Was zu erwägen ist, wenn wir an den Tod denken

Warum es so schwierig ist, eine wertvolle menschliche Wiedergeburt zu erlangen und wie man sein menschliches Leben am besten nutzt

Am Anfang ist es wichtig, sich darüber Gedanken zu machen, wie schwierig es ist, eine wertvolle menschliche Wiedergeburt zu erlangen, in der man Ruhepausen von Situationen hat, welche die eigene Dharma-Praxis verhindern, und die mit vielen Bereicherungen ausgestattet ist, wie beispielsweise günstigen Umständen und Gelegenheiten zur Praxis. Es gibt viele Dinge, über die wir nachdenken müssen und die wir zu bedenken haben, so wie zum Beispiel wie schwierig es ist, eine solch kostbare Wiedergeburt als Arbeitsgrundlage zu erlangen, wenn wir dies aus dem Blickwinkel von Beispielen her erwägen, oder vom Standpunkt ihrer Natur aus, oder wenn wir die kostbare menschliche Wiedergeburt von ihren Ursachen her erwägen.

Jetzt haben wir tatsächlich so eine Grundlage, die so schwierig zu erlangen ist, erlangt. Und wie ist so eine menschliche Wiedergeburt zustandegekommen? Eine solch kostbare menschliche Wiedergeburt kommt dadurch zu Stande, dass wir in unseren vergangenen Leben eine Menge spiritueller Arbeit geleistet haben, die die Ursachen hervorgebracht hat, dass wir so wiedergeboren worden sind, wie wir jetzt sind. Ein Beispiel, um dies zu verdeutlichen: Die Arbeit, die wir geleistet haben ist vergleichbar mit der Arbeit, eine große Metallkugel einen Berg halb hinaufgerollt zu haben. Mit anderen Worten: Wir haben uns all diese Mühen gemacht, um in diesem Leben eine Wiedergeburt als Mensch zu erlangen. Was uns an diesem Punkt anspornt weiterzumachen ist, dass wir weiter auf dem spirituellen Pfad voranschreiten wollen und weitere Fortschritte erzielen möchten. Wenn die Kugel bereits den halben Weg den Berg hinaufgebracht wurde und wir dann nicht vorsichtig handeln, besteht die Gefahr, dass die Kugel wieder zum Fuß des Berges hinunterrollt; dann wird es schwierig sein, sie wieder den ganzen Berg aufwärts zu rollen.

Es ist wichtig, dass wir auf Grundlage unseres wertvollen menschlichen Lebens versuchen, Mitgefühl, Liebe und ein hingebungsvolles Bodhichitta-Herz zu entwickeln. Das Beste, was wir machen können, ist zu versuchen, diese Grundlage dafür zu verwenden, die Erleuchtung zu erlangen. Machen wir aber keinen richtigen Gebrauch von dem kostbaren Menschenleben, was wir jetzt erlangt haben, sondern sprechen wir lediglich Gebete, um zukünftig wieder eine wertvolle menschliche Wiedergeburt zu erhalten, wäre es so ähnlich, als ob man einen großen Korb voll Reis hätte, ihn beiseite stellen würde und nicht verwenden würde, sondern nur da säße und beten würde, einen weiteren Korb mit Reis zu erhalten!

Wir besitzen nun mit diesem kostbare menschliche Leben diese exzellente Arbeitsgrundlage, die wir für Dharma-Praxis nutzen können. Also müssen wir Anstrengungen unternehmen und Gebete sprechen, um den größtmöglichen nutzen aus diesem Leben zu ziehen. Wir sollten uns sehr glücklich schätzen, dieses kostbare Menschenleben erlangt zu haben. Ein Weg, um vollen Nutzen aus diesem Leben ziehen zu können, ist zu denken: „Ich habe so etwas Wertvolles wie dieses kostbare Menschenleben, diese Arbeitsgrundlage erlangt, also werde ich heute guten Gebrauch von meinem Leben machen und dafür beten, auch morgen noch in der Lage zu sein, so weiterzumachen.“ Wenn wir morgens aufwachen, ist es wichtig zu denken: „Wie wunderbar ist es, wieder aufgewacht zu sein! Ich bin nicht während des Schlafes gestorben!“ Und dann ist es wichtig, dass wir uns für den Tag mit der festen Absicht stärken: „Heute will ich damit fortfahren, mein wertvolles menschliches Leben sinnvoll zu nutzen!“

Die Art von Leben, die wir jetzt haben, ist wirklich sehr wertvoll. Unser Leben ist mit acht Ruhepausen beziehungsweise zeitweiligen Freiheiten von acht schwierigen Situationen ausgestattet, in denen wir keine Gelegenheit dazu haben, spirituellen Fortschritt zu machen. Dabei handelt es sich um acht Umstände, in denen wir keine menschliche Geburt angenommen haben und acht Situationen, in denen wir zwar als Mensch wiedergeboren sind, aber keine Gelegenheit zur Dharma-Praxis haben. Daher ist es gut, nach dem Aufwachen am Morgen zu erwägen wie glücklich wir uns schätzen können, nicht während der Nacht gestorben zu sein. Wären wir gestorben und in einer dieser acht Situationen wiedergeboren worden, in denen wir keine Gelegenheit gehabt hätten, irgendeinen spirituellen Fortschritt zu machen – wie das zum Beispiel bei einer Wiedergeburt als ein Insekt der Fall ist, das über den Fußboden kriecht – hätten wir nicht einmal die Gelegenheit gehabt, von diesen vorbeugenden Dharma-Methoden zu hören. Daher ist es sehr wichtig, dass wir uns äußerst glücklich schätzen und sehr dankbar dafür sind, das Glück gehabt zu haben, morgens wieder aufzuwachen. Es ist auch wichtig, sich darüber zu freuen, dass wir die Gelegenheiten, die wir jetzt haben, weiterhin gut nutzen; zudem ist es wichtig, die feste Absicht zu bekräftigen, dass wir von unserem Leben möglichst sinnvoll Gebrauch machen. Wenn wir auch am Abend solcherlei Gedanken hegen und sehr fokussiert die Absicht fassen, die günstigen Gelegenheiten und Chancen, die wir jetzt haben, wirklich sinnvoll zu nutzen, dann wird unser Leben sogar wenn wir schlafen sehr konstruktiv sein.

Wenn Tsongkhapa im Text hier schreibt: „Ich erbitte die Inspiration, um ohne Unterbrechung eine Geisteshaltung zu entwickeln, seine Essenz Tag und Nacht auf jede Weise zu entwickeln“, bezieht er sich auf die Art der Praxis die wir sowohl morgens als auch nachts tun können – nämlich aus der Essenz unseres wertvollen menschlichen Lebens Nutzen zu ziehen.

Diese Stelle im Text, an der Tsongkhapa über dieses Thema spricht, ist die Stelle an der wir alle verschiedenen Lehren und Methoden einfügen müssen, die dieselben Themen betreffen und vor allem in den Sutras zu finden sind. Die Sutras sind die Worte des Buddha selbst. Ebenso müssen wir die verschiedenen Shastras oder erklärenden Texte hier anwenden, die von den indischen buddhistischen Meistern geschrieben wurden, und gleichfalls müssen wir alle Texte zur Anwendung bringen, die von den tibetischen Meistern aller Traditionen des Buddhismus in Tibet geschrieben wurden: Also die Texte der Kagyü-, Nyingma-, Sakya- und Gelug-Tradition – ganz gleich welche besondere Methoden in einer dieser Quelltexte bezüglich dieses Themas beschrieben worden ist – wir müssen diese Methoden in der eigenen Praxis zur Anwendung bringen. Mit anderen Worten: Wir müssen hier jegliche Unterweisung unserer Praxis hinzufügen und anwenden, die sich mit der wertvollen menschlichen Wiedergeburt mit ihren Ruhepausen und Bereicherungen befasst, ungeachtet aus welchem gültigen Quelltext sie stammt. Wir Verhalten uns so, um ein Beispiel zu geben, als ob wir einen Zuckerbehälter besitzen würden und dann den ganzen Zucker, den wir an verschiedenen Orten im Haushalt haben, in diesem einen Zuckerbehälter zusammenschütten, ungeachtet aus welchem Geschäft wir den jeweiligen Zucker erhalten haben.

