Dem Dharma folgen und Leiden vermeiden

Das Sanskrit-Wort Dharma, wie auch das tibetische Wort chö (tib. chos), bedeutet „halten“ oder „aufrechterhalten“. Was wird gehalten und aufrechterhalten? Die Beseitigung des Leidens und das Erlangen von Glück. Der Dharma tut das nicht nur für uns, sondern für alle Wesen.
Video: Geshe Tashi Tsering — „Dharma wertschätzen“ 
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Leiden erkennen

Die Leiden, das wir erfahren, sind von zweierlei Art: Leiden, die für uns als Menschen unmittelbar sichtbar sind und Leiden, die wir nicht ohne außersinnliche Kräfte wahrnehmen können. Die erste Art des Leidens umfasst den Schmerz, der mit dem Geburtsvorgang verbunden ist, die Unannehmlichkeit, gelegentlich krank zu werden, das Elend, das man mit dem Älterwerden und dem Altern erfährt, wie auch die panische Angst vor dem Tod.

Die Leiden, die sich nach dem Tod einstellen, sind für einen normalen Menschen nicht sichtbar. Wir denken vielleicht, dass wir, nachdem wir gestorben sind, wahrscheinlich als Mensch wiedergeboren werden. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise der Fall. Es gibt keinen logischen Grund, der uns veranlassen könnte, anzunehmen, dass sich für uns eine solche Entwicklung ergeben wird. Und es ist auch nicht der Fall, dass wir nach unserem Tod überhaupt keine Wiedergeburt annehmen werden.

Und was die spezielle Art von Wiedergeburt, die wir annehmen werden, betrifft, so ist dies für uns sehr schwierig zu erkennen – es handelt sich um etwas, das gegenwärtig nicht im Bereich unseres Wissens liegt. Wenn wir in diesem Leben positives Karma erzeugen, wird sich daraus natürlicherweise ergeben, dass wir in Zukunft glückliche Formen der Wiedergeburt erlangen werden. Wenn wir umgekehrt hauptsächlich negatives Karma erzeugen, werden wir keine glückliche Wiedergeburt annehmen, sondern große Schwierigkeiten in niederen Daseinsbereichen erfahren. Das ist gewiss. Auf diese Weise funktioniert Wiedergeburt. Wenn wir ein Weizenkorn pflanzen, wird daraus Weizen wachsen. Wenn wir ein Reiskorn pflanzen, wird daraus eine Reispflanze entstehen. Ebenso verhält es sich, wenn wir negatives Karma erschaffen, wir pflanzen damit Samen für eine Wiedergeburt in einem der drei niederen Bereiche, also als ein Höllenwesen, als ein hungriger Geist oder als ein Tier.

Es gibt vier unterschiedliche Zustände oder Bereiche von Höllen (freudlose Bereiche): heiße, kalte, angrenzende und gelegentliche Höllen. Um diese noch weiter zu unterteilen, unterscheidet man acht verschiedene heiße Höllen. Die erste dieser Höllen ist bekannt als die Hölle des Wiederauflebenlassens. Bei dieser Hölle handelt es sich relativ gesprochen um die Hölle mit dem geringsten Leiden. Um das Ausmaß des Elends zu verstehen, das hier erfahren wird, kann man sagen, dass die Qualen eines Menschen, der in einem gewaltigen Feuer verbrennt, sehr gering sind, im Vergleich zu den Qualen, die jene Wesen erfahren, die sich in der ersten heißen Hölle befinden. Jede Hölle unterhalb der Hölle des Wiederauflebenlassens hat einen zunehmend intensiveren Grad von Elend.

Auch wenn die Leiden der Höllenwesen und hungrigen Geister für uns vielleicht nicht sichtbar sind, so können wir doch die Leiden der Tiere mit eigenen Augen sehen. Wenn wir uns fragen würden, was mit uns geschehen würde, wenn wir selbst als Tiere wiedergeboren würden, brauchen wir nur die Straßentiere und Lasttiere zu betrachten, hier um uns herum in Indien, und darüber nachdenken wie es wohl wäre, in ihrer Situation zu sein. Der Dharma ist das, was uns davon zurückhält und davor schützt, die Leiden dieser niederen Wiedergeburten zu erfahren.

