Tibetische Astrologie und Karma

Die Vorteile, Astrologie zu erlernen

Wenn wir in einem buddhistischen Kontext am Anfang eines Vortrags unsere Motivation bestätigen, betonen wir immer, dass unser Zuhören zum Ziel hat, etwas zu lernen, das uns in unserem Leben helfen kann. Im Besonderen möchten wir etwas lernen, das uns nicht nur bei unseren eigenen Problemen hilft, sondern das uns auch befähigt, anderen auf bestmögliche Weise zu helfen. Denken wir vor diesem Hintergrund über Astrologie nach, müssen wir uns klar machen, was es uns wirklich bringt, Astrologie zu studieren und mehr darüber zu erfahren.

Auf einer Ebene hilft uns Astrologie zu wissen, was in der Zukunft eintreten kann. Auf der Basis dieses Wissens können wir Vorsichtsmaßnahmen treffen, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Nicht zuletzt bedeutet Dharma wörtlich Vorbeugemaßnahmen. Wir müssen uns jedoch vorsehen, dass wir nicht abergläubig werden und meinen, alles sei vorherbestimmt – dass bestimmte Probleme auf jeden Fall eintreten werden – da dies der buddhistischen Sicht des Lebens widerspricht. Besonders wenn wir astrologische Voraussagungen betrachten, ist es sehr wichtig, diese im Rahmen der buddhistischen Lehren über Karma zu verstehen.

Auf einer anderen Ebene gibt uns das Erlernen der Astrologie Richtlinien für ein besseres Verständnis unserer selbst an die Hand, sodass wir eine gewisse Vorstellung von unseren emotionalen Problemen gewinnen. Auf einer allgemeineren Ebene gewähren ihre Bausteine aus Planeten, astrologischen Zeichen und so weiter eine analytische Struktur, innerhalb derer wir unser Leben und unsere Persönlichkeit betrachten können.

Wenn wir jemandem helfen möchten, ist es nicht leicht, eine klare Vorstellung davon zu gewinnen, was für eine Art von Problem er oder sie haben könnte oder wie wir am besten mit diesem Menschen kommunizieren können. Eine gewisse Kenntnis seines oder ihres Horoskops, auch im Vergleich zu unserem, ist hilfreich, um eine Ahnung davon zu bekommen, wie wir uns diesem Menschen annähern können. Auch dies müssen wir im buddhistischen Kontext betrachten. Wir müssen unbedingt vermeiden, Menschen in feste Kategorien einzusperren und zu denken: „Ah, dieser Mann ist eine Waage und ich bin ein Löwe; ich muss mit ihm auf diese Weise umgehen. Diese Frau ist ein Stier, ich muss mich also so verhalten.” Solch fehlerhaftes Denken lässt keinen Raum für Individualität und gestattet keine Flexibilität. Wenn wir keine Vorstellung davon haben, wie wir uns mit jemandem in Beziehung setzen sollen, kann uns Astrologie die erste Karte in die Hand geben, um das Spiel zu eröffnen. Wir müssen an die Astrologie aus diesem Blickwinkel herangehen und sie immer mit den buddhistischen Lehren über Karma und Leerheit zusammenbringen.

Unter den vielen astrologischen Traditionen der Welt gehört das tibetisch-mongolische System zu den komplexeren. Es ist komplizierter als die westliche Astrologie. Hier werden wir uns einfach einen kurzen Überblick über das Thema verschaffen, um eine Vorstellung davon zu bekommen, was es beinhaltet. Mongolische Astrologie ist eine leicht abweichende Variante des wichtigsten tibetischen astrologischen Systems, doch in dieser Einführung werden wir über das tibetisch-mongolische System im Allgemeinen sprechen. Dann können wir uns der Beziehung zwischen Astrologie und Karma und Leerheit zuwenden. Die Diskussion über Letzteres beschränkt sich nicht auf tibetisch-mongolische Astrologie und ist nicht spezifisch auf sie bezogen, sondern für alle astrologischen Systeme relevant.

Der Umfang der tibetisch-mongolischen Astrologie

Das Studium der tibetisch-mongolischen Astrologie beinhaltet viele Themen. Die meisten denken bei Astrologie nur an das Berechnen und Auslegen von Horoskopen, und man erlernt dies mit Sicherheit als Teil der Ausbildung in tibetisch-mongolischer Astrologie. Tibetische und mongolische Horoskope ermöglichen jedoch nicht nur ein Bild von der Persönlichkeit, mit der man geboren wird – das Geburtshoroskop. Sie führen auch aus, wie das Leben des jeweiligen Menschen sich im Laufe der Jahre entwickeln kann – das Verlaufs- oder Jahreshoroskop – das auf eine Art erstellt wird, die sich sehr von der für ein westliches Horoskop unterscheidet.

Man kann kein Horoskop zeichnen, wenn man nicht das Geburtsdatum und den Ablauf der Lebensspanne im Bezug zum Kalender kennt. Ein Großteil des Studiums dreht sich also um Mathematik und Berechnungen für das Erstellen des tibetischen und mongolischen Kalenders, der sich auch sehr vom westlichen unterscheidet. Darüber hinaus kann man kein Horoskop erstellen, wenn man nicht genau weiß, wo sich die Planeten zur Zeit der Geburt und im späteren Verlauf des Lebens befunden haben. Einen weiteren großen Teil der Ausbildung nimmt daher die Mathematik für die Berechnungen der tibetisch-mongolischen Ephemeriden ein, mit anderen Worten für die täglichen Konstellationen der Planeten. Es gibt einige Tabellen, die man dazu befragen kann, genau wie im Westen, doch die meisten tibetischen und mongolischen Astrologen berechnen alles selbst.

In Verbindung mit dem Kalender erstellen die Astrologen auch Jahrbücher wie z.B. Pflanzkalender, die die Tage und Stunden angeben, die für das Bestellen der Felder und das Einbringen der Ernte am günstigsten sind, sowie andere Dinge, die in einer Gesellschaft wichtig sind.