Wenn wir ein solches kostbares Menschenleben, eine so wertvolle Arbeitsgrundlage erlangt haben und davon keinen richtigen Gebrauch machen, wird es sehr schwierig für uns werden, einen solchen menschlichen Körper wieder zu erhalten. Wenn es so wäre, dass wir fortwährend ein solches kostbares menschliches Leben wieder und wieder erlangen würden, so wäre das eine andere Sache. Tatsächlich ist das aber nicht der Fall. Daher ist es eher wahrscheinlich, dass wir die Gelegenheit nicht wieder bekommen werden, wenn wir jetzt keinen richtigen Gebrauch von unserem menschlichen Leben machen. Es ist so wie mit jemandem, der sehr stark und tapfer ist. Hat dieser Mensch jedoch keine Gliedmaßen und wird dann irgendwo ausgesetzt, kann er ungeachtet seiner Stärke und seines Mutes nicht viel unternehmen. Ebenso können wir nicht viel ausrichten, wenn wir erst einmal unseren wertvollen menschlichen Körper verloren haben.

Wäre unser menschlicher Körper etwas, das außergewöhnlich stark und unzerstörbar ist, wäre das wiederum eine andere Sache. So ist es aber nicht. Unser Körper besitzt keine besonders große Kraft. Wenn wir erst einmal geboren worden sind, gibt es nichts weiter, was geschehen kann, außer dass wir irgendwann sterben. Wenn es irgendwo einen Ort gäbe, an dem die Menschen nicht sterben würden – einen Ort von dem wir gehört haben, dass man sich dort tatsächlich hinbegeben kann, das wäre wunderbar; wir könnten dann einfach dort hingehen. In Wirklichkeit gibt es aber keinen derartigen Ort. Da es keinen Ort gibt, an dem wir dem Tod entgehen können, ist es wichtig, sich des Todes bewusst zu sein.

Tod und Vergänglichkeit

Wenn wir vom Tod und den niederen Bereichen hören, dann finden die meisten von uns das sehr unerfreulich. Im Vergleich dazu finden wir es viel erfreulicher von den verschiedenen weltlichen Angelegenheiten und Belange zu hören. Wenn wir etwas über den Tod und die niederen Daseinsbereiche hören, so ist das so, als ob wir einer üblen Geschichte zuhören müssten. Wir mögen solche Berichte nicht und können sie nicht genießen. Wenn uns jedoch jemand erzählen würde, dass es keine solche Sache wie den Tod oder die niederen Daseinsbereiche geben würde, dann wäre das so, als ob wir einer sehr netten Geschichte zuhörten. Wenn wir uns jedoch jemand eine nette Geschichte erzählen würde, in der behauptet wird, dass es weder den Tod noch die niederen Daseinsbereiche gibt, obwohl sie in Wirklichkeit sehr wohl existieren, so wäre das ein großer Betrug. So etwas zu erzählen wäre einfach eine Lüge.

Wenn wir uns dafür entscheiden könnten, uns solche Geschichten über den Tod und die niederen Daseinsbereiche besser nicht anzuhören, da sie so unerfreulich und aufwühlend sind, und wenn wir mit Hilfe einer solchen Geisteshaltung den Tod und die Wiedergeburt in niederen Daseinsbereiche ungeschehen machen könnten, so wäre das ja sehr nett. Das ist aber in Wirklichkeit nicht der Fall. Uns solche Geschichten nicht anhören zu wollen oder nicht an solche Berichte zu glauben, bewirkt nicht, dass der Tod und die niederen Bereiche aus unserem Leben verschwinden. Und in der Tat handelt es sich bei den Berichten über den Tod und niederen Daseinsbereiche nicht einfach um erfundener Geschichten, sie sind alle real. Da unser sterbliches Ende etwas ist, das definitiv jeder von uns erfahren wird, und da sich lediglich die Frage stellt, ob der Tod früher oder später eintreten wird, ist es notwendig, Berichte über den Tod und die niederen Daseinsbereiche zu hören, und zu versuchen, einige Methoden zu finden, mit denen man vermeiden kann, dass man völlig verschreckt ist, wenn der Tod eintritt oder man in niederen Daseinsbereiche abwandert.

Sinn der Übung ist nicht, völlig durchzudrehen: „Ich sterbe, ich sterbe!“ und vollkommen verzweifelt zu sein. Darum geht es nicht, da es in der Tat Methoden beziehungsweise vorbeugende Maßnahmen gibt, die wir anwenden können, um sicherzustellen, dass unser Tod keine so erschreckende Erfahrung sein wird. Wenn es solche Methoden gibt und wir von ihnen keinen Gebrauch machen, dann ist das eine wirkliche Schande; es ist eine große Vergeudung.

Wir könnten auch den Denkfehler machen, dass es besser wäre, sich des Todes lieber nicht bewusst zu sein. Sind wir uns aber des Todes nicht bewusst, folgt darauf der Denkfehler, dass wir dann sehr oft vergessen, uns zu vergegenwärtigen, dass es generell sinnvoll ist, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen und uns in Dharma-Methoden zu üben. Und auch wenn wir uns dieser verschiedenen Dharma-Maßnahmen bewusst sind, die wir ergreifen könnten, so haben wir dabei aber nicht automatisch im Sinn, die Dharma-Übungen bis zu ihrer Vollendung durchzuhalten, wenn wir uns nicht fortwährend unseres bevorstehenden Todes bewusst sind. Nehmen wir Dharma-Praktiken auf und halten nicht bis zu ihrer Vollendung durch, dann liegt der Fehler darin begründet, dass wir uns nicht genug des Todes bewusst waren.

Es gibt auch Menschen, die ihre Leben damit verbringen, allerlei destruktive Dinge zu tun, wie beispielsweise zu stehlen, zu morden und so weiter. Sie beschäftigen sich mit all diesen Dingen, weil sie sich ebenfalls nicht ihres bevorstehenden Todes bewusst sind; zudem ist ihnen nicht klar, was nach dem Tod aus ihren Handlungen folgen könnte. Sind wir während unseres Lebens nur eifrig mit weltlichen Angelegenheiten beschäftigt – insbesondere mit negativen und destruktiven Dingen – muss nicht erwähnt werden, dass wir sehr verzweifelt sein werden, wenn unser Tod bevorsteht. Jeder um uns herum wird dann auch völlig verzweifelt und unglücklich sein. Zu der großen Verzweiflung, die wir erfahren werden, kommt hinzu, dass wir auch in einem elendigen Zustand großer Reue sterben werden. All diese sind die Fehler, die daraus entstehen, wenn wir uns des Todes nicht bewusst sind, bevor er eintritt.

Sind wir uns andererseits des Todes bewusst, so fungiert die Vergegenwärtigung des Todes als ein Antrieb, der uns zur Dharma-Praxis hin drängt. Wir über spirituelle Praxis nachdenken und uns überlegen, was uns zur spirituellen Praxis motiviert, so ist der wesentliche Motivationsgrund, dass wir uns unseres eigenen bevorstehenden Todes gewahr sind.

