doch nur wenige davon haben die Unabhängigkeit und Freiheit, die notwendig sind, um den Dharma zu praktizieren. Wir haben daher sehr viel Glück, selbst eine so seltene Gelegenheit zu haben. Außerdem befinden sich in dieser Welt spirituelle Lehrer, die dem Beispiel des Buddha folgen und seine Taten fortführen, und diese Lehrer sind für uns verfügbar. Diese positiven Wirkungen, die wir jetzt erleben, sind aus vergangenen Ursachen entstanden, die den jetzigen Ergebnissen ähneln. Mit anderen Worten: Unser jetziges Glück muss aus konstruktiven Ursachen entstanden sein, die wir in der Vergangenheit gelegt haben. Um also auch in der Zukunft solche Gelegenheiten und eine solche gute Arbeitsgrundlage zu erlangen, müssen wir dafür jetzt die konstruktiven Ursachen schaffen.

Wenn wir ohne Anhaftung, Abneigung oder Naivität handeln, dann wird es nicht schwer sein, die konstruktiven Ursachen dafür aufzubauen, dass man in Zukunft eine kostbare menschliche Wiedergeburt erlangt. Da wir uns aber tatsächlich sehr selten so verhalten, müssen wir die Gelegenheit, die wir in diesen Tagen haben, so gut wie möglich nutzen. Lassen Sie sich nie entmutigen; bitte fühlen Sie sich niemals unzulänglich. Versuchen Sie sich bitte so konstruktiv wie möglich zu verhalten.

Einen konstruktiven oder gezähmten Geist können wir weder in einem Geschäft kaufen, noch auf einem Feld anpflanzen, und ebenso wenig können wir einen gezähmten Geist von einem Bankhaus erwerben. Ein gezähmter Geist entsteht durch die tatsächliche Praxis des Zähmens unseres Geistes. Wir müssen üben, um Meditations-Erfahrungen zu machen und stabile Verwirklichungen zu erlangen. Daher müssen wir dem Beispiel der großen Lehrer der Vergangenheit folgen.

In Tibet kamen als erstes die großen Nyingma-Lamas; dann kamen Atisha und die Kadam-Linie; die Sakya-Lamas; Marpa, Milarepa und Gampopa von der Kagyü-Linie, und so weiter. Sie alle scheuten keine Mühe und erlangten durch enorme Anstrengungen die Erleuchtung. Es liegt ausschließlich in unserer Hand, ob wir ihrem Beispiel folgen. Wir müssen uns selbst prüfen und uns fragen: „Was für Fortschritte habe ich in den letzten fünf Jahren, in den letzten zehn Jahren, in den letzten fünfzehn Jahren dabei gemacht, meinen Geist zu zähmen?“ Wenn wir erkennen, dass wir tatsächlich einen kleinen Fortschritt bei der Zähmung unseres Geistes erzielt haben, dann kann uns dies ermutigen. Werden Sie dabei nicht stolz oder so etwas. Wenn wir aber merken, dass wir uns über einen Zeitraum von fünf bis zehn Jahren ein wenig verbessern können, dann werden wir uns auch kurzfristig nicht entmutigen lassen.

Die tatsächliche Praxis besteht darin, dass man die Lehren hört, über sie nachdenkt und über sie meditiert. Wenn wir die Lehren hören oder studieren, müssen wir allerdings immer kontrollieren, mit welcher Geisteshaltung wir dies tun. Was auch immer wir hören, wir sollten es sofort in die Praxis umsetzen. Unsere Praxis des Zuhörens, unsere Praxis des Nachdenkens und unserer Praxis des Meditierens sollten nie voneinander getrennt sein und wir sollten keine von ihnen auslassen.

Die optimalen Umstände, um ein kostbares menschliches Leben zu nutzen

(2) Die Übung der Bodhisattvas ist, den Heimatort zu verlassen, wo uns einerseits die Anhaftung an Freunde aufwühlt wie Wasser und andererseits der Ärger über Feinde wie Feuer in uns brennt, und wo uns Naivität in Dunkelheit hüllt, sodass wir vergessen, was anzunehmen und was aufzugeben ist.

Am besten ist es, unsere Heimat zu verlassen, doch auch wenn wir dies nicht tun oder es nicht tun können, sollten wir die verschiedenen Formen der Anhaftung und der Abneigung aufgeben, die bezüglich unseres Heimatlandes entstehen. Denken Sie nicht: „Das ist mein Land, dies ist meine Familie“, so als gäbe es ein auffindbares, inhärent existierendes Land, für das man Anhaftung verspüren oder dessen Feinde man hassen könnte. Anhaftung und Abneigung ziehen destruktives Verhalten nach sich; dadurch erzeugen Sie sehr viel negative Kraft und bringen viel Leiden hervor. Unter all unseren störenden Emotionen und Geisteshaltungen sind diese beiden inneren Störenfriede die schlimmsten, und beide entstehen aus unserer Unwissenheit (Ignoranz).