Wie im Falle der tibetisch-mongolischen Medizin vereint die tibetisch-mongolische Astrologie auf einzigartige Weise Aspekte, die ursprünglich aus Indien, dem alten Griechenland, China, Zentralasien und der einheimischen Bön-Tradition stammten. Das Material lässt sich in zwei wesentliche Aspekte unterteilen: „weiße Berechnungen“ und „schwarze Berechnungen“. Diese Namensgebung hat nichts mit gut oder schlecht zu tun, wie im Falle von „weißer” oder „schwarzer“ Magie. Weiß und schwarz sind Abkürzungen für die tibetischen Namen für Indien und China. Indien ist in Tibet bekannt als „das weite Land, in dem Menschen weiß tragen“ und China als „das weite Land, in dem Menschen schwarz tragen“.

Weiße Berechnungen und Kalachakra

Es entwickelten sich viele sich ähnelnde Systeme in Indien, einige hinduistisch und eines buddhistisch. Die weißen Berechnungen entstammen in erster Linie dem indisch-buddhistischen System, wie es in den Materialien des „Kalachakra-Tantra” zu finden ist. Kalachakra bedeutet „Zyklen der Zeit“, mit drei Ebenen: äußeren, inneren und alternativen Zyklen. „Äußere Zyklen” bezieht sich auf die Zyklen, die das Universum durchläuft. Aufgrund dieser Zyklen kann man Zeit äußerlich messen, indem man den Verlauf der Sonne, des Mondes und der Planeten am Himmel betrachtet. Der Buddhismus definiert Zeit nicht zuletzt als ein Maß der Veränderung. Darüber hinaus leiten wir aus den zyklischen Mustern, die die Himmelskörper durch ihre Bewegung in Bezug zueinander herstellen, Horoskope ab. Das gesamte Studium der Astronomie und Astrologie ist mit diesen äußeren Zyklen verbunden.

Innerlich kann man das Verstreichen der Zeit auch anhand der körperlichen Zyklen messen. Man kann Zeit zum Beispiel anhand der Anzahl der Atemzüge messen, die ein Mensch macht. Man kann sie auch anhand des menschlichen Lebenszyklus von Kindheit, Adoleszenz, Erwachsenenalter und Alter bemessen, oder anhand des Menstruationszyklus einer Frau. Es gibt also äußerliche und innerliche Zeitzyklen, und gemäß dem Kalachakra verlaufen sie parallel.

Von einem buddhistischen Standpunkt betrachtet würden wir sagen, dass gewöhnliche Wesen keine Kontrolle über diese Zyklen haben. Die Zyklen treten durch die Kraft des Karma bzw. durch Energieimpulse auf. Diese äußerlichen Zyklen, die die Grundlage für die Transittabellen oder -diagramme der täglichen Stellungen der Himmelskörper sind, „reifen“ oder resultieren aus einem allgemeinen, gemeinsamen Karma. Die innerlichen Zyklen, aus denen sich das Geburts- und Verlaufshoroskop eines Menschen herleiten, reifen aus dem individuellen Karma jedes Einzelnen. Wir erleiden alle möglichen Probleme, weil wir keine dieser karmischen Reifeprozesse und ihre Auswirkungen unter Kontrolle haben.

So sind einige Menschen zum Beispiel sehr stark von den Konstellationen ihres Geburtshoroskops beeinflusst. Sie haben Schwierigkeiten, mit ihrem Leben umzugehen, und nicht nur das, auch mit äußerlichen Zyklen wie langen Wintern oder Vollmondphasen. Manche Menschen werden bei Vollmond ein bisschen verrückt, wie Werwölfe! Einige haben auch Schwierigkeiten mit den innerlichen Zyklen: dem Zyklus der hormonellen Entwicklung, wenn sie die Pubertät erleben, dem Menstruationszyklus, dem Prozess des Alterns und so weiter. Im Buddhismus streben wir danach, uns von diesen sich unkontrollierbar wiederholenden Zyklen zu befreien, die wir Samsara nennen, und voranzuschreiten, um vollständig erleuchtete Buddhas zu werden, so dass wir anderen auf bestmögliche Weise helfen können.

Die alternativen Zeitzyklen bedingen die verschiedenen Praktiken der Kalachakra-Meditation um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen. Dieser wichtige Punkt enthüllt die grundlegende Ausrichtung, die der Buddhismus gegenüber der Astrologie einnimmt. Wir wollen Freiheit davon erlangen, den astrologischen Gegebenheiten, wie z.B. den Horoskopen, ausgeliefert zu sein. Gemäß dem Buddhismus hat das geistige Kontinuum oder der Geistesstrom eines jeden von anfanglosen Zeiten an Probleme erfahren, und wenn wir nichts tun, um die Situation zu ändern, wird es weiter bis in alle Ewigkeit Probleme erleben, von einem Leben zum nächsten. Das bedeutet, wir müssen uns nicht nur von unserem persönlichen Horoskop dieses Lebens befreien; wir müssen uns von all je möglichen Horoskopen jeder zukünftigen, unkontrollierbar wieder eintretenden Wiedergeburt befreien. Mit anderen Worten, wir zielen darauf ab, uns von allen Tierkreiszeichen selbst zu befreien.

Wir können an diesem Ansatz ablesen, dass ein Horoskop nicht etwas Festes und Festgelegtes ist, das uns vorschreiben würde, wie wir letztendlich sein müssen, und an dem wir nichts ändern könnten. Wir wollen uns von allen imaginären Einschränkungen dieser Art befreien, und um dies zu tun, müssen wir eine gewisse Vorstellung von den Einzelheiten unseres spezifischen Horoskops und aller Horoskope im Allgemeinen haben. Das ist dann der Kontext, in dem wir Astrologie studieren müssen – sei es tibetisch-mongolische, indisch-hinduistische, chinesische oder arabische Astrologie, die der Mayas oder die des Westens. Wir möchten nicht nur die Kontrolle unseres persönlichen Horoskops über dieses Lebens beenden, sondern die Kontrolle aller sich ständig verändernden Zeitzyklen, wie sie anhand der Bewegung der Himmelskörper bemessen werden. Es ist wesentlich, diesen Punkt zu verstehen. Sonst kann man leicht den Fehler machen, der Astrologie mit Aberglauben zu begegnen, besonders der tibetisch-mongolischen Astrologie, da diese so häufig von „Glück verheißenden/günstigen“ und „ungünstigen Tagen“ spricht.