Als der Buddha den ersten Zyklus an Dharma-Übermittlung in Gang brachte, war eines der ersten Themen, das er lehrte, die Vergänglichkeit – er beschrieb wie keine Situation unveränderlich bleibt oder für immer andauert. Der Buddha selbst wurde zum Beispiel in eine königliche Familie hineingeboren. Er war ein Prinz, der unglaublichen Reichtum und Ruhm besaß. Als er aber in der Nähe der königlichen Stadt einen Leichnam sah, der einen ihm vorbei getragen wurde, war dies der Umstand, der ihn dazu veranlasste, all diesen Reichtum hinter sich zu lassen und sich auf spirituelle Suche zu begeben. Dem Tod ins Auge zu sehen, war der Umstand dafür, dass er sich der spirituellen Praxis widmete. Das Gewahrsein des Todes und der Vergänglichkeit erzeugen nicht nur die Motivation dafür, dass wir damit beginnen, uns unsere der spirituellen Praxis des Dharma zu widmen, sondern gibt uns auch den Antrieb, um uns im Laufe der Zeit in unserer Praxis weiter anzutreiben und begleitet uns schließlich bis zur Vollendung. Die Vergänglichkeit ist auch auf bildlichen Darstellungen einiger der großen Praktizierenden und verwirklichten Wesen zu sehen. Viele dieser Meister tragen Ornamente aus menschlichen Knochen, und sie verwenden Ritualgegenstände aus menschlichen Knochen wie beispielsweise eine Schädelschale oder eine Trompete, die aus dem Oberschenkelknochen eines Menschen hergestellt wurde. Der Grund dafür, warum all diese Gegenstände verwendet werden ist, dass diese Gegenstände die Praktizierenden dabei unterstützen, sich des Todes und der Vergänglich ständig gewahr zu sein.

Ständig über den Tod nachzudenken und sich fortwährend die Vergänglichkeit zu vergegenwärtigen, erzeugt die Motivation dafür, irgendwann einmal die verwirklichte Vollendung unserer spirituellen Reise zu erlangen. Wenn wir eine sehr tiefgreifende Verwirklichung der Vergänglichkeit erlangt haben, dann werden wir einen außerordentlich stabilen, auf spirituelle Themen orientierten Geist haben. Als der Buddha in Kushinagar starb, wies er dort in seiner letzten Äußerung auf die Vergänglichkeit hin.

Erlangen wir die Verwirklichung des Todes und der Vergänglichkeit – die Verwirklichung der Tatsache, dass nichts unveränderlich bleibt – so handelt es sich dabei um einen verwirklichten Pfadgeist einer Person im Anfangsstadium ihrer Praxis. Es ist die Verwirklichung, die uns dazu führen wird, eine Person mit mittlerer Motivation zu werden. Die Verwirklichung der Vergänglichkeit wird in uns die Motivation erzeugen, weiterzugehen und ein Praktizierender mit fortgeschrittener Motivation zu werden. Das Gewahrsein der Vergänglichkeit ist auch essentiell dafür, dass wir Liebe und Mitgefühl entwickeln können und auch dafür, dass wir überhaupt eine vollständig reine und richtige spirituelle Dharma-Praxis aufbauen können. Wenn wir auf der Grundlage einer stabilen Verwirklichung von Vergänglichkeit in der Lage sind, den Dharma gut zu praktizieren, so ist es möglich, dass wir im Sterben fähig sein werden, in einem sehr glücklichen Geisteszustand sehr friedvoll zu gehen. Natürlich wird es nicht möglich sein, dass wir gar nicht sterben werden, aber die Verwirklichung der Vergänglichkeit macht unseren Übergang beim Sterben zu einer Angelegenheit, der wir mit einem glücklichen und friedvollen Geisteszustand, der ohne Reue ist, begegnen können.

Wie man sich des Todes bewusst ist

In Bezug auf Tod und Vergänglichkeit und die verschiedenen Vorteile, die es hat, sich des Todes der Vergänglichkeit gewahr zu sein, wie auch in Bezug auf die Nachteile, die es hat, die Vergegenwärtigung des Todes Vergänglichkeit zu vernachlässigen, gibt es viele Punkte die erörtert werden können. Wenn wir uns aber fragen, wie wir uns den Tod und die Vergänglichkeit vergegenwärtigen können, so können wir uns kurz die Frage stellen: „Gut, wie können wir denn ein Gewahrsein des Todes aufrechterhalten?“ Wie wir ein solches Gewahrsein aufrecht erhalten können, wird in den ersten beiden Zeilen der nächsten Verses beschrieben:

3) Im Sterben werden mein Körper und meine Lebenskraft schnell vergehen, wie Luftblasen auf einem fließenden Strom. Wenn ich mich daran erinnere und die absolute Gewissheit erlangt haben, dass mir nach dem Tod die Früchte meiner heilsamen und unheilsamen Handlungen nachfolgen werden,

Der erste Punkt an den wir denken ist, dass der Tod mit Gewissheit eintreten wird – wir vergegenwärtigen uns also die Tatsache, dass der Tod mit Sicherheit kommen wird. Der zweite Punkt ist, dass es nicht möglich ist vorauszusagen, wann der Tod tatsächlich eintreten wird. Als dritten Punkt können wir dann darüber nachdenken, dass uns beim Eintritt unseres Todes nichts von Nutzen sein wird, außer der vorbeugenden Maßnahme der Anwendung von Dharma-Methoden, die wir bereits während unseres Lebens geübt haben.

Es gibt viele Punkte in Bezug darauf zu bedenken, dass der Tod mit Sicherheit eintreten wird. Es spielt dabei keine Rolle, mit welcher Art von Körper wir wiedergeboren werden. Es gibt keine körperliche Form, die nicht vergehen wird. Heutzutage gibt es zwar sehr gute Krankenhäuser, außergewöhnlich fähige Ärzte und sehr wirksame Medikamente und auch Wundermittel. Ungeachtet dessen, wie viele solcher guten Umständen, Ärzte und Medikamente es jedoch geben mag, so gibt es doch noch immer keine Heilmittel gegen den Tod. Es gibt nichts, das den Tod eliminieren könnte und kein Krankenhaus, das wir aufsuchen könnten, um dem Tod zu entgehen. Denn sicher hätten die Menschen ein solches Krankenhaus eingerichtet, wenn dies möglich wäre. Sogar der vollkommen erleuchtete Buddha selbst, der Buddha Shakyamuni, obwohl er vollkommen geistesklar und verwirklicht war, starb in Kushinagar auf eine ganz gewöhnliche Art und Weise, bevor er in die letztendliche Befreiung überging. Wir können alle nach Kushinagar reisen und diesen Ort besichtigen.

Einige Menschen haben sogar Tausende von Jahren gelebt. Er spielt jedoch keine Rolle, wie großartig ein Methusalem auch gewesen sein mag – und einige dieser großartigen Menschen sind vielleicht sogar noch am Leben – nichtsdestoweniger gibt es niemanden, der dem Tod entkommt; und auch wer dem Tod zeitweilig entkommen ist, wird zu irgendeinem Zeitpunkt sterben.

Auch wenn es so viele Orte gibt, an die man sich begeben kann, so gibt es keinen Ort auf der Welt, an dem wir dem Tod entkommen können. Einige Tibeter sind in der Hoffnung quer durch ganz Indien gereist, irgendwo eine medizinische Behandlung zu finden, mit der sie ihre tödliche Krankheit bekämpfen wollten, um zu verhindern, dass sie an dieser Krankheit hätten sterben müssen. Aber keiner dieser todkranken Menschen konnte einen derartigen Ort finden. Auf der Suche nach exzellenten Krankenhäusern reisten sie sogar in den Westen. Wenn unsere Zeit jedoch abgelaufen ist, so ist unsere Zeit eben angelaufen. Wir werden sterben. Ungeachtet dessen, wie ausgezeichnet unsere Krankenhäuser vielleicht auch sein mögen, oder wie unglaublich die Vielzahl an Wundermitteln auch sein mag, die uns zur Verfügung stehen, wenn unsere Zeit gekommen ist, gibt es nichts, was wir von den Krankenhäusern und Wundermitteln erwartet könnten. Auch Ärzte selbst werden krank, müssen sich in Krankenhäusern aufhalten und sterben.