Wenn wir unsere Heimat verlassen und in ein anderes Land ziehen, aber dort dann neue Freundschaften schließen und Anhaftung und Abneigung entwickeln, dann ist dies nutzlos. Vollkommen nutzlos. Der entscheidende Punkt ist, dass wir uns von der Anhaftung und der Abneigung befreien und diese durch eine Geisteshaltung ersetzen, die das Wohl der anderen wünscht. Wenn wir anderen Menschen gegenüber Anhaftung oder Abneigung verspüren, dann kann auch bloß eine kleine Veränderung in ihrem Verhalten dazu führen, dass wir sie plötzlich hassen. Doch wenn wir stattdessen eine Einstellung der Liebe und des Mitgefühls haben und diesen Menschen helfen wollen, dann werden wir uns selbst dann, wenn sie sich schlecht verhalten, weiterhin wünschen, dass sie glücklich sind. Daher sollten wir unsere Anhaftung durch den Wunsch ersetzen, dass den anderen Lebewesen Gutes widerfahren möge.

Die meisten von uns hier haben ihre Heimat verlassen, doch daran ist nichts Wunderbares oder Außerordentliches, solange wir weiterhin Anhaftung und Abneigung in uns tragen. Wir müssen uns von Anhaftung und Abneigung trennen.

(3) Die Übung der Bodhisattvas ist, sich der Einsamkeit abgelegener Orte anzuvertrauen, wo die störenden Emotionen und Einstellungen nach und nach verblassen, indem wir von der Beschäftigung mit abträglichen Objekten ablassen,und wo unsere aufbauenden Aktivitäten auf natürliche Weise zunehmen, weil es keine Ablenkungen gibt, und, indem wir unser Gewahrsein läutern, die Gewissheit hinsichtlich des Dharma wächst.

Wenn wir von denen getrennt sind, die uns stören, und wenn es in unserem Kopf nicht sehr geschäftig zugeht, dann wenden wir uns automatisch leichter konstruktiven Aktivitäten zu. Daher ist es am hilfreichsten, zurückgezogen und in der Stille zu leben. Um aber in der Einsamkeit meditieren zu können, brauchen wir die volle Kraft, die daraus entsteht, dass man ohne Abneigung und Anhaftung die Lehren anhört und über sie nachdenkt.

Wir haben also eine kostbare menschliche Wiedergeburt erlangt. Nun sollten wir sie richtig nutzen und diese Gelegenheit nicht verpassen, da sie nicht ewig bestehen wird. Wie es in „Die drei Hauptaspekte des Pfades“ heißt, müssen wir also aufhören, uns in einer zwanghaften Weise nur um dieses eine Leben zu kümmern. Wenn wir uns vor allem auf die zukünftigen Leben konzentrieren, dann wird auch in diesem Leben alles gut gehen. Wenn aber unsere ganze Aufmerksamkeit auf dieses Leben gerichtet ist, dann wird dies unseren zukünftigen Leben überhaupt nichts nutzen. Daher sollten wir uns nicht nur um die Angelegenheiten dieses Lebens kümmern, sondern daran arbeiten, unsere zukünftigen Leben zu verbessern. Um dies zu bewerkstelligen, müssen wir über die Vergänglichkeit kontemplieren.

Vergänglichkeit

(4) Die Übung der Bodhisattvas ist, vom ausschließlichen Trachten nach den Belangen des jetzigen Lebens abzulassen, in dem sich Freunde und Bekannte, die lange vereint waren, schließlich doch trennen müssen, Reichtum und Besitztümer, die mit Anstrengung zusammengetragen wurden, doch zurückgelassen werden müssen, und unser Bewusstsein, der Gast, das Gasthaus des Körpers verlassen muss.