Die Verbindung zur westlichen Astrologie

Das „Kalachakra-Tantra“ ist die Quelle für die Berechnungen der meisten Einzelheiten der tibetischen und mongolischen Kalender, für die Stellungen der Himmelskörper in den Ephemeriden und für die meisten Faktoren im Jahreskalender, wie viel versprechende oder ungünstige Tage. Da die Kalachakra-Lehren in Indien eine Blütezeit erlebten, bevor sie sich nach Tibet und dann in die Mongolei verbreiteten, haben sie vieles mit den hinduistischen astrologischen Systemen gemeinsam. Hinduistische Astrologie und viele andere Aspekte der alten indischen Kultur haben wiederum viel mit der alten griechischen Kultur gemeinsam, da beide Zivilisationen eng in Kontakt standen, besonders seit der Zeit Alexander des Großen. Schauen wir uns daher zuerst einmal einige dieser gemeinsamen Merkmale an. Sie sind auch in der modernen westlichen Astrologie zu finden, da sich diese aus der altgriechischen Tradition ableitet.

In der tibetisch-mongolischen Astrologie berechnen wir die Positionen der Planeten nur bis hin zum Saturn, nicht darüber hinaus, und benennen die Wochentage nach den Himmelskörpern, wie Sonntag für die Sonne und Montag für den Mond. Da die Planeten jenseits des Saturns für das nackte Auge unsichtbar sind, war sich die alte Welt ihrer nicht bewusst. Auch hier wird der Himmelskreis in zwölf Tierkreiszeichen eingeteilt, mit denselben Namen wie in den griechischen und indisch-hinduistischen Systemen. Es sind dieselben Namen, die auch in unseren modernen westlichen Systemen benutzt werden – Widder, Stier und so weiter. Es gibt auch eine Unterteilung in zwölf Häuser, von denen einige leicht anderes interpretiert werden als ihre Gegenstücke der westlichen Astrologie. Wie in einem westlichen Horoskop befindet sich jeder Himmelskörper in einem Zeichen und einem Haus, deren Kombination die Bedeutung und Wichtigkeit des Himmelskörpers in diesem Horoskop beeinflusst.

Zeichen und Häuser

Für alle, die mit Astrologie nicht vertraut sind, möchte ich kurz erklären, was es mit Zeichen und Häusern auf sich hat. Beide beziehen sich auf astronomische Merkmale.

Wenn man den Himmel betrachtet, bemerkt man, dass die Sonne, der Mond und die Planeten – nennen wir sie die Himmelskörper – sich alle wie entlang eines Bandes von Osten nach Westen bewegen. Früher haben die Menschen nicht geglaubt, dass sich die Erde dreht. Sie dachten, der Himmel und die Himmelskörper drehen sich um die Erde. Sie dachten, das Himmelsband, das die Haupthimmelskörper durchqueren – die Himmelsbahn bzw. Ekliptik – sei wie ein gigantisches Rad, das sich sehr langsam gegen den Uhrzeigersinn dreht. Die Hälfte des Rades befindet sich unter der Erde. Um ein modernes Beispiel zu nehmen, entspräche das der Perspektive eines Menschen, der im Mittelpunkt eines Riesenrades stünde, das sich ganz langsam dreht: die Hälfte befände sich über uns, die andere Hälfte unter uns.

Betrachtet man diese Himmelsbahn als ein sich langsam drehendes Riesenrad, kann man das Rad in zwölf Abschnitte unterteilen, von denen jeweils nur sechs am Himmel zu sehen sind. In jedem dieser Abschnitte des Riesenrades befindet sich eine markante Sternenkonstellation, wie die Sitze des Riesenrades. Diese Konstellationen sind die zwölf Tierkreiszeichen.

Angenommen, das Riesenrad machte seine langsamen Umdrehungen in einem riesigen Kreis- oder kugelförmigen Gebäude. Unterteilt man die Bahn entlang der Innenwand der Kugel, in der sich das Riesenrad dreht, in zwölf Abschnitte, sind dies die zwölf Häuser. Sie bewegen sich nicht. Der Abschnitt der kreisförmigen Bahn, die von genau östlich von uns ein Sechstel des Weges Richtung genau westlich hinabführt, ist das erste Haus. Das nächste Sechstel ist das zweite Haus und so weiter. Die ersten sechs Häuser befinden sich unter uns – mit anderen Worten unterhalb des Horizonts – die letzen sechs darüber. Angenommen, der erste Sitz, Widder, befindet sich neben dem Punkt auf der Innenwand der Kugel, der direkt östlich von uns liegt – dem Aszendenten. Das Riesenrad dreht sich so langsam, dass es einen Monat braucht, bis der nächste Sitz, Stier, diesen Punkt erreicht. Wenn der Widdersitz zu diesem Punkt an der Wand zurückkehrt, ist ein Jahr vergangen.

Nehmen wir einmal an, dass das Riesenrad, das sich in dem kugelförmigen Gebäude langsam gegen den Uhrzeigersinn dreht, wie ein leerer Schlauch geformt ist und dass neun Bälle im Uhrzeigersinn darin herumrollen, jeder in einer anderen Geschwindigkeit. Die neun Bälle sind die Himmelskörper. Die Sonne durchrundet den Schlauch in einem Tag; der Mondball braucht einen Monat, um die Umrundung abzuschließen und so weiter. Auf diese Weise ist zu jedem Zeitpunkt ein Himmelskörper in einem bestimmten Zeichen und einem bestimmten Haus zu finden, und diese Position verändert sich ständig. Ein Horoskop ist wie eine Momentaufnahme, zum Beispiel vom Moment der Geburt eines Menschen, der die Stellung eines jeden der kreisenden Himmelskörper in ihrer sich langsam drehenden Bahn des Tierkreises in einem spezifischen Abschnitt des Himmels zeigt, sei es über oder unter der Erde.