Ferner gibt es keine Methode, mit der wir sicher bestimmen könnten, wann unser Tod eintreten wird. Der Tod kann jederzeit eintreten. Das wird hier im Text anhand eines Beispiels beschrieben: „Im Sterben werden mein Körper und meine Lebenskraft schnell vergehen, wie Luftblasen auf einem fließenden Strom.“ Schauen wir auf die Luftblasen und den Schaum, die sich auf einem rasch fließenden Strom bilden, können wir deutlich erkennen, dass es sich dabei um Phänomen handelt, die überhaupt nicht andauern. Sie sind unstabil, veränderlich und können jederzeit verschwinden. Unser Leben ist ebenso.

All diese Punkte und Aspekte können wir für uns selbst erkennen. Es gibt tatsächlich keinerlei Sicherheit darüber, zu welchem Zeitpunkt unser Tod eintreten wird. Es ist nicht nötig, diese Tatsache in Texten zu studieren; wir können diese Tatsache selber anhand unserer eigenen Lebenserfahrungen erkennen. Der wesentliche Punkt all diese Aspekte ist, dass wir uns nicht selbst betrügen sollten, indem wir denken, dass wir ungestraft faul sein könnten und die Dharma-Praxis immer wieder auf den nächsten Tag verschieben. Wenn wir uns bewusst machen, dass wir nie wissen, wann wir sterben werden, dann werden wir unsere Dharma-Praxis nicht immer wieder auf den nächsten Tag verschieben. Daher müssen wir den festen Entschluss fassen, bereits jetzt vorbeugenden Maßnahmen zu ergreifen, das heißt die Dharma-Praxis jetzt sofort aufzunehmen und dem Dharma zu folgen, da wir erkennen, dass der Tod schnell kommen kann. Wie es in unserem Text heißt: „Unser Körper und unsere Lebenskraft werden schnell vergehen.

Wir können an zahlreichen Beispielen erkennen, wie schnell Dinge plötzlich enden. Nachdem die Sonne aufgegangen ist, geht sie schnell wieder unter, und wenn wir uns in einem fahrenden Zug oder in einem Flugzeug befinden, stehen Zug und Flugzeug nicht still, sondern bewegen sich unaufhörlich ihrem Zielort entgegen. Das Leben verhält sich ebenso. Der Tod wird mit Sicherheit eintreten, es gibt nichts, um das zu verhindern. Und sogar wenn wir uns selbst etwas vormachen, indem wir uns bloß damit beschäftigen, Reichtum und materiellen Besitz anzuhäufen – und das lediglich nur für die jetzige Lebensspanne – so wird das, was wir aufgebaut haben, im Sterben nutzlos sein. Zum Zeitpunkt unseres Todes werden wir nicht imstande sein, den von uns angehäuften Reichtum oder Sitz mit uns zu nehmen.

Lichte und düstere karmische Potenziale

Wenn wir uns daher fragen, was von dem mit uns kommt, nachdem wir gestorben sind, so wird hierfür das Beispiel eines Schattens erwähnt, der dem Körper folgt. Die verschiedenen Potenziale, die wir in unserem Leben aufgebaut haben, folgen unserem Körper wie ein Schatten, das gilt sowohl die lichten karmischen Potenziale als auch für die düsteren karmischen Potenziale, die auch als „weiße“ und „schwarze“ karmisches Potenzial bezeichnet werden.

Wir alle wollen Glück erleben und niemand will Probleme haben und Leiden erfahren. Wodurch kommen Glück und Leiden zustande? All das Glück, dass wir erleben, entsteht aus lichten, edlen, positiven Handlungen, die wir getan haben, wohingegen all unsere Probleme und alle unsere Leiden düsteren, dunklen, negativen Handlungen entstehen, die wir getan haben. Wenn das die beiden Arten von Dingen sind, die wir mit uns nehmen, wenn wir sterben – die karmischen Potenziale, die aus den positiven und negativen Handlungen entstehen – dann ist es offensichtlich, dass wir besser dran wären, wenn wir mehr von diesen positiven Potenzialen mit uns ins nächste Leben nehmen würde. Wir wollen in zukünftige Leben gerne lichte, positive Potenziale mit uns bringen, die zu Glück führen, also die Potenziale, die wir durch unsere konstruktiven Handlungen aufgebaut haben. Wir wollen keine düsteren, negativen Potenziale haben, die sich aus unserem destruktiven Verhalten ergeben, und die bewirken, dass wir viele Probleme haben und uns unglücklich fühlen. Das ist der wesentliche Grund dafür, dass wir diese vorbeugenden Dharma-Maßnahmen ergreifen und einem spirituellen Pfad folgen. Wir machen das, um diese positiven Potenziale für Glück aufzubauen, die uns dann in zukünftigen Leben von Nutzen sein werden. Wir begreifen, dass uns zum Zeitpunkt des Todes nichts helfen wird, außer dem positiven Potenzial, das wir aufgebaut haben. Es ist dann die richtige Entscheidung, wenn wir all unsere Energie dafür verwenden, uns in diese Richtung zu bewegen.

Es gibt unzählige heilsame, lichte und unheilsame, düstere Handlungen. Sie können aber alle zu den zehn konstruktiven oder tugendhaften Handlungen, und den zehn destruktiven oder nicht-tugendhaften Handlungen zusammengefasst werden. Es ist wichtig zu wissen, was jede konstruktive und destruktive Handlung im Detail ausmacht. Sich mit diesen Details auszukennen gibt uns eine Grundlage, die wir dann ausweiten können, während wir auf dem Pfad voranschreiten, so dass wir schließlich zu einem Menschen mit einer fortgeschrittenen Motivation werden können.

Wenn es – nachdem wir gestorben sind – nicht so etwas wie Wiedergeburt gäbe, wäre der Tod bloß ein vereinzeltes Ereignis, und er wäre keine große Angelegenheit. Da es aber im Text heißt: „Nach dem Tod“ und im Text davon gesprochen wird, was nach dem Tod kommen könnte, können wir sicher sein, dass es mit Sicherheit zukünftige Leben gibt. Es gibt viele Menschen, die annehmen, dass es so etwas wie Wiedergeburt nicht gibt. Aber auch wenn sie denken, dass es so etwas wie ein Leben nach dem Tode nicht gäbe, gibt es keine Möglichkeit für sie herauszufinden, ob sie sich absolut sicher sein können. Auch wenn wir vielleicht nicht fähig sind, zukünftige Leben tatsächlich zu erkennen, können wir doch nicht mit Sicherheit sagen, dass es zukünftige Leben überhaupt nicht gibt.

Es gibt in der Tat zukünftige Leben; das ist die Wirklichkeit. Was bestimmt die Art von Wiedergeburt, die wir annehmen werden? Unsere zukünftige Wiedergeburt wird durch die Art des karmischen Potenzials bestimmt, das wir aufgebaut haben – wir haben entweder heilsame, lichterfüllte, freundliche, konstruktive Dinge getan oder unheilsame, düstere, negative Handlungen vollbracht. Diese beiden Arten von Taten bestimmen die Art der Wiedergeburt, die wir annehmen werden. Obwohl wir mit unseren Augen keine Höllenwesen oder hungrigen Geister wahrnehmen können, so können wir doch wenigstens Tiere und kriechenden Wesen um uns herum direkt wahrnehmen. Wenn wir nicht aufhören, destruktiv zu handeln, ist es möglich, dass wir mit in eben einer solchen Art von Körper wiedergeboren werden und in ebenso schreckliche Situationen geraten wie die Tiere. Das können wir mit Sicherheit behaupten. Denken wir an all die Probleme und Leiden, denen diese Tiere begegnen und an all die Schwierigkeiten, die eine solche Wiedergeburt mit sich bringt, wird Furcht in uns aufkommen. Wir wollen diese Dinge nicht selbst erleben. Wir werden uns nach einer Quelle oder Zuflucht umsehen, die uns eine sichere und verlässliche Ausrichtung weisen, so dass wir dann vermeiden können, selbst eine solch schreckliche Wiedergeburt annehmen zu müssen.