Das gesamte Rad der Wiedergeburten, die ganze unkontrollierbare sich wiederholende Existenz (Samsara), ist ihrer Natur nach Leiden. Der Dharma ist das, was uns vor allen samsarischen Leiden schützt. Zudem gewährt der Mahayana-Dharma, die Lehren des Großen Fahrzeugs, nicht nur uns selbst Schutz, sondern allen begrenzten Wesen (fühlenden Wesen).

Die sichere Richtung der Zuflucht einschlagen

Im Buddhismus hören wir viel über die drei Zufluchtsjuwelen Buddha, Dharma und Sangha. Das erste dieser Zufluchtjuwelen umfasst all die vollkommen erleuchteten Wesen, die den Dharma lehren. Buddha Shakyamuni, der als erstes das Rad des Dharmas in Varanasi gedreht hat, indem er dort die vier edlen Wahrheiten gelehrt hat, ist für uns am wichtigsten. Die letzte dieser vier Wahrheiten – die wahren Pfade – bezieht sich auf den Dharma, der praktiziert wird, um die Befreiung zu erlangen. Dies ist das Zufluchtsobjekt der sicheren Ausrichtung, das als das Dharma-Juwel bezeichnet wird.

Dharma-Praxis umfasst zwei Dinge: die Wurzel samsarischen Leids zu erkennen und diese Wurzel gründlich zu beseitigen. Was ist die Wurzel der sich wiederholenden Existenz? Die Wurzel der sich wiederholenden Existenz ist das Greifen nach einem wahrhaft existenten Selbst und nach der wahren Existenz der Phänomene. Wir müssen einen Widerwillen gegen dieses Greifen entwickeln, das uns all unser Leiden bringt. Das Gegenmittel ist die Weisheit (unterscheidendes Gewahrsein) der Selbstlosigkeit oder Identitätslosigkeit. Das Verständnis der Selbstlosigkeit ist das, was uns die Befreiung vom Leiden bringen wird.

Die Leiden, die wir in Samsara erfahren, entstehen nicht ohne eine Ursache. Sie werden verursacht durch die störenden Emotionen und Geisteshaltungen (Täuschungen) und durch das Karma, das durch diese geschaffen wird. Die Wurzel aller störenden Emotionen und Geisteshaltungen, wie auch des Karmas, ist das Greifen nach einem Selbst. Wenn wir dies verstehen, streben wir danach, das Gegenmittel gegen dieses Greifen nach einem Selbst zu erlangen. Warum haben wir das Gegenmittel bis jetzt noch nicht in unserem geistigen Kontinuum entwickelt? Warum verstehen wir die Selbstlosigkeit nicht? Ein Grund dafür ist, dass wir uns des Todes und der Vergänglichkeit nicht genügend gewahr sind.

Tod und Vergänglichkeit

Das einzige mögliche Ergebnis der Geburt ist der Tod. Es ist unausweichlich, dass wir sterben werden. Es gibt kein lebendes Wesen, dessen Leben nicht durch den Tod beendet worden ist. Die Menschen probieren zahlreiche Methoden aus, um das Auftreten des Todes zu verhindern, aber das ist unmöglich. Keine Medizin kann uns vom Tod heilen.

Einfach zu denken: „Ich werde sterben“, ist nicht wirklich die richtige Art, über den Tod nachzudenken. Natürlich muss jeder sterben, aber lediglich über diese Tatsache nachzudenken, ist nicht sehr kraftvoll. Es ist nicht in die richtige Methode. In gleicher Weise ist es nicht ausreichend, einfach über die Tatsache nachzudenken, dass wir zerfallen und verderben werden, dass unsere Körper sich auflösen werden. Worüber wir nachdenken müssen ist, wie wir unseren Untergang verhindern können.

Erst wenn wir über die Angst nachdenken, die uns zum Zeitpunkt des Todes befallen wird, und wie wir diese Angst beseitigen können, wird unsere Meditation über den Tod effektiv werden. Menschen, die während ihrer Lebenszeit viel negatives Karma angesammelt haben, sind zum Zeitpunkt ihres Todes voller Angst. Sie weinen, Tränen laufen ihre Wangen hinab, sie sabbern aus ihrem Mund heraus, sie scheiden Kot und Urin in ihre Kleidung aus und sind völlig überwältigt. Das sind klare Anzeichen für das Leiden, das zum Zeitpunkt des Todes auftritt – verursacht durch die Angst, die durch negative Handlungen, die man während seines Lebens getan hat, entstanden ist.