Dieses System von Himmelskörpern, Zeichen und Häusern ist in den tibetisch-mongolischen, indisch-hinduistischen, altgriechischen und modernen westlichen astrologischen Systemen gleich. Im Gegensatz zu letzteren beiden unterteilen das indische und das tibetisch-mongolische System das Riesenrad der Ekliptik jedoch auch in einen zweiten Tierkreis mit siebenundzwanzig Zeichen. Manchmal befestigen sie siebenundzwanzig Sitze am Riesenrad statt nur zwölf. Sie benutzen den Tierkreis mit den siebenundzwanzig Zeichen hauptsächlich für die Berechnungen des Kalenders, der Ephemeriden und der Jahrbücher und den mit den zwölf Zeichen in erster Linie für Horoskope.

Fixstern- bzw. siderische Tierkreise

Die indischen und tibetisch-mongolischen Systeme haben ein weiteres Merkmal in Hinblick auf den Tierkreis gemeinsam, das sich entscheidend von den altgriechischen und modernen westlichen Systemen unterscheidet. Sie benutzen den Fixstern- bzw. siderischen Tierkreis, wohingegen letztere beiden den Sonnenjahr- bzw. tropischen Tierkreis benutzen.

Um die Diskussion zu vereinfachen, werde ich den Unterschied anhand des Zwölf-Zeichen-Tierkreises erklären, der allen vier Systemen gemein ist. Der Unterschied macht sich daran fest, wo die Systeme ihre zwölf Sitze auf dem Riesenrad anbringen und ob die Sitze an einem festen Punkt bleiben oder sich extrem langsam bewegen.

Angenommen, das Riesenrad ist in zwölf Abschnitte unterteilt, wobei jeder den Namen eines der Sternzeichen trägt. Jeder Sitz trägt ebenfalls den Namen eines der Sternzeichen. Die tibetisch-mongolischen und indischen Systeme setzen die zwölf Sitze genau an den Punkt, an dem der Abschnitt mit demselben Namen beginnt. Der Widdersitz befindet sich am Beginn des Widderabschnitts auf dem Riesenrad und bewegt sich nie davon weg. Die tibetisch-mongolische und indische Astrologie bedient sich also des Fixsterntierkreises.

Die altgriechischen und modernen westlichen Systeme setzen den Widdersitz an den Punkt auf dem Riesenrad, an dem sich der Sonnenball zum genauen Zeitpunkt der indischen Frühjahrstagundnachtgleiche (dem Frühjahrsäquinoktium) befindet – dem Moment, an dem Tag und Nacht gleich lang sind. Da die Sonne am nördlichen Wendekreis („Wendekreis des Krebses“) an diesem Tag ihren höchsten Stand hat, nennt man diese Anordnung der Zeichen am Himmel den Sonnenjahr- oder tropischen Tierkreis.

Vor Tausenden von Jahren befand sich der Punkt der Frühjahrstagundnachtgleiche zu Beginn des Widderabschnitts auf dem Riesenrad. Seitdem bewegt er sich in extrem langsamem Kriechtempo entgegengesetzt zum Tierkreis, also rückwärts. Dieses Phänomen nennt man die Präzession oder Beweglichkeit des Frühlingspunktes. Der Frühlingspunkt befindet sich zurzeit ungefähr dreiundzwanzig Grad rückläufig im Fischeabschnitt des Riesenrades, dem Abschnitt direkt vor dem Widderabschnitt. Daher setzen die altgriechischen und modernen westlichen Systeme den Widdersitz derzeit auf sieben Grad des Fischeabschnitts des Riesenrads. Jedes Jahr bewegen sie die Sitze ein winziges bisschen nach hinten. Sie beziehen sich auf die Position der Himmelskörper anhand des Tierkreises, wie er von den Sitzen definiert wird, wohingegen die tibetisch-mongolischen und indischen Systeme sich auf ihre Positionen anhand des Tierkreises beziehen, wie er vom Riesenrad selbst bestimmt wird. Dadurch befindet sich ein Planet auf Null Grad Widder des tropischen Tierkreises auf sieben Grad Fische des Fixsterntierkreises – mit anderen Worten, auf der tropischen Position minus dreiundzwanzig Grad.

Eine Beobachtung des Himmels enthüllt, dass Null Grad Widder des westlichen Systems tatsächlich mit der zu beobachtenden Position der Widderkonstellation übereinstimmt. Das liegt daran, dass sich die Milchstraße, die Galaxie, die die Konstellationen der Sternbilder des Tierkreises enthält, um ihren Mittelpunkt dreht und so das zu beobachtende Phänomen der Präzession des Frühlingspunktes verursacht. Da sich die tibetisch-mongolischen und indischen Systeme nie auf empirische Beobachtung stützten, sondern ihre Positionen der Himmelskörper allein aus mathematischen Modellen ableiteten, war es kaum von Bedeutung, dass die berechneten Positionen nicht mit den zu beobachtenden übereinstimmten. Traditionelle indische, tibetische und mongolische Astrologen waren nicht daran interessiert, ihre Berechnungen zu bestätigen, indem sie den Himmel betrachteten.

Berechnete und zu beobachtende Planetenstellungen

Indien lernte Sternwarten zum ersten Mal im siebten Jahrhundert kennen, und zwar durch die Eroberer mogolischer Abstammung, die von den Arabern gelernt hatten, wie man sie baut. Die zu beobachtenden Positionen der Himmelskörper wichen deutlich von den traditionell berechneten ab. Selbst wenn die Inder zu den berechneten Positionen dreiundzwanzig Grad hinzufügten, ergaben ihre mathematischen Modelle keine akkuraten Ergebnisse. Als die indischen Astrologen ein Jahrhundert darauf unter britischer Herrschaft die europäischen Formeln für die Berechnung der Planetenstellungen erlernten und sahen, dass sie zu Ergebnissen führten, die sich durch Beobachtung bestätigen ließen, entschieden sich die meisten dazu, ihre traditionellen hinduistischen Systeme und ihre daraus abgeleiteten Ephemeriden aufzugeben. Stattdessen hielten sich die Reformer an die Stellungen, die zu beobachten waren und durch westliche Mathematik berechnet werden konnten, indem sie einfach dreiundzwanzig Grad abzogen, um sie in ihren Fixsterntierkreis zu übertragen.