Sichere Richtung – Zuflucht

Wenn es keine sichere Ausrichtung gäbe, die wir in unserem Leben einschlagen könnten, um dadurch zu vermeiden, in einem niederen Daseins Bereich geboren zu werden, so wäre es besser, überhaupt nicht über all diese grauenhaften Probleme nachzudenken. Es gibt aber tatsächlich eine sichere Ausrichtung, die wir unserem Leben geben können, es gibt eine Zuflucht, die aufgefundenen werden kann. Wenn wir uns die Frage stellen: „Welche Methoden sind anzuwenden?“, dann müssen wir zuerst wissen, dass es herausragende Lebewesen gibt, nämlich die Buddhas, die auf die Methoden hingewiesen haben, die wir in unserem eigenen Leben zur Anwendung bringen können.

Die Buddhas besitzen zwei Arten von Körpern: Einen Körper der erleuchtenden Formen (einen Rupakaya) und einen Alles umfassenden Körper (einen Dharmakaya). Wenn wir uns fragen: „Wie erlangen die Buddhas einen Körper erleuchtender Formen?“, so kann man sagen, dass die Hervorbringung eines solchen Körpers das Ergebnis davon ist, über drei Myriaden Äonen hindurch positives Potenzial oder Verdienst aufgebaut zu haben. Und wenn wir uns fragen: „Wie erlangen die Buddhas einen Alles umfassenden Körper, einen Dharmakaya?“, so ist das Entstehen eines Dharmakaya das Ergebnis davon, dass die Buddhas ihren Geist vollständig entwickelt haben, so dass sie in der Lage sind, alles zu begreifen, und so dass sie insbesondere fähig sind, Leerheit (Leere) zu verstehen, das heißt die völlige Abwesenheit von unmöglichen Existenzweisen.

Ein Körper der erleuchtenden Formen, ein Rupakaya, hat zwei Aspekte: Einen Körper des vollen Gebrauchs oder Sambhogakaya und einen Körper der Emanationen oder Nirmanakaya.

Ein Körper des vollen Gebrauchs, ein Sambhogakaya, ist eine Sammlung von Körpern, die vollen Gebrauch von den geistig weitreichenden Mahayana-Belehrungen macht. Nur hoch verwirklichte Bodhisattvas – Arya-Bodhisattvas, die einen Geist besitzen, der sich zwischen der ersten und zehnten Bhumi-Ebene befindet – sind in der Lage einem Sambhogakaya zu begegnen und Unterweisungen von ihm zu erhalten. Solche Körper residieren nur in reinen Buddha-Ländern wie im Akanistha-Bereich, der Bereich über den es keinen höheren Bereich mehr gibt. Sie erscheinen nicht in gewöhnlichen Feldern oder unreinen Ländern. Sie verbreiten nur die geistig weitreichenden Methoden des Mahayana-Buddhismus. Sambhogakaya-Körper gehen auch nie in ein Parinirvana ein, wie es die höchsten Emanations-Körper (Höchste Nirmanakaya) tun, die in einen Zustand der endgültigen Befreiung eingehen. Ferner weisen diese Sambhogakaya-Körper alle zweiunddreißig großen körperlichen Merkmale und die achtzig kleinen körperlichen Merkmalen eines Buddha auf.

Obwohl ein Rupakaya im Repertoire seiner erleuchtenden Formen auch diesen Sambhogakaya aufweist, ist es für einen Buddha doch notwendig in einer Gestalt zu erscheinen, in der sie vielen Lebewesen nützen können und nicht nur den Arya-Bodhisattvas. Die Arten der erleuchtenden Formen, die gewöhnlichen Lebewesen, die noch keine Aryas sind, und die die Wirklichkeit noch nicht erkannt haben, erscheinen können, sind diejenigen, die einen Ausstrahlungskörper haben, also einen Nirmanakaya – bei den Nirmanakayas handelt es sich wiederum um Emanationen von Sambhogakayas.

Ein Ausstrahlungskörper, ein Nirmanakaya, umfasst drei Arten von erleuchtenden Körpern: Den höchsten Ausstrahlungskörper, einen Ausstrahlungskörper als Künstler und Ausstrahlungskörper als Persönlichkeiten.

Der Buddha Shakyamuni ist ein Beispiel für einen höchsten Ausstrahlungskörper. Wenn ein Lebewesen das geeignete reine karmische Potenzial hat, so ist es dieser Person möglich, tatsächlich einen solchen Ausstrahlungskörper direkt zu begegnen und direkt Unterweisungen von einem solchen Wesen zu erhalten. Bis wir aber ein solch reines Potenzial aufgebaut haben, werden wir nicht in der Lage sein, einen solchen Ausstrahlungskörper zu erkennen und ihm zu begegnen. Die Art der Ausstrahlungskörper, denen wir tatsächlich begegnen können, sind entweder Emanationen als Künstler oder als Persönlichkeiten.

Eine Emanation als eine Persönlichkeit, der wir begegnen könnten, wäre zum Beispiel eine Emanation von Avalokiteshvara. Seine Heiligkeit der Dalai Lama ist eine Emanation von Avalokiteshvara in der Form einer Persönlichkeit. Ein Beispiel für eine Emanation als ein Künstler ist in der folgenden Geschichte gegeben: Es gab einmal einen König der himmlischen Musiker, beziehungsweise Gandharvan, der außerordentlich stolz auf seine Fähigkeit war, die Laute zu spielen. Der Buddha manifestierte sich in der Emanation als ein Künstler, der sogar noch begabter darin war, die Laute zu spielen, als der König der himmlischen Musiker. In dieser Weise machte der Buddha von verschiedenen Mitteln Gebrauch, um dieser Person zu helfen.

Wir können uns auch all die verschiedenen Arten von Buddhas vergegenwärtigen, wie sie in den Sutras oder Tantras unterschiedlich dargestellt werden. Bezüglich der Methode der Sutras gibt es beispielsweise die Beschreibung von den tausend Buddhas dieses glücklichen Zeitalters. Im Sutra-System werden auch die Buddhas aller drei Zeiten und der zehn Himmelsrichtungen beschrieben. In den Tantras wiederum gibt es all die verschiedenen Buddha-Gestalten oder Yidams, bei denen es sich wiederum um verschiedene Arten erleuchtender Formen handelt. All diese verschiedenen Erscheinungsformen, in denen ein Buddha sich manifestieren oder erscheinen kann, machen das wirklich seltene und höchste Juwel der Buddhas aus, das unserem Leben eine sichere Ausrichtung gibt.

In Bezug auf unsere eigene Praxis ist es wichtig, die verschiedenen Darstellungen des Buddha zu respektieren und zu erfassen. Wir müssen alle Repräsentationen eines Buddha respektieren. Das gilt für die großflächigen Gemälde in buddhistischen Tempeln bis hin zu kleinen Kinderzeichnungen – all diese Darstellung müssen wir als tatsächliche Buddhas betrachten. Das kommt daher, da wir beim Entwickeln des Pfadgeistes der Ansammlung (ein sich im Aufbau befindlicher Pfad des Geistes) – dem ersten der fünf Arten von Pfadgeist – und besonders bei den drei Ebenen eines solchen Geistes, eine hohe Ebene erreichen werden und dann in der Lage sein werden, tatsächlich Unterweisungen von der erleuchtenden Sprache aller Repräsentationen von Buddhas zu erhalten, das heißt, dass wir dann sogar Unterweisungen von einer winzigen Zeichnung eines Kindes hören und erhalten können. Wir werden auch, nachdem wir eine hohe Ebene eines Pfadgeistes der Ansammlung erreicht haben, in der Lage sein, uns all die verschiedenen Unterweisungen, die wir jemals gehört haben, wieder ins Gedächtnis zu rufen und zu rezitieren. Auf dieser Ebene des Pfadgeistes werden wir große Begabungen und Fähigkeiten entwickeln wie diese.