Wenn wir uns die Weltgeschichte ansehen, dann können wir feststellen, dass niemand in den drei Bereichen des zwanghaften Wiedergeborenwerdens jemals ewig gelebt hat. Schauen Sie sich die berühmten Orte der Vergangenheit an, wie etwa Nalanda, wo der große Atisha und andere gelehrt haben. Heute gibt es dort nur noch Ruinen. Solche Überlegungen helfen uns dabei, die Vergänglichkeit zu erkennen. Nehmen Sie beispielsweise die Sitten und so weiter, die in der Vergangenheit in Tibet herrschten. Diese Umstände sind vergangen; sie sind vergänglich und sind zu einem Ende gekommen. Es ist sicher, dass von uns, die wir hier versammelt sind, in hundert Jahren niemand mehr am Leben sein wird. Unser geistiges Kontinuum von reinem Gewahrsein und reiner Klarheit wird weitergehen; vergangene und zukünftige Leben existieren mit Sicherheit. Doch die Dinge, die wir jetzt erleben – unser Reichtum, unser Wohlstand, all diese Dinge, die wir aufgrund der Ursachen vergangener Leben erhalten haben – all dies wird nicht weiter bestehen. Egal, wie nahe wir anderen Menschen stehen, etwa unserer Familie, wir werden uns trennen und verschiedene Wege gehen müssen. Diejenigen, die positive Kraft aufgebaut haben, werden Glück erfahren, und die, die dies nicht getan haben, werden kein Glück erfahren. Die Kontinuität des bloßen Ichs, das auf die feinstoffliche Energie und das Bewusstsein etikettiert wird, setzt sich mit Sicherheit weiter fort. Deshalb werden wir die Früchte der Handlungen, die wir heute begehen, ernten. Daher ist das, was wir jetzt tun, von äußerster Wichtigkeit.

Wenn wir sterben, gehen wir alle alleine. Sogar der Dalai Lama muss alleine gehen, wenn er stirbt. Als Mao Zedong starb, ging auch er alleine. Seine Frau Jiang Qing begleitete ihn nicht, ebensowenig wie seine Volksmassen. Der ganze Ruhm, den er während seines Lebens angesammelt hatte, half ihm überhaupt nicht. Wir können sehen, was danach geschah. Sogar ein so bedeutender Mann wie Mahatma Gandhi ging alleine. Er musste seinen Stab, seinen Sandalen und seine Brille mit dem runden Drahtgestell zurücklassen. Wir können sie in der Gedenkstätte sehen, die ihm gewidmet ist; er hat nichts mitgenommen. Äußerer materieller Besitz, Freunde, Verwandte, nichts hilft uns im Augenblick des Sterbens, noch nicht einmal der Körper, den wir von unseren Eltern erhalten haben. Wie Gungtang Rinpoche erklärt hat: Wir müssen alle alleine sterben.

Nehmen Sie uns Tibeter als ein Beispiel, betrachten Sie sich selbst. Auch wenn wir durch solch schwierige Zeiten gehen, so sind wir doch immer noch Menschen. Wenn wir aber sterben, gibt es keine Garantie dafür, dass wir danach wieder ein Mensch sein werden. Wenn wir schon jetzt als Menschen keinerlei Fortschritte machen, was werden wir dann in einem späteren Leben ausrichten können, wenn wir noch nicht einmal mehr Menschen sind? Natürlich müssen wir in unserem jetzigen Zustand Nahrung zu uns nehmen. Mit der Ausnahme von herausragenden Wesen, die von einsgerichteter Meditation leben können, müssen wir alle regelmäßig handfeste Mahlzeiten zu uns nehmen. Daher müssen wir offensichtlich Nahrungsmittel anpflanzen und einige Dinge für diese Lebensspanne erledigen. Doch dies sollte nicht zu unserer einzigen Besessenheit werden. Wir sollten vielleicht etwa 30% diesem Leben widmen, und 70% den zukünftigen Leben, oder, noch besser 50\50. Der wichtigste Punkt ist, dass wir uns nicht vollständig und ausschließlich nur diesem Leben widmen.

Warum es so wichtig ist, die richtige Art von Freunden zu haben

(5) Die Übung der Bodhisattvas ist, sich von schlechten Freunden zu trennen, in deren Gesellschaft sich die drei giftigen Emotionen in uns verstärken, sich unsere Aktivitäten des Zuhörens, Nachdenkens und Meditierens verringern und unsere Liebe und unser Mitgefühl schwinden.

Wir müssen also vor allem an unsere zukünftigen Leben denken und um dies tun zu können, brauchen wir gute Freunde. Sie sind wichtig, da sie uns sehr stark beeinflussen. Auch wenn wir selbst sehr wenig von den Lehren gehört haben und sehr wenig darüber nachgedacht haben, kann uns das Vorbild guter Freunde dazu inspirieren, mehr zu tun.

Es ist also wichtig, Freunde zu haben, die dieselben Neigungen haben wie wir. Warum? Wie es im Vers heißt schadet uns die Gesellschaft schlechter oder fehlleitender Freunde und deshalb sollten wir uns von ihnen distanzieren. Natürlich müssen wir weiterhin ein Gefühl der Liebe für sie verspüren – d. h., dass wir den Wunsch entwickeln, dass sie glücklich sein mögen. Doch wir sollten uns von ihrem negativen Einfluss fernhalten.