Eine ähnliche Krise, wie sie vor mehreren Jahrhunderten in der indisch-hinduistischen Astrologie auftrat, entsteht nun in der tibetisch-mongolischen Astrologie. Während die tibetischen und mongolischen Astrologen die westlichen und indischen Systeme kennen lernen, wird ihnen bewusst, dass die mathematischen Formeln des Kalachakra – auch wenn sie ihnen Positionen für die Himmelskörper geben, die sich von denen der klassischen hinduistischen Systeme unterscheiden – immer noch kein akkurates Bild geben, das mit der Beobachtung übereinstimmt. Die große Frage ist, ob es besser ist, die traditionelle Arithmetik fallen zu lassen und dem Beispiel der hinduistischen Reformer zu folgen und die westlichen Tierkreispositionen, die der Präzession des Frühlingspunktes angeglichen sind, einzuführen, oder nicht. Es gibt Pros und Kontras für beide Möglichkeiten. Selbst heutzutage ist die Debatte unter indisch-hinduistischen Astrologen nicht beendet.

Die Verbindung zum Karma

Die buddhistischen Lehren sind recht klar darin, dass Astrologie nicht von einem Einfluss von Göttern spricht, die in den Himmelskörpern wohnen und unabhängig und aus eigener Kraft Geschehnisse in unserem Leben bewirken. Noch üben die Himmelskörper selbst einen tatsächlichen Einfluss aus. So etwas ist unmöglich. Stattdessen geht der Buddhismus davon aus, dass die Positionen der Himmelskörper in einem Horoskop lediglich einen Teil des karmischen Potentials widerspiegeln, mit dem ein Mensch geboren wird.

Verschiedene Spiegel reflektieren Teile unseres karmischen Potentials, und zwar in Form von Mustern. Wir können diese Muster nicht nur in der Konfiguration der Himmelskörper zu unserer Geburt sehen, sondern auch in unserer genetischen Grundstruktur, unserer Persönlichkeit, unserem Verhalten und unserem Leben im Allgemeinen. Für jeden existieren diese Muster synchron. Mit anderen Worten, sie kommen alle als gesammeltes Bündel daher, als Resultat der karmischen Kräfte, die in vorangegangenen Leben aufgebaut wurden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es gleichgültig, ob die berechneten Positionen für die Himmelskörper mit dem übereinstimmen, was sich am Himmel beobachten. Daher ist die Entscheidung, ob man die Positionen der Himmelskörper, wie sie anhand der traditionellen Formeln des Kalachakra berechnet werden, beibehalten soll oder die zu beobachtenden Positionen einführen soll, wie sie im Westen akzeptiert werden, keine simple Angelegenheit. Es braucht eine Menge and Forschung und Analyse, um zu bestimmen, welche Wahl zu einer astrologischen Information führt, die dem Leben der Menschen akkurater entspricht.

Voraussagende Horoskope

Ein Thema, das es zu untersuchen gilt, ist das voraussagende Horoskop, das prophezeit, was in den verschiedenen Lebensabschnitten eines Menschen wahrscheinlich geschehen wird. Wie im Geburtshoroskop und den Ephemeriden werden neun Planeten zu Rate gezogen: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn und das, was wir im Westen die „aufsteigenden und absteigenden Mondknoten“ nennen. Kehren wir zu unserer Vorstellung vom Riesenrad in Form eines Reifens zurück, in dessen Innerem die Sonnen- und die Mondkugel herumrollen. Dies beschreibt die Laufbahnen von Sonnen und Mond. Die zwei Laufbahnen verlaufen nicht genau parallel, sondern kreuzen sich an zwei gegenüberliegenden Punkten des Reifens. Die Schnittpunkte sind der aufsteigende und absteigende Mondknoten. Wenn sich die Sonne auf einem der Punkte befindet und der Mond genau auf dem anderen, entsteht eine Mondfinsternis. Eine Sonnenfinsternis geschieht, wenn sich Sonne und Mond auf einem der beiden Schnittpunkte begegnen. Die meisten alten Astronomie- und Astrologiesysteme betrachten die Mondknoten als Himmelskörper. Der Buddhismus nennt sie Rahu und Kalagni, während die hinduistischen Systeme sie Rahu und Ketu nennt. Sie machen den achten und neunten Himmelskörper aus.

Tibetisch-mongolische astrologische Voraussagungen berechnen die höchstwahrscheinliche Länge des Lebens eines Menschen. Dann unterteilen sie die Lebensspanne in Zeitabschnitte, die von jeweils einem der neun Himmelskörper beherrscht sind, in einer festgelegten Reihenfolge. Jeder Himmelskörper herrscht für einen bestimmten Zeitabschnitt – einen gewissen prozentualen Anteil der Lebenspanne – in einem festgelegten Verhältnis. Der prozentuale Anteil ist für jeden Himmelskörper unterschiedlich. Man berechnet, welcher Himmelskörper den erster Lebensabschnitt eines Menschen beherrscht, und durch die Berechnung des prozentualen Anteils der Lebenspanne, die von diesem Himmelskörper beherrscht wird, kommt man auf die Länge des ersten Abschnittes. Man kann jeden Abschnitt der Lebensspanne mittels derselben Proportionen weiter unterteilen und diese Unterabschnitte wiederum unterteilen. Vergleicht man die Kräfte der Himmelskörper im Geburtshoroskop mit ihrer Beherrschung bestimmter Zeitabschnitte, Unterabschnitte und Unterunterabschnitte, gelangt man zu einer Auslegung dessen, was diesem Menschen in dieser Zeit aller Wahrscheinlichkeit nach geschieht.