Wenn wir uns aber davon zurückgehalten haben, während unserer Leben negative Handlungen zu begehen, wird es uns sehr leichtfallen, der Zeit des Sterbens ins Auge zu sehen. Man wird dann eine Erfahrung von Freude machen, sich fühlen wie ein Kind, das zu seinen Eltern nach Hause zurückkehrt. Wenn wir uns selbst gereinigt haben, können wir glücklich sterben. Indem wir die zehn negativen Arten von Handlungen unterlassen und ihr Gegenteil, die zehn konstruktiven Handlungen, kultivieren, wird uns das Sterben leichtfallen, und als Ergebnis daraus werden wir keine Wiedergeburten in leidvollen Umständen erfahren. Wir können einer Wiedergeburt in glücklicheren Umständen sicher sein. Indem wir die Samen einer Arzneipflanze säen, erhalten wir Bäume mit Heilkräften, wenn wir Samen von giftigen Bäumen säen, werden nur schädliche Früchte heranreifen. Wenn wir die Samen konstruktiver Handlungen in unserem Bewusstsein säen, werden wir in zukünftigen Wiedergeburten Glück erfahren. Wir werden uns sowohl geistig als auch körperlich in glücklichen Situationen wiederfinden. Die grundlegende Lehre des Dharma, zerstörerische Handlungen zu vermeiden und konstruktive zu kultivieren, wird nicht nur im Buddhismus gelehrt, sondern auch in vielen anderen Religionen, dem Christentum eingeschlossen.

Wie kontemplieren wir über Tod und Vergänglichkeit? Wie schon zuvor erwähnt, ist es nicht sehr nützlich, einfach nur zu denken: „Ich werde sterben.“ Wir müssen folgende Betrachtung anstellen: „Wenn ich eine der zehn zerstörerischen Handlungen ausgeführt habe, werde ich zum Zeitpunkt des Todes ziemlich viel Angst und Leiden begegnen und als Resultat davon werde ich mich in eine Wiedergeburt intensiven Unglücks zurückentwickeln. Auf der anderen Seite werde ich, wenn ich während meines Lebens positive Kraft (Verdienst) geschaffen habe, zum Zeitpunkt meines Todes keine Angst oder kein Leiden erfahren, und werde in glücklicheren Umständen wiedergeboren.“ Das ist die richtige Art und Weise über den Tod nachzudenken.

Die Meditation muss nicht notwendigerweise mit einem trübsinnigen, pessimistischen Gedanken verbunden sein – wie beispielsweise: „Ich werde sterben und es gibt nichts, was ich daran ändern kann.“ Es ist besser, darüber nachzudenken, was eigentlich passieren wird, wenn wir sterben. „Wohin werde ich nach dem Tod gehen? Welche Art von Ursachen habe ich geschaffen? Kann ich meinen Tod zu einem glücklichen Tod machen? Wie kann ich das machen? Kann ich meine zukünftige Wiedergeburt glücklich gestalten? Wie kann ich das tun?“

Wenn wir über zukünftige Wiedergeburten kontemplieren, müssen wir uns daran erinnern, dass es keinen Ort in Samsara gibt, der zuverlässig ist. Ganz gleich welche Art von Körper wir annehmen, irgendwann muss er dahingehen. In der buddhistischen Geschichtsschreibung können wir Berichte über Menschen finden, die hundert oder sogar tausend Jahre lang gelebt haben. Doch ganz gleich, wie fantastisch diese Berichte auch sein mögen, so gibt es doch keinen einzigen Bericht über einen Menschen, der nicht irgendwann sterben musste. Jede Art von samsarischem Körper, den wir annehmen, ist dem Tod unterworfen.

Es gibt auch keinen Ort, an den wir gehen könnten, um dem Tode zu entfliehen. Ganz gleich wo wir sind, wenn die Zeit gekommen ist, müssen wir sterben. Keine Medizin, Mantren oder (Dharma-)Praxis – in welchen Mengen auch immer – wird uns dann helfen können. Chirurgische Operationen mögen gewisse Arten von Krankheiten in unserem Körper heilen, aber es gibt keinerlei chirurgische Operation, die den Tod verhindern kann.