Dies ist daher das höchste und seltene Juwel der Buddhas, derjenigen, die uns tatsächlich die sichere Richtung im Leben, die Zuflucht, zeigen. Es gibt unzählige gute Eigenschaften des erleuchtenden Körpers, der erleuchtenden Rede und des erleuchtenden Geistes solcher Wesen und all diese Eigenschaften sind in den großen Texten beschrieben. Es stehen Ihnen hier exzellente spirituelle Meister zur Verfügung und Sie können all diese Eigenschaften mit ihnen studieren.

Sind wir uns all dieser guten Eigenschaften, Begabungen und Fähigkeiten bewusst, werden wir einen außergewöhnlich starken und gefestigten Zustand des respektvollen Glaubens an das haben, was Tatsache ist. Alles, was wir in Bezug auf das Buddha-Juwel entwickeln können, ist eine Art hingebungsvoller Geisteshaltung, mit der wir den Buddha als eine sehr heilige und wertvolle Person betrachten. Eine solche Geisteshaltung stellt aber noch kein Basis dafür dar, irgendwelche Fortschritte auf dem Pfad zu erzielen.

Was das tatsächlich höchste und seltene Juwel der vorbeugenden Maßnahmen, also das Dharma-Juwel, betrifft, bezieht sich dies auf die Eigenschaften der Beendigung (der Beseitigung, der Loslösungen oder des Aufgebens) und auf die Eigenschaften der Verwirklichungen im Geiststrom eines erleuchteten Wesens, also eines Buddha. Das Dharma-Juwel bezieht sich aber nicht nur darauf, sondern auch auf die Qualität der Beendigung (negativer Zustände und der Beseitigung emotionaler und kognitiver Schleier) und auf die Verwirklichungen im Geistesstrom aller hoch verwirklichten Wesen, also aller Aryas. Diese Beendigungen und Verwirklichungen sind das wirkliche Dharma-Juwel, das uns eine sichere Ausrichtung im Leben gibt. Um sich auf konventionellem Weg diesem Juwel anzunähern, betrachten wir alle Texte und Schriften als stellvertretende Repräsentationen dieser Dharma-Zuflucht.

Das Sangha-Juwel, das tatsächlich höchste und seltene Juwel einer zielgerichteten Gemeinschaft, also das Juwel einer Gemeinschaft, die auf ein positives Ziel ausgerichtet ist, das sind diejenigen Wesen, die uns helfen, das Ziel des Dharma-Juwels zu verwirklichen, die uns folglich helfen, die Beendigung und Verwirklichung, die uns im Leben eine sichere Ausrichtung geben, zu verwirklichen. Das tatsächlich höchste Sangha-Juwel sind im Besonderen alle hoch verwirklichten Wesen, also alle Aryas. Aryas sind diejenigen, die die Wirklichkeit oder Leerheit direkt und nicht-konzeptuell erkannt haben. Sie haben erkannt, dass es nicht so etwas wie eine wahre Identität der Dinge gibt. Bei einer solchen zielgerichteten Gemeinschaft handelt es sich wirklich um Wesen, die unserem Leben eine sichere Ausrichtung geben könne.

Im Allgemeinen machen zumindest vier Mönche oder vier Mitglieder jeder der vier Abteilungen derjenigen, die Roben genommen haben, einen Sangha aus, das heißt eine auf ein positives Ziel ausgerichtete Gemeinschaft. Gibt es zum Beispiel nur einen Mönch, so würde das nicht als ein Sangha angesehen werden, da eine Person alleine noch nicht als eine auf ein positives Ziel ausgerichtete Gemeinschaft bewertet werden kann. Diese Person wird einfach als ein Bettelmönch oder Bhikshu bezeichnet. Es sind mindestens vier Personen, die Roben tragen, dass heißt die sich entschieden haben am Mönch oder Nonne zu werden, notwendig, um eine auf ein positives Ziel ausgerichtete Gemeinschaft oder einen Sangha zu begründen.

Wenn wir den Dharma praktizieren, ist es wichtig zu erkennen, dass es sich nur bei dem Arya-Sangha um eine wirklichte Gemeinschaft handelt, die als etwas fungiert, das unserem Leben eine sichere Ausrichtung geben kann. Mit dieser Erkenntnis ausgestattet können wir dann praktizieren. Die Klostergemeinschaft stellt nur die symbolische Repräsentation des Sangha dar. Der Arya-Sangha fungiert als unsere wirklichen Freunde und Helfer auf dem Pfad. Von den drei Zufluchts-Juwelen weist das Buddha-Juwel uns auf die tatsächliche Richtung hin, die wir in unserem Leben einschlagen können. Das Dharma-Juwel gibt uns die eigentliche Richtung vor, die einzuschlagen ist, und das Sangha-Juwel sind die tatsächlichen Helfer auf dem Pfad, also diejenigen Menschen, die uns bei der Aufgabe helfen, eine sichere und gesunde Richtung im Leben einzuschlagen.

Wenn ich Ihnen die Geschichte von Stiramati (tib. Blo-gros brtan-pa) erzähle, einem Kind der Götter, wird Ihnen das vielleicht helfen, die drei Juwelen zu verstehen. Wenn wir von den Götter sprechen, so leiden diese nicht an der gewöhnlichen Art von Problemen, die wir als menschliche Wesen haben. Sie haben nicht die Probleme mit Reichtum, Besitz von Dingen, die wir haben. Sie führen ein Leben, das mit vielen Vergnügungen erfüllt ist. An dem Ort, an dem sie leben, ist alles aus wertvollen Edelsteinen und Juwelen gefertigt. Sie haben immer Spaß. Sie haben immer liebreizende Götter und Göttinnen als ihre Gefährten um sich herum und leben ein sehr langes Leben mit Muße und Vergnügen. Doch auch wenn sie alle ein so langes Leben haben, gibt es doch niemanden, der dem Tod entkommen kann. Es ist nur eine Sache der Zeit, bis auch sie sterben werden.

Kurz bevor sie sterben werden, bemerken die Götter verschiedene Anzeichen ihres nahenden Todes. Für gewöhnlich duften ihre Körper sehr. Bevor die Götter jedoch zu sterben beginnen, verströmen sie einen außerordentlich widerlichen Geruch. Sie tragen normalerweise immer verschiedene Arten von Blumenkränzen. Kommt aber die Zeit ihres Todes, beginnen die Blumenkränze zu verwelken. Auch wenn sie für gewöhnlich herumspielen und sich mit anderen Göttern und Göttinnen vergnügen, wird der Gott oder die Göttin, bei dem sich die Zeichen des Todes zeigen, von den anderen allein gelassen. Nur diejenigen, die wirklich stark und standhafte Freunde sind, werden herbeikommen, um die sterbende Gottheit noch einmal zu sehen. Aber auch die Freunde halten sich auf Distanz, stehen weit entfernt da und schauen sie lediglich still an. Zum Sterbevorgang kommt noch dazu, dass ein Gott, der stirbt, fähig ist die Art der Wiedergeburt zu erkennen, die er in seinem nächsten Leben annehmen wird.

Es gab einen Gott mit Namen Stiramati. Dieser spezielle Gott sah, dass er in seinem nächsten Leben in einen der üblen Wiedergeburtzustände fallen würde, und dass er danach als ein Schwein wiedergeboren würde. Er empfand dabei schreckliches geistiges Leiden und Qualen. Im Allgemeinen sind die schlimmsten körperlichen Leiden und Schmerzen, die man erfahren kann, die Leiden und Qualen der verschiedenen Geschöpfe in den Höllen. Wenn es jedoch um geistiges Leiden und Qualen geht, gibt es jedoch kein schlimmeres Leiden als dasjenige, das die Götter in derlei Umständen erfahren.