Die indisch-hinduistischen Systeme der astrologischen Voraussagung ähneln der tibetisch-mongolischen, unterscheiden sich aber in mehrerer Hinsicht bedeutend. Die hinduistischen Systeme berechnen keine Lebensspanne. Die neun Himmelskörper herrschen in derselben festgesetzten Reihenfolge und in denselben Proportionen wie im tibetisch-mongolischen System, doch die von den Neun beherrschten Zeiträume ergeben zusammengezählt immer 120 Jahre. Wenn der prozentuale Anteil der Herrschaft eines Himmelskörpers also zehn Prozent beträgt, herrscht er im Leben eines jeden zwölf Jahre lang. Der einzige Unterschied zwischen den Horoskopen der Menschen besteht darin, wann im Leben diese zwölf Jahre an der Reihe sind. Man bestimmt dies, indem man berechnet, an welcher Stelle im Zyklus von 120 Jahren das Leben eines Menschen beginnt. Die meisten Menschen sterben, bevor sie 120 Jahre alt werden, und so kann es sein, dass diese Zeitspanne vor ihrem Ableben nicht einmal eintritt. Im tibetisch-mongolischen System durchläuft jeder in seinem Leben alle neun Zeitabschnitte, und wenn der prozentuale Anteil der Herrschaft eines Himmelskörpers zehn Prozent beträgt, und die Lebensspanne sich nur auf 60 Jahre beläuft, herrscht dieser Himmelskörper nur sechs Jahre lang.

Schwarze Berechnungen und chinesische Astrologie

Schwarze Berechnungen in der tibetisch-mongolischen Astrologie, die den chinesischen Systemen entnommen sind, fügen den astrologischen Vorhersagen einige weitere Variablen hinzu. Ein Aspekt entspringt dem Kreis aus zwölf Tieren – Ratte, Schwein, Affe und so weiter – und fünf Elementen – Erde, Wasser, Feuer, Holz und Eisen. Aus beiden zusammen ergeben sich sechzig Kombinationen, wie zum Beispiel Eisenpferd oder Holztiger in der tibetischen Variante. Die mongolische Tradition ersetzt die Namen der Elemente mit den Namen der mit ihnen assoziierten Farben, wie Schwarzpferd oder Blautiger. Geburtshoroskope enthalten Kombinationen für das Jahr, den Monat, den Tag und die zweistündige Spanne der Geburtszeit. Man berechnet die Kombination aus Tier und Element, die jedes Lebensjahr beherrscht, und erhält, indem man sie mit der Geburtskombination vergleicht, weitere Information für Voraussagen für dieses Jahr.

Schwarze Kalkulationen enthalten auch ein System von acht Trigrammen und neun Zahlen des magischen Quadrats. Ein Trigramm ist eine Kombination von drei Linien, durchgehend oder unterbrochen, wie sie im klassischen chinesischen I Ging (dem Buch des Wandels) zu finden sind. Die Zahlen eines magischen Quadrats entstammen einem Rechteck, das in neun Felder unterteilt ist, wie bei Tick-tack-toe [1], und in jedem Feld befindet sich eine Nummer von eins bis neun, so angeordnet, dass die Summe der drei Zahlen waagerecht, senkrecht und diagonal immer fünfzehn ergibt. Aus dem Trigramm und der Zahl des magischen Quadrats des Geburtsjahres berechnet man die Verlaufstrigramme und – zahlen für jedes Lebensjahr, die weitere Information für Voraussagen geben. Sämtliche Informationen aus den weißen und schwarzen Berechnungen werden zu einander in Beziehung gesetzt und ausgelegt, um ein vollständiges voraussagendes tibetisch-mongolisches Horoskop zu erstellen. Für weitere Exaktheit kann man die weiße und schwarze Information über günstige und ungünstige Tage und Stunden aus dem Jahrbuch hinzufügen. Man muss all diese Faktoren, die einen bestimmten Zeitraum beeinflussen, abwägen, denn vom Standpunkt einer der Variablen mag der Moment günstig sein, doch unter dem Blickwinkel einer anderen kann er ungünstig sein. Die Auslegung von Horoskopen in der tibetisch-mongolischen Astrologie ist eine komplexe Kunst.

Prophezeiung der Lebensspanne

Das Geschick bei der Auslegung wird noch erschwert von den vielen Problemen, die sich innerhalb des Systems stellen. Manchmal entdeckt man, wenn man anhand der mathematischen Formeln die Lebensspanne eines Menschen berechnet, dass er oder sie schon vor Jahren hätte gestorben sein müssen. Eine andere Berechnung enthüllt, dass ein Mensch, wenn er viele positive Dinge tut, seine Lebensspanne um eine bestimmte Prozentzahl verlängern kann. Selbst dann müssten viele schon tot sein. Zudem, wie viele positive Dinge muss man tun, um seine Lebensspanne zu verlängern? Und gibt es nur zwei Möglichkeiten, die normale und die verlängerte Lebensspanne, oder kann man, wenn man nur ein paar wenige positive Dinge tut und keine reine Motivation hat, die Lebensspanne ein klein wenig verlängern?

Die Situation wird noch verwirrender, wenn man sich die Texte der verschiedenen tibetischen und mongolischen Meister der Astrologie in den verschiedenen Zeiten ihrer Entwicklungsgeschichte anschaut. Sie waren sich über die Berechnung der Lebensspanne eines Menschen uneinig. Manche betrachten die ideale, längste Lebensspanne als 120 Jahre lang, andere als 100 Jahre, und einige als 80 Jahre. Je nachdem, welche man wählt, unterscheidet sich die Berechnung dessen, wie lange jemand lebt und was ihm im Leben widerfahren wird. Welche ist akkurat? Wäre es besser, dem Beispiel der indisch-hinduistischen Astrologie zu folgen und die Lebensspanne überhaupt nicht zu berechnen? Selbst wenn wir diesen Schritt machen würden, gibt es mehrere Traditionen der tibetisch-mongolischen Astrologie; die von ihnen berechneten Kalender unterscheiden sich leicht, und so ist eine noch größere Vielfalt von Voraussagen über den Verlauf des Lebens eines Menschen möglich.