Ganz gleich welche Art von Wiedergeburt wir annehmen werden, sie ist dem Tod unterworfen. Der Prozess ist fortlaufend. Über die Langzeitwirkungen unserer Handlungen nachzudenken und wie der Prozess von Geburt, Leben, Tod und Wiedergeburt ununterbrochen weitergeht, wird uns dabei helfen, viel positives Karma zu schaffen.

Obwohl wir uns manchmal vornehmen, den Dharma zu praktizieren, planen wir meistens, dass wir das morgen tun wollen oder am darauffolgenden Tag. Niemand wird uns jedoch sagen können, wann wir sterben werden. Wenn wir eine Garantie hätten, dass wir definitiv noch hundert Jahre zu leben hätten, hätten wir genügend Freiraum, in dem wir unsere Praxis planen könnten. Aber es gibt nicht die geringste Sicherheit darüber, wann wir sterben werden. Es ist sehr närrisch, unsere Praxis aufzuschieben. Einige Menschen sterben bereits im Mutterleib, noch bevor sie geboren werden, andere sterben als kleine Babys, noch bevor sie laufen lernen. Wir können also nicht schließen, dass wir ein langes Leben haben werden.

Unsere Körper sind sehr zerbrechlich und zart. Wenn sie aus Steinen oder Eisen geschaffen wären, würden sie uns vielleicht ein Gefühl von Stabilität geben. Aber wenn wir sie genauer untersuchen, werden wir feststellen, dass der menschliche Körper sehr schwach ist. Es ist sehr leicht möglich, dass mit ihm irgendetwas schief geht. Er ist wie eine empfindliche Armbanduhr, die aus zahllosen kleinen, zerbrechlichen Teilen zusammengesetzt ist. Der menschliche Körper gehört nicht zu den Dingen, denen man vertrauen kann. Es gibt viele Umstände, die unseren Tod herbeiführen können: eine Lebensmittelvergiftung, der Biss eines kleinen Insekts oder sogar der Stich eines giftigen Dorns. Bereits solche unbedeutenden Umstände können uns töten. Die Nahrung und Flüssigkeit, die wir verwenden, um unser Leben zu verlängern, können selbst ein Umstand dafür werden, dass unser Leben endet. Es gibt überhaupt keine Gewissheit darüber, wann wir sterben werden oder welche Umstände unseren Tod verursachen werden.

Selbst wenn wir uns sicher wären, dass wir hundert Jahre zu leben hätten, wären doch bereits viele Jahre dieser Lebensspanne vergangen und wir haben noch nicht viel erreicht. Wir gehen an den Tod heran wie ein Mann, der im Eisenbahnabteil schläft; er kommt ständig seinem Ziel näher und näher, ohne dass er sich dessen bewusst ist. Es gibt wenig, was wir tun könnten, um diesen Prozess zu stoppen. Wir kommen dem Tod lediglich ständig näher.

Ganz gleich, wie viel Geld, Juwelen, Häuser oder Kleidungsstücke wir in unserem Leben angesammelt haben, zur Stunde des Todes wird das überhaupt keinen Unterschied machen. Wenn wir sterben, müssen wir mit leeren Händen gehen. Nicht einmal das kleinste materielle Objekt können wir mit uns nehmen: Der Körper selbst muss zurückgelassen werden. Körper und Geist trennen sich und der Geistesstrom besteht für sich alleine weiter. Es ist nicht nur unmöglich, unsere Besitztümer mit uns zu nehmen, wir können noch nicht einmal unsere Körper mit uns nehmen.

Karma

Was begleitet das Bewusstsein nach dem Tod? Wenn wir unsere Körper, unsere Freunde und all unseren Besitz zurücklassen müssen, wird es dann einen Helfer geben oder etwas, das unser Bewusstsein in ein zukünftiges Leben begleiten wird?