Stiramati suchte normalerweise den König der Götter auf, um sich Rat holen. Stiramati ging also zu ihm und bat um ein Mittel, womit er diese Art der Wiedergeburt abwenden könne. Der König der Götter sagte: „Ich habe nichts, das dir heraushelfen kann, keine Methode, um dir irgendeine sichere Richtung zu weisen, die dich aus diesen Zuständen heraus führen kann. Der Einzige, der das kann, ist der Buddha, und ich werde dich zu ihm bringen.“ So nahm der König dieses Kind der Götter, Stiramati, mit sich, damit dieser dem Buddha begegnen könne.

Der Buddha instruierte Stiramati dahingehend, dass er verschiedene rituelle Prozeduren durchführen solle, die mit der Buddha-Gestalt Ushnishavijaya, einer personifizierte Gottheit mit drei Gesichtern und acht Armen, vier an jeder Seite, in Verbindung stehen.

Der Gott Stiramati führte all die verschiedenen Praktiken und Übungsanweisungen der neun Gottheiten des Kreises der Ushnishavijaya durch und war durch das Ergebnis in der Lage, die negativen Potenziale, die er für eine schreckliche Wiedergeburt aufgebaut hatte, vollständig auszulöschen.

Zu diesem Zeitpunkt befand er sich im Himmel der dreiunddreißig Götter. Über diesem Himmel befindet sich der Ganden-(Tushita) Himmel. Es sei ihm möglich, in diesen Himmel wiedergeboren zu werden, also sogar in einem noch höheren Himmel als in demjenigen, in dem er bereits gewesen war. Indra, der König der Götter, hat die Fähigkeit, die verschiedenen Stufen der Wiedergeburten zu sehen, die Lebewesen in Daseinsbereichen annehmen, die tiefer liegen als sein eigener. Da aber dieser Gott Stiramati in einem Bereich wiedergeboren wurde, der höher lag als sein eigener, konnte er ihn nicht sehen. So bat er den Buddha darum, ihm Auskunft zu geben, der ihm daraufhin sagte, dass der Gott Stiramati nun im Ganden-Himmel wiedergeboren würde, der höher gelegen sei als der Himmel von Indra.

Denken wir über dieses Beispiel nach, so ist der Buddha in Wirklichkeit derjenige, der Stiramati eine sichere Richtung weisen konnte. Der Buddha war also der Eine, der die Zuflucht wies. Die wirklich sichere Ausrichtung konnte der Gott Stiramati seinem Leben dadurch geben, dass er sich in die Methode zur Verwirklichung der neun Gottheiten der Ushnishavijaya übte. Das war die wirklich sichere Richtung, die Zuflucht, die ihm gestattete, sein gesamtes negatives Potenzial vollständig zu beseitigen. Das ist der Grund, warum gesagt wird, dass das höchste und seltene Juwel der vorbeugenden Maßnahmen selbst, also das Dharma-Juwel, die wirklich sichere Ausrichtung darstellt, die wir unserem Leben geben können. Indra wäre in dieser Geschichte das Juwel der auf ein positives Ziel ausgerichteten Gemeinschaft, also das Sangha-Juwel, und zwar in dem Sinne, dass Indra diesem Gott dadurch half eine sichere Ausrichtung im Leben zu finden, dass er ihn zum Buddha brachte.

Kurz gesagt: Die angewandte Übung, bei der wir unser eigenes Verhalten in Hinsicht auf heilsame, helle und unheilsame, dunkle Handlungen untersuchen, und auch dementsprechend handeln, um geeignete Resultate hervorzubringen, ist die wirkliche vorbeugende Maßnahme, also der Dharma, der uns eine sichere und gesunde Ausrichtung im Leben bietet.

Destruktive Handlungen vermeiden

Konstruktiv auf eine lichte, helle Art zu handeln baut positives Potenzial auf. Das Ergebnis solcher konstruktiven Handlungen ist eine Wiedergeburt in einem der besseren Zustände. Haben wir unheilsame, dunkle, düstere Handlungen begangen und destruktiv gehandelt, baut dies ein negatives Potenzial auf. Als Ergebnis dieses negativen Potenzials werden wir in schlechten Zuständen geboren; und dies ist sicher. Der Gewissheitsfaktor von karmischen Handlungen bezieht sich auf diesen Punkt.

Wollen wir wissen, wie über die verschiedenen Arten der dunklen, destruktiven Handlungen nachdenken können, so sind diese unheilsamen Handlungen zu zehn destruktiven Handlungen zusammengefasst: Drei destruktive Handlungen mit dem Körper, vier destruktive Handlungen der Rede und drei destruktive Handlungen des Geistes. Wenn wir die erste dieser Handlungen als ein Beispiel ins Auge fassen, so ist die erste Art der destruktiven Handlungen des Körpers, Leben zu nehmen. Das sich abzeichnende Ergebnis des Nehmens eines Lebens ist eine Wiedergeburt in einem der schlechten Wiedergeburtzustände. Dieses Resultat wird auch als „gereiftes Ergebnis“ bezeichnet. Es ist das erste Ergebnis, das als Resultat einer solchen Handlung heranreift. Es gibt dann zwei Arten von Wirkung, die ihrer Ursache entsprechen: Es gibt Wirkungen, die ihrer Ursache in unserer Erfahrung entsprechen, und es gibt Wirkungen, die ihrer Ursache in unserem Verhalten entsprechen. Wenn wir ein Leben genommen haben, so wäre eine Wirkung, die der ihrer Ursache in unserer Erfahrung entspräche, dass wir, nachdem wir dann in einem schlechten Wiedergeburtszustand gelandet sind, auch dann, wenn wir als Mensch wiedergeboren worden sind, die nur ein sehr kurzes Leben haben werden, was dadurch geprägt sein wird, dass wir häufig krank sind und unser Leben von Schwierigkeiten erfüllt sein wird. Diese Wirkung entspricht dem, was wir im vorherigen Leben getan haben in dem Sinn, dass wir das Leben eines anderen Lebewesens mutwillig verkürzt haben. Ein Beispiel für eine Wirkung, die in der Ursache in unserem Verhalten entspricht, wäre, dass wir uns bereits von früher Kindheit an instinktiv sehr sadistisch verhalten und gerne töten.

Ebenso gibt es auch eine umfassende oder vorherrschende Wirkung, die von vielen Lebewesen erfahren wird, die anderen Lebewesen ihr Leben genommen haben. Diese Wirkung sieht beispielsweise so aus, dass die Medizin in dem Land, in dem wir geboren werden, nicht besonders wirkungsvoll und schwach ist, und das Essen dort nur einen sehr geringen Nährwert haben wird.

Genauso wie sich diese vier Arten von Wirkungen zeigen, wenn wir das Leben eines anderen Lebewesen genommen haben, so entstehen auch vier vergleichbare Arten von Wirkungen aus den anderen neun destruktiven Handlungen.

Wenn wir einen Geisteszustand entwickelt haben, mit dem wir all die Nachteile des Tötens erkennen können und dann beschließen, da uns diese Nachteile eines solchen Handelns dann sehr bewusst sind, dass wir uns des Nehmens von Lebens enthalten wollen, und dann tatsächlich vom Töten Abstand nehmen, so handelt es sich bei der Übung der Zurückhaltung um eine heilsame, lichte, positive Handlung des Körpers. Es ist die konstruktive Handlung, das Töten zu unterlassen.