Das Greifen nach der Wahrheit

Die tibetisch-mongolische Astrologie ist nicht die einzige, die mehrere abweichende Traditionen besitzt, die jede leicht unterschiedliche astrologische Voraussagungen in ihren Horoskopen machen. Auch bei den westlichen, indisch-hinduistischen und chinesischen Systemen ist dies der Fall. Wenn sich Menschen dessen bewusst werden, fühlen sie sich oft unbehaglich. Aus Unsicherheit greift ihr Geist nach danach dass bzw. begreifen sie sich selbst als solide existierendes, inhärent auffindbares „Ich“ und das, was in ihrem Leben geschehen wird, als inhärent existente, festgelegte Ereignisse. Auf der Grundlage dieser Verwirrung wollen sie verzweifelt, dass ihre unabhängig existenten „Ichs“ die Kontrolle über alles haben, was geschehen wird, oder zumindest wissen, was kommt, um sich vorzubereiten. Wenn sie sich vielen Möglichkeiten von dem gegenübersehen, was sich ereignen könnte, haben sie das Gefühl, dass sie ihr Leben als solide existentes „Ich“ nicht unter Kontrolle haben.

Die Frustration, die sie erleben, ähnelt ihrer Reaktion auf die Belehrung eines tibetischen oder mongolischen Lehrers über einen buddhistischen Klassiker, der aus dem Blickwinkel des Systems der philosophischen Grundsätze seines monastischen Textbuchs erklärt, er bedeute dies. Doch gemäß jedem der anderen Textbücher bedeutet er etwas anderes; vom Standpunkt der anderen Grundsatzsysteme wird jedes Textbuch wieder anders ausgelegt, und jedes der anderen tibetisch-mongolischen Systeme des Buddhismus erklärt es noch einmal anders. Vor so viele Alternativen gestellt reagieren die meisten Westler mit „Aber was bedeutet es denn nun wirklich?“ Vielleicht stehen sie unbewusst unter dem Einfluss der Denkweise der Bibel – ein Gott, eine Wahrheit – sodass sie nach einer inhärent existenten einzigen Wahrheit davon zu greifen versuchen, was die Lehren wirklich bedeuten. Sie betrachten astrologische Information auf dieselbe Art und Weise und suchen nach definitiven Antworten darauf, was geschehen wird.

Wenn wir nach Realität als in einer unmöglichen Weise existierend "greifen" werden wir enttäuscht und frustriert von der Information sein, die wir aus tibetisch-mongolischer Astrologie erhalten. Um überhaupt etwas daraus zu ziehen, müssen wir die Information unter einem ganz anderen Blickwinkel betrachten – dem Blickwinkel der buddhistischen Lehren über Karma und Leerheit. Astrologische Information beschreibt Samsara – die Wiedergeburt und der Verlauf jedes Lebens, das unkontrollierbar unter dem Einfluss von Karma entsteht. Um uns aus diesem Teufelskreis zu befreien, müssen wir Leerheit verstehen – die Tatsache, dass alles, einschließlich unserer Persönlichkeit und der Ereignisse in unserem Leben, leer von unmöglichen Existenzweisen ist. Daher müssen wir Karma und Leerheit verstehen.

Karmische Potentiale im Gegensatz zu Vorherbestimmung

Kedrubje, ein großer tibetischer Meister, hat es schön ausgedrückt. In einem Kommentar zum „Kalachakra-Tantra“ schrieb er, würde die Astrologie die gesamte Information über jemanden enthüllen, hätten ein Mensch und ein Hund, die zur gleichen Zeit und am selben Ort geboren wären, dieselbe Persönlichkeit und dieselbe Lebensspanne, und es würden ihnen dieselben Dinge in ihrem Leben widerfahren. Das ist eindeutig nicht der Fall. Der Grund ist, dass Astrologie nicht die gesamte Information über jemanden enthält. Viele andere Faktoren beeinflussen den Verlauf des Lebens eines Individuums. Wirkungen entstehen aus dem enormen Netzwerk von Ursachen und Umständen; Karma und die Gesetze verhaltensbedingter Ursache und Wirkung sind extrem komplex. Seit anfangloser Zeit haben wir karmische Ursachen für die Erfahrungen in jeder unserer Wiedergeburten aufgebaut. Ein astrologisches Horoskop, wie ausführlich und ausgeklügelt es auch sein mag, zeigt lediglich einen kleinen Ausschnitt von nur einem Aspekt nur eines karmischen Musters, das wir haben. Es besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass sich bestimmte Dinge in Übereinstimmung mit diesem Horoskop ereignen; wir können jedoch nicht von der Hand weisen, dass zusätzlich oder stattdessen auch weniger wahrscheinliche Dinge geschehen können. Nichts ist inhärent festgelegt. Durch die Widerlegung dieser unmöglichen Existenzweise überwinden wir unsere tief eingefleischten Gewohnheiten des Greifens danach, ein solide existentes Ich zu sein, das weiß, was sich wirklich ereignen wird und daher immer alles unter Kontrolle hat.

Wir brauchen nur an die Information zu denken, die wir aus unterschiedlichen medizinischen Traditionen erhalten. Westliche Medizin beschreibt den Körper als ein komplexes Netzwerk aus verschiedenen Systemen: Kreislauf-, Nerven-, Verdauungssystem und so weiter. Tibetisch-mongolische Medizin beschreibt Systeme von Chakras und Energiekanälen. Würde man protestieren und fragen: „Aber welches stimmt? Welches System beschreibt wirklich, was in meinem Körper vorgeht?“ müssten wir antworten, dass alle Antworten korrekt sind. Jede gibt einen gültigen Teil der Information über den Körper, der eine erfolgreiche medizinische Behandlung ermöglicht.