Es gibt etwas, das dem Bewusstsein nach dem Tode folgt: die karmischen Vermächtnisse (Samen), die wir in dieser Lebensspanne aufgebaut haben. Wenn wir irgendeine der zehn negativen karmischen Handlungen begangen haben, wird ein negatives karmisches Vermächtnis oder eine karmische Schuld unser geistiges Kontinuum begleiten, wenn es in unsere zukünftige Wiedergeburt übergeht. Indem wir andere Wesen töten, den Besitz anderer stehlen oder sexuellem Fehlverhalten frönen, werden negative karmische Vermächtnisse dieser destruktiven Handlungen des Körpers in den Geistesstrom gelegt. Indem wir lügen, andere verleumden und Uneinigkeit zwischen Menschen verursachen, anderen mit Worten Schaden zufügen, oder bedeutungslose Dinge sagen, werden die negativen karmischen Schulden dieser negativen Handlungen der Sprache uns beim Zeitpunkt unseres Todes begleiten. Wenn wir zahlreiche begehrliche Gedanken gehabt haben, uns oft den Besitz anderer gewünscht haben; wenn wir Böswilligkeit gegenüber anderen empfunden haben, uns gewünscht haben, dass sie Schaden erleiden, oder ihnen etwas Schlimmes widerfährt; oder wenn wir verzerrte, antagonistische Gedanken gehegt haben wie beispielsweise: „So etwas wie vergangene oder zukünftige Leben gibt es nicht“; „So etwas wie Ursache und Wirkung gibt es nicht“, „So etwas wie eine sichere Ausrichtung oder Zuflucht gibt es nicht“, dann werden diese destruktiven Handlungen des Geistes negative karmische Vermächtnisse erzeugen, die mit uns reisen werden und unseren Geist in zukünftige Wiedergeburten lenken werden.

Das Gegenteil ist ebenso wahr. Wenn wir positive Handlungen ausgeübt haben und uns davon abgewandt haben, Negativität zu erzeugen, werden die karmischen Vermächtnisse solcher positiven Energie mit unserem Geistesstrom reisen und bessere Umstände in zukünftigen Leben hervorbringen.

Wenn wir wirklich über die Situation nachdenken, in der wir uns befinden, werden wir uns dazu entschließen, zu versuchen, auf jede erdenkliche Art positives Karma zu erzeugen und das Gegenteil zu beseitigen. Wir müssen versuchen, uns selbst von soviel Negativität wie nur möglich zu reinigen, wobei wir nicht einmal die geringfügigste karmische Schuld zurücklassen sollten, die wir sonst in zukünftigen Leben zu bezahlen hätten.

Wir müssen uns ansehen, welche Arten von Reaktionen sich innerhalb des Gesetzes von Ursache und Wirkung ereignen können. Es gibt den Bericht über einen Menschen, der sehr viele gute Qualitäten besaß, aber schroff in seiner Sprache war. Er beschimpfte jemanden, indem er sagte: „Du sprichst wie ein Hund.“ Als Ergebnis dieser Handlung wurde er selbst fünfhundert Mal als ein Hund wiedergeboren. Eine scheinbar kleine Handlung, kann eine sehr große Auswirkung haben.

Ebenso kann eine sehr kleine positive Handlung, große Ergebnisse hervorbringen. Es gibt den Bericht eines Kindes, das dem Buddha eine bescheidene Opfergabe darbrachte und als Ergebnis davon als der große König Ashoka wiedergeboren wurde, der Tausende von buddhistischen Monumenten erbaut und zahllose erhabene Aktivitäten vollbracht hat.

Entsagung und Mitgefühl

Die Kontemplation über die verschiedenen Arten destruktiver Handlungen, die wir begangen haben, und deren Auswirkungen, ist eine sehr wirksame Methode, die uns Wohlergehen und Glück garantiert. Wenn wir über das Leiden nachdenken, das wir als Ergebnis all unserer Negativität selbst erfahren werden, und auf diese Weise in uns der äußerst starke Wunsch entsteht, diese Art des Elends nicht erfahren zu wollen, dann haben wir das entwickelt, was wir als „Entsagung“ bezeichnen.