(6) Die Übung der Bodhisattvas ist, die würdigen spirituellen Lehrer wertzuschätzen, mehr noch als unseren eigenen Körper, denn wenn wir auf sie vertrauen, verringert sich unser fehlerhaftes Verhalten und unsere guten Eigenschaften wachsen an wie der zunehmende Mond.

Wenn wir lebensbejahende Freunde haben, die positiv denken und den Kontakt zu Gurus oder spirituellen Mentoren pflegen, dann werden sie den besten Einfluss auf uns haben. Natürlich benötigen wir einen Guru, der zu uns passt; doch selbst wenn ein solcher Guru uns gut gefällt, muss er oder sie vollständig qualifiziert sein. Wir Tibeter haben Tulkus oder reinkarnierte Lamas mit berühmten Namen, doch sie müssen vollständig qualifiziert sein, ansonsten sind die großen Namen bedeutungslos. Daher sollten wir den Tulku-Titel einer Person beiseite legen und seine oder ihre persönlichen Qualifikationen prüfen. Nur wenn sie vollkommen qualifiziert sind, sind sie Gurus oder Lamas.

Zahlreiche Tulkus sind tatsächlich keine Lamas. Sie haben keine Qualifikationen, obwohl sie möglicherweise sehr viel Grundbesitz haben und sehr reich sind. Geld, ein großer Name und viel Ruhm machen allerdings niemanden zu einem Lama. Wir müssen daher ihre tatsächlichen Qualifikationen untersuchen, was sie studiert haben und so weiter. Eine solche eingehende Prüfung ist äußerst wichtig. Der Buddha selbst und auch Tsongkhapa haben betont, wie wichtig eine solche Prüfung sei.

Eine gesunde Beziehung zwischen Schülern und ihren spirituellen Mentoren ist von einer äußerst entscheidenden Bedeutung. Wenn die Gurus voll qualifiziert sind, können wir uns ihnen voll anvertrauen und tun, was auch immer sie sagen, wie es bei Naropa und Tilopa der Fall war. Wenn Tilopa Naropa dazu aufforderte, irgendwo herunter zu springen, dann tat Naropa dies, ohne irgendeinen Zweifel dabei zu haben. Doch wenn unsere Gurus nicht das Niveau einer Person wie Tilopa haben, dann sollten wir nicht einfach losziehen und alles tun, was uns irgendjemand sagt. Wir würden nicht auf dieses Stupa-Monument klettern und dann runterspringen, einfach weil irgendein Dummkopf uns gesagt hat, dass wir dies tun sollten, oder?

Der wichtigste Punkt für uns Anfänger ist, dass wir eine feste Grundlage in ethischer Selbstdisziplin entwickeln, auf die wir dann weiter aufbauen können. Der Pfad, den wir Tibeter praktizieren, ist hervorragend. Wir haben die Grundlage ethischer Selbstdisziplin, auf der dann die Mahayana-Praxis der Liebe und des Mitgefühls steht. Und an der Spitze haben wir dann die Praxis des Tantras, und zwar in all seinen vier Klassen. Wir Tibeter sind tatsächlich die einzigen Buddhisten, die den gesamten Pfad der Lehren des Buddha praktizieren, und zwar auf der Grundlage, dass eine einzige Person alles praktiziert.

In Thailand, Burma und Sri Lanka haben sie zum Beispiel nur den Teil der ethischen Selbstdisziplin, während ihnen das Mahayana und die Tantras fehlen. In Japan, Korea und an einigen anderen Orten, wo es den Mahayana-Buddhismus gibt, gibt sie auch einige Tantras, jedoch nur die ersten drei Klassen von Tantra: Kriya, Charya und Yoga. Ihre Systeme beinhalten kein Anuttarayoga-Tantra, also nicht die vierte Tantra-Klasse. An einigen Orten gibt es zwar eine Darstellung der Leerheit, doch nur eine Betrachtungsweise der Leerheit aus dem Blickwinkel des Chittamatra-Systems oder des Yogachara-Svatantrika-Systems der Madhyamaka-Schule, jedoch keine Darstellung der Sichtweise der Prasangika-Madhyamaka-Schule. An einigen Orten scheint es eine Form des Mahayana-Buddhismus zu geben, allerdings ohne eine Grundlage ethischer Disziplin, und andere versuchen sogar das Tantrayana zu praktizieren, wobei ihnen die anderen beiden Elemente fehlen. Nur unter uns Tibetern gibt es den vollständigen, gesamten Pfad als Praxis, der als ganzes von einer einzigen Person ausgeübt werden kann. Und diese Person muss jeder von uns selbst sein.