Wenn wir beschließen, nur ein einziges Mal das Nehmen des Lebens eines anderen Lebewesens zu unterlassen, da wir die Nachteile des Tötens in einer bestimmten Situation erkannt haben, und wenn wir uns dann in dieser Situation vom Töten zurückhalten, werden wir einen Zyklus von Wirkungen aus dieser konstruktiven Handlung erfahren. Wenn wir aber in derselben Situation ein Gelübde nehmen, nie wieder zu töten, und wenn wir uns nach dem Nehmen dieses Gelübdes danach jederzeit vom Töten zurückhalten, dann werden wir auch während wir schlafen damit fortfahren, das positive Potenzial aufzubauen, weiterhin das Töten zu unterlassen.

Unter den engen Schülern von Buddha Shakyamuni hatte jeder seine Besonderheit. Da gab es den hoch verwirklichten Katyayana (tib. Ka-tya‘i bu), der die besondere Fähigkeit hatte, gut mit Menschen der Grenzregionen umgehen zu können und sie zu zähmen. Er begegnete einmal einem Schlachter und bat diesen Mann, ein Gelübde zu nehmen, nicht zu töten und nie mehr ein Tier zu schlachten. Dieser Mensch sagte: „Ich kann das nicht machen, ich kann nicht versprechen, während des Tages kein Tier zu schlachten. Ich verspreche aber niemals Tiere des Nachts zu töten.“

Damals gab in den Meeren viele große Schätze und Juwelen zu finden, und viele Kaufleute fuhren zur See, um dort ihr Glück zu suchen. Diese Kaufleute nahmen immer einen Führer mit an Bord, da in diesen Zeiten Seereisen außerordentlich schwierig und gefährlich waren. Einmal bat eine Gruppe von Kaufleuten den hoch verwirklichten Sangharakshita (tib. dGe-‘dun tsho) darum, als ihr Führer mitzukommen. Auf schlechtes Wetter und riesige Wellen treffend, verloren sie ihren Weg und landeten in einem fremden, unbekannten Land.

Eines Nachts, als Sangharakshita in diesem fremden Land umherwanderte, kam er zu einem wunderschönen Haus, in dem er mit ausgezeichneter Verpflegung versorgt wurde. Er schlief in dieser Nacht sehr gut. Als er am nächsten Morgen erwachte, sagte sein Gastgeber: „Geht bitte bevor die Sonne aufgeht, da ich während des Tages schreckliche Probleme habe, die mich während des ganzen Tages bis zum Sonnenuntergang quälen.“ Er erklärte, dass alle Tiere der Gegend, sobald die Sonne aufgeht, zu seinem Haus kommen und ihn angreifen würden. Die Tiere mit Hörnern würden ihn stoßen und aufspießen, diejenigen mit Zähnen und Fängen ihn beißen und die Tiere mit Klauen würden ihn kratzen. Dieser schreckliche Vorgang würde bis zum Sonnenuntergang andauern. „Sobald die Sonne aber untergegangen ist, würde bis zum Morgen, wenn die Sonne wieder aufgeht, alles hier friedvoll, lieblich und schön sein“, sagte er.

Später traf Sangharakshita noch einmal den Buddha und beschrieb, dass es in einem entfernten Land diese sehr befremdliche und ungewöhnliche Situation gab. Der Buddha erklärte dann: „Bei dem Menschen dort handelt es sich um die Wiedergeburt eines Schlachters, der vor dem hoch verwirklichten Katyayana die Gelübde genommen hatte, sich des Schlachtens von Tieren nur des Nachts zu enthalten, der jedoch gleichermaßen gesagt hat, dass er das Schlachten während des Tages weiterführen müsse. Diese Situation, die du gesehen hast, ist das Resultat dieser Art von Handlung.“

Wie wir aus diesem Beispiel ersehen können, gibt es Gewissheit über die Art der Wirkung, die sich aus dem karmischen Potenzial ergibt, das wir durch verschiedene Arten von Handlungen aufgebaut haben – welcher Art diese Handlungen auch immer sein mögen.

Es gibt des Weiteren einen Faktor der als Wachstumsfaktor in Bezug auf das karmische Verhalten bezeichnet wird. Mit anderen Worten: Aus einer sehr kleinen Handlung können sich sehr weitreichende und enorme Wirkungen ergeben. Zum Beispiel kann aus einer winzigen Eichel ein großer und mächtiger Baum heranwachsen. Das betrifft eine äußere Ebene von Ursache und Wirkung. Auf einer inneren Ebene kann aus dem Samen eines karmischen Potenzials, das sich durch eine unbedeutende Handlung aufgebaut hat, auch eine außerordentlich große Wirkung heranreifen. Wenn wir beispielsweise eine korrekt ausgeführte, vollkommen gestreckte Niederwerfung machen, so baut diese Handlung dasselbe positiven Potenzial oder Verdienst auf wie die Handlungen, die benötigt werden, um als ein universeller kosmischer Herrscher, als ein Chakravartin-König, wiedergeboren zu werden. Und das wird so viele Male geschehen wie sich Staubkörner unter unseren Füßen befinden.

Es gab einmal einen Menschen, der einen irreführenden Text über bestimmte Rituale verfasst hat, die mit Schlangen zu tun hatten. Als Auswirkung dieser Handlung geschah etwas Schreckliches mit seinem Kopf: Sein Kopf platzte auf und er begann sich zu kratzen. Dann verwandelte er sich tatsächlich in eine Schlange. Es gab gleichfalls einmal einen Menschen, der zu einem Mönch sagte: „Deine Stimme klingt wie die eines Hundes“. Er wurde dann als Wirkung seines Handelns fünfhundert Mal als ein Hund wiedergeboren. Deshalb kann bereits aus einer relativ kleinen Bemerkung wie dieser, also zu sagen, dass die Stimme eines anderen Menschen wie die eines Hundes klingen würde, zu schrecklichen, verheerenden Auswirkungen führen.

Zu Beginn der Entwicklung des Universums wurde der erste herrschende Monarch als der „allgemein gewählte Monarch“ bezeichnet. Dieser Monarch hielt nicht nur die Herrschaft über die vier Inselwelten, den sogenannten „vier Kontinenten“, und den sekundären Inselwelten inne, sondern hatte auch das positive Potenzial aufgebaut, das ihn befähigte, den Thron mit dem König der Götter, Indra, im Himmel der Dreiunddreißig Götter zu teilen. In der Zeit als er sich die Herrschaft mit Indra teilte, griffen die Gegengötter, die Asuras, immer wieder die Götter an, wurden sehr stark und gewannen die Schlacht. Er war nun zwischen zwei Möglichkeiten hin- und hergerissen: Er konnte sich nicht entscheiden, ob er den Göttern in diesem Krieg helfen sollte, oder ob er die Gelegenheit nutzen sollte und versuchen sollte, den Thron in diesem Himmel an sich zu reißen und selbst zu herrschen. So sehr er sich auch bemühte, konnte er doch nie die alleinige Herrschaft erlangen. Der Grund dafür, warum er das Potenzial dafür nicht hatte, und die Situation sich so gestaltete, war, dass er zu Lebzeiten eines früheren Buddha diesem Buddha die Gabe von fünf Erbsen dargebracht hatte. Als er die fünf Erbsen darbrachte und sie in die volle Bettelschale dieses früheren Buddha legte, landeten vier dieser Erbsen in der Schale, aber eine Erbse blieb am Schalenrand hängen. Als eine Wirkung dieses positiven Potenzials, das sich dadurch aufgebaut hatte, dass vier Erbsen in der Schale zum Liegen kamen, hatte er die Bestimmung über die vier Kontinente zu herrschen und konnte mit Indra den Thron teilen. Er hatte aber nur Anspruch auf die Hälfte des Thrones des Königs der Götter, weil die eine Erbse auf halbem Weg in die Schale am Schalenrand hängen geblieben war.

Diese Beispielen geben uns Stoff zum Nachdenken darüber, wie karmisches Potenzial durch den karmischen Wachstumsfaktor wächst. Es ist außerordentlich wichtig, über die verschiedenen Faktoren nachzudenken, die das karmische Verhalten und ihre Wirkungen betreffen.

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