Uns selbst mit dieser Art des Denkens vertraut zu machen, ist in sich eine Form der Meditation. Als erstes müssen wir die Vergegenwärtigung unseres eigenen Leidens entwickeln; dann müssen wir diese Vergegenwärtigung zu allen lebenden Wesen hin ausdehnen. Erwägt dazu, dass alle Wesen sich wünschen, kein Leid zu erfahren, jedoch gefangen sind in einer leidvollen Zwangslage. Diese Art des Denkens führt uns zu Mitgefühl. Wenn wir nicht den Wunsch entwickeln, selbst frei zu sein von all unseren eigenen Leiden, wie können wir dann für andere Wesen den Wunsch entwickeln, dass sie von ihren Leiden frei sein mögen? Wir können all unseren eigenen Leiden ein Ende setzen, was jedoch im letztendlichen Sinn nicht vorteilhaft ist. Wir müssen diesen Wunsch zu allen lebenden Wesen hin ausdehnen, die sich auch alle nach Glück sehnen. Wir können unseren Geist trainieren und den Wunsch entwickeln, dass jedes Wesen vollkommen getrennt sein möge von seinen Leiden. Das ist eine viel weiter reichende und vorteilhaftere Denkweise.

Warum müssen wir uns um andere lebende Wesen kümmern? Weil wir von anderen sehr viel erhalten. Die Milch, die wir trinken, gelangt beispielsweise durch die Freundlichkeit der Kühe und Büffel zu uns; die warme Kleidung, die uns gegen Kälte und Wind schützt, erhalten wir durch die Wolle von Schafen und Ziegen und so weiter. Das sind lediglich ein paar Beispiele, warum wir versuchen müssen Methoden zu finden, die ihre Leiden beseitigen können.

Ganz gleich, welche Art von Praxis wir durchführen – die Rezitation von Mantren oder irgendeine Form von Meditation – wir müssen dabei stets den Gedanken im Sinn behalten: „Möge dies allen begrenzten Wesen nützen.“ Das wird dann wiederum uns selbst auf ganz natürliche Art Nutzen bringen. Unsere alltägliche Lebenssituation kann uns zu einem Verständnis dafür verhelfen. Wenn jemand beispielsweise sehr selbstsüchtig ist und stets auf seinen eigenen Vorteil hinarbeitet, wird er von anderen nicht wirklich gemocht werden. Wenn sich dagegen jemand freundlich verhält und anderen stets helfen will, wird er gewöhnlich von jedem gemocht.

Der Gedanke, den wir in unserem Geisteskontinuum entwickeln wollen, lautet: „Mögen alle Wesen glücklich sein und möge niemand leiden.“ Wir müssen versuchen, diesen Satz in unser eigenes Denken eingehen zu lassen, indem wir uns wieder und wieder daran erinnern. Das kann äußerst nützlich sein. Wesen, die in der Vergangenheit diese Art zu denken kultiviert haben, sind jetzt herausragende Buddhas, Bodhisattvas, oder Heilige; all die wahrhaft großen Männer und Frauen dieser Welt, haben sich diesen Gedanken als Grundlage genommen. Wie wundervoll wäre es, wenn wir selbst versuchen könnten, diese Art zu denken zu entwickeln!

Das Karma, anderen zu schaden, um von uns geliebte Menschen zu schützen

Ist es ratsam, uns nicht zu verteidigen, wenn jemand versucht, uns Schaden zuzufügen?

Diese Frage führt uns in ein sehr umfangreiches Themengebiet. Wenn uns jemand mit einem Knüppel oder Stock auf den Kopf schlägt, ist die beste Reaktion, darüber zu meditieren, dass wir dies aufgrund unserer eigenen vergangenen negativen Handlungen erfahren. Denken Sie darüber nach, dass diese Person es Ihnen gestattet, dass dieses spezifische karmische Vermächtnis bereits jetzt reift, und nicht erst irgendwann in der Zukunft. Sie können dann Dank dafür empfinden, dass dieser Mensch Ihnen jetzt dabei hilft, diese negative karmische Schuld aus Ihrem Geistesstrom zu beseitigen.

Was ist, wenn jemand meine Frau oder meine Kinder angreift, die unter meinem Schutz stehen? Verteidige ich sie? Wäre das eine negative Handlung?