Sichere Richtung (Zuflucht)

(7) Die Übung der Bodhisattvas ist, die sichere Richtung der höchsten Juwelen einzuschlagen, indem wir den Schutz derer suchen, die niemals trügen, denn wen können schon weltliche Götter beschützen, die selbst noch im Gefängnis von Samsara gefesselt sind?

Dies bringt uns zum „Einschlagen einer sicheren Richtung“ bzw. der Zufluchtnahme. Wenn wir eine sichere Richtung einschlagen wollen, müssen wir uns an die guten Qualitäten der drei Juwelen erinnern. Auf Tibetisch ist das Wort für Buddha Sanggye (tib. sangs-rgyas). „Sang“ bedeutet, all das zu beseitigen, was man beseitigen muss, alle Fehler zu eliminieren. Und „gye“ bedeutet, alle guten Qualitäten zu verwirklichen oder zu erlangen. Das Sanskritwort „Dharma“ bedeutet „zu halten“: D. h. jemanden von dem zurückzuhalten oder abzuhalten, was nicht förderlich ist. Mit anderen Worten gesagt, halten wir uns vom Leiden zurück, wenn wir den Dharma praktizieren.

Tatsächlich bezieht sich das Dharma-Juwel auf die edlen Wahrheiten der wahren Beendigungen und der wahren Pfade. Die wahre Beendigung der flüchtigen Makel unseres Geistes, d. h. ihre Auflösung in die reine Sphäre der Leerheit ist eine wahre Beendigung. Die pfadgleichen Geisteszustände, bei denen man eine nichtkonzeptuelle einfache Wahrnehmung der Leerheit hat, sind wahre Pfade. Wahre Beendigungen und wahre Pfade – diese beiden bilden das Juwel des Dharma.

Das Sangha-Juwel bezieht sich auf die Aryas, auf die Edlen, auf diejenigen, die eine nichtkonzeptuelle einfache Wahrnehmung der Leerheit besitzen. Dies sind also die drei Juwelen. Der Buddha ist wie ein Arzt; der Dharma ist wie die Medizin – genauer gesagt sind der Pfad der Heilung und der Zustand des Geheiltseins wie die wahren Pfade und die wahren Beendigungen. Der Sangha schließlich ist wie die Krankenschwerstern, die uns bei diesem Prozess unterstützen.

Wir alle können das Leiden nicht leiden; dies gilt von der kleinsten Unannehmlichkeit an aufwärts – wir wünschen uns die Befreiung von all diesen Formen des Leidens. Der Zustand, in dem das Leiden endgültig beseitigt wurde, wie auch die Methoden, um die Leiden für immer zu beseitigen, sind wie das Dharma-Juwel. Wir benötigen einen Lehrer, der uns diesen Entwicklungsprozess erläutert; dies ist das Buddha-Juwel. Wir brauchen auch Freunde, die uns helfen; dies ist das Sangha-Juwel. Außerdem brauchen wir Vertrauen in die Fähigkeit der Objekte, die uns die sichere Richtung zeigen, um uns dadurch zu beschützen. Außerdem müssen wir eine gesunde Furcht vor dem Leiden verspüren; und wir müssen das Verlangen danach haben, dass dieses Leiden nachlässt und wir Linderung empfinden. Diese beiden Faktoren wirken als die Ursachen dafür, dass wir in unserem Leben eine sichere Richtung einschlagen bzw. Zuflucht nehmen.

Da der Buddha Wege lehrte, mit deren Hilfe man die wahren Ursachen der wahren Leiden beseitigen kann, so dass wahre Beendigungen entstehen werden, ist der Buddha ein würdiges Objekt einer sicheren Ausrichtung. Wir sind den Lehren eines solchen Buddha begegnet, daher können wir in unserem Leben eine an ihm orientierte sichere Richtung einschlagen. Wir geben unserem Leben eine sichere Richtung, indem wir unseren zukünftig resultierenden Zustand einer wahren Beendigung all unseres Leidens anstreben und indem wir unsere eigene zukünftige Verwirklichung der Erleuchtung anstreben. Wir geben unserem Leben auch eine ursächlich sichere Ausrichtung, indem wir das, was die Drei Juwelen uns jetzt zu bieten haben und was uns selbst zu einem Zustand der Erleuchtung führen wird, annehmen. Daher möchte ich Sie bitten: Geben Sie Ihrem Leben eine sichere Ausrichtung.

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