Soweit es Ihre Pflicht und Verantwortlichkeit ist, Ihre Frau und Ihr Kind zu schützen, müssen Sie dies in einer so geschickten Art und Weise wie möglich tun. Dazu müssen Sie einfallsreich sein. Am besten ist es, Frau und Kinder zu schützen, ohne den Angreifer dabei zu schädigen. Mit anderen Worten, es ist nötig, eine Methode finden, Ihre Frau und Ihre Kinder zu schützen, ohne dass Sie dabei jemandem Schaden zufügen.

Der Angreifer kann meinen Kindern etwas zu Leide tun, aber ich kann ihm nichts zu Leide tun? Ist es nicht unsere Pflicht, unsere Kinder gegen barbarische und grausame Handlungen zu beschützen? Sollen wir einfach unser Leben aufgeben?

Um auf die Situation geschickt zu reagieren, brauchen Sie viel Mut. Es gibt einen Bericht über ein vorhergehendes Leben des Buddha, in dem er ein Seefahrer war, der auf der Suche nach einem vergrabenen Schatz mit einer Gruppe von fünfhundert Menschen in See stach. Es gab einen Mann in dieser Gruppe, der viele gierige Gedanken hatte und der – um all die Juwelen für sich selbst behalten zu können – plante, die anderen fünfhundert Menschen zu ermorden. Der Bodhisattva (Shakyamuni Buddha in einem vorherigen Leben) war sich dieser Situation gewahr und dachte, dass es nicht richtig sei, wenn sich diese Situation einfach so weiterentwickeln würde, und ein einzelner Mann dann fünfhundert Menschen ermorden würde. Daher entwickelte er den äußerst mutigen Gedanken, diesen einen Menschen zu töten, um das Leben der fünfhundert Menschen zu retten, und dabei bereitwillig die volle Verantwortung für das Töten auf sich zu nehmen. Wenn Sie bereitwillig akzeptieren, in der Hölle wiedergeboren zu werden, um andere zu retten, dann haben Sie einen wahrhaft mutigen Gedanken gefasst. Dann können Sie selbst solche Handlungen ausführen, so wie es der Buddha getan hat.

Wird das Töten unter diesen Umständen immer noch als eine negative Handlung betrachtet?

Nagarjuna hatte in seinem „Brief an einen Freund“ geschrieben, dass wenn man eine negative Handlung ausführt, um seine Eltern, seine Kinder, den Buddhismus oder die drei Zufluchtsjuwelen zu beschützen, dann auch die Konsequenzen, die daraus folgen, zu erleiden hat. Dabei macht es einen großen Unterschied, ob man der Konsequenzen gewahr ist oder nicht, und ob man bereit ist, die Konsequenzen auf sich zu nehmen, um in selbstloser Weise seine Frau und Kinder zu beschützen. Wenn Sie ihrem Feind Leid zufügen, werden Sie die Erfahrung einer leidvollen Wiedergeburt machen. Wie auch immer, es ist nötig, dem bereitwillig zu begegnen, indem Sie denken: „Ich werde dieses Leiden auf mich nehmen, denn dann werden meine Frau und meine Kinder nicht leiden.“

Würde es dann gemäß der buddhistischen Tradition dennoch eine negative Handlung sein?

Frauen und Kinder zu beschützen ist eine positive, konstruktive Handlung, aber dem Feind zu schaden ist eine negative und destruktive Handlung. Sie müssen dazu bereit sein, die Konsequenzen dieser beiden Handlungen auf sich zu nehmen.

Sie haben gesagt, wenn man negatives Karma schafft, wird man in der Zukunft leiden, aber wenn man Gutes tut, wird daraus Glück folgen. Können diese guten Handlungen zu einer vollständigen Erlösung führen, in dem Sinne, dass man keine Wiedergeburt mehr erfahren muss?

Wenn Sie die Erlösung erlangen möchten, müssen Sie den Belehrungen vollständig und präzise folgen. Wenn Sie beispielsweise einem christlichen Pfad folgen, müssen Sie die Lehren von Christus genau befolgen. Jesus allein kann uns nicht von unseren Sünden retten; wir müssen selbst etwas dafür tun. Warum sonst hätte Jesus uns gelehrt, nicht zu sündigen? Wenn wir genau dem folgen, was Jesus gelehrt hat, denke ich, dass eine christliche Erlösung möglich ist. Wenn wir genau den Lehren des Buddha folgen, ist eine buddhistische „Erlösung“ – Befreiung – möglich.

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