Das gleiche gilt für die Astrologie. Die westlichen Systeme mit dem tropischen Tierkreis produzieren einen Satz von Informationen. Die indisch-hinduistischen und tibetisch-mongolischen Systeme mit dem Fixsterntierkreis führen zu anderen Resultaten. Die traditionellen chinesischen Astrologiesysteme enthüllen zusätzliche Information, wohingegen die aus China stammenden schwarzen Berechnungen, die von den Tibetern und Mongolen benutzt werden, andere Punkte geben. Innerhalb der tibetisch-mongolischen Astrologietraditionen erhält man, wenn man die Systeme benutzt, die von einer maximalen Lebensspanne von 120, 100, oder 80 Jahren ausgehen, drei verschiedene Bilder davon, was sich im Laufe eines Lebens ereignen mag. Die (beste) Art, mit all diesen anscheinend widersprüchlichen Information umzugehen ist, dass man es so betrachtet, dass jedes System eine der möglichen karmischen Konfigurationen beschreibt, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit, dass sie tatsächlich eintritt.

Wir alle haben das Potential für eine enorme Anzahl an karmischen Konfigurationen und daher einer enormen Anzahl von Weisen, wie wir leben könnten. Die Ausrichtung besteht nicht darin, zu erfahren zu versuchen, was morgen definitiv geschehen wird – soll ich morgen mehr Aktien kaufen; wird es mein Glückstag sein? Die richtige Ausrichtung hat mit Wahrscheinlichkeitsfunktionen zu tun. Wenn unser Horoskop enthüllt, dass wir schon vor zehn Jahren hätten sterben sollen, gibt es uns eine Vorstellung davon, dass wir das Karma aufgebaut haben, ein kurzes Leben zu haben. Das ist eine Möglichkeit unseres karmischen Vermächtnisses. Was in einem bestimmten Leben zur Reife kommt hängt jedoch von Umständen und Bedingungen ab. Denken wir nur an die riesige Zahl von Menschen, die in einer Naturkatastrophe sterben – wie einem Erdbeben – oder bei der Explosion einer Atombombe. Gewiss hat nicht das Horoskop eines jeden darauf hingewiesen, dass er oder sie an diesem Tag sterben wird. Äußere Umstände und Bedingungen, die nicht im Horoskop sichtbar sind, haben einen Einfluss auf das, was passiert.

Daher ist ein Horoskop wie ein Wetterbericht: Es gibt ein Bild von dem, was wahrscheinlich geschehen wird, was jedoch eventuell nicht eintritt. Es kann sein, dass es heute regnen wird, also nehmen wir zur Vorsicht einen Schirm mit. Wenn sich herausstellt, dass es nicht regnet, hat niemand einen Schaden davon getragen. In ähnlicher Weise bleiben wir, wenn unser Horoskop anzeigt, dass wir heute unserer wahren Liebe begegnen oder geschäftlich erfolgreich sein werden oder was auch immer und wir uns dessen als großer Wahrscheinlichkeit bewusst sind, offen gegenüber den Chancen, die sich an diesem Tag bieten mögen. Geschieht nichts, erinnern wir uns daran, dass nichts an einem Horoskop jemals bindend ist.

Reinigung von Karma

Möchten wir uns von allen je möglichen astrologischen Horoskopen reinigen, worin letztlich das Ziel des buddhistischen Studiums der Astrologie besteht, müssen wir versuchen, Dharma-Lehren aus unserem Horoskop zu lernen. Wir lernen vielleicht, dass wir in allen Situationen offen und empfänglich für gute Gelegenheiten sein sollten und vorsichtig angesichts möglicher Gefahren oder Rückschläge. Zeigt unser Horoskop, dass wir hätten sterben sollen, als wir zehn waren, und es offensichtlich nicht getan haben, lässt uns dies über die karmischen Ursachen für ein kurzes Leben nachdenken. Jung zu sterben ist ein Resultat daraus, anderen das Leben genommen oder ihnen Leid zugefügt zu haben. Selbst wenn derartige karmische Resultate nicht in diesem Leben herangereift sind, werden wir daran erinnert, dass wir ein derartiges Karma aufgebaut haben und wahrscheinlich die Tendenz dazu haben, es zu vermehren. So schlagen wir vielleicht achtlos Fliegen tot und meinen, es würde kaum etwas ausmachen. Die kurze Lebensspanne in unserem Horoskop kann uns von diesen Tendenzen reinigen.

Einer der Hauptpunkte, den wir aus einem tibetisch-mongolischen Horoskop erfahren, besteht daher darin, mit spezifischen karmischen Ursachen in uns selbst umzugehen. Die Betonung liegt nicht darauf, herauszufinden, was definitiv an diesem oder jenem Datum in unserem Leben geschehen wird. Das Studium macht uns verantwortlicher, statt verantwortungsloser. Wenn alles, was geschieht, vorherbestimmt wäre, wäre alles, was wir tun, ohne Wirkung. Wir hätten keinerlei Einfluss auf das, was uns geschieht. Wenn wir auf der anderen Seite sehen, dass bestimmte Möglichkeiten davon existieren, was vielleicht geschieht, nicht was unbedingt geschieht, tragen wir die Verantwortung für die Wahl, die wir jeweils treffen. Anstatt dass die Kenntnis der astrologischen Information unseren Geist verengt, so dass unsere Persönlichkeiten, der Verlauf unseres Lebens und die Interaktion anderer Menschen mit uns solide und festgelegt zu sein scheinen, führt uns unser Verständnis zum umgekehrten Schluss. Wir sehen, dass alles, was sich ereignet, in Abhängigkeit von unzähligen Ursachen und Umständen geschieht, und dass das, was wir tun, zum Verlauf unseres Lebens beiträgt.

Das tibetisch-mongolische astrologische System mag kompliziert erscheinen, doch das Leben ist unendlich komplizierter als das. Wesentlich zahlreichere Variablen haben Einfluss auf das, was geschieht, als nur ein paar Himmelskörper, Zeichen, Häuser, Tiere, Elemente, Trigramme und Zahlen eines magischen Quadrats darstellen können. Mit Achtsamkeit auf die zahllosen Variablen, die beeinflussen, was uns in diesem Leben widerfährt, beginnt sich unsere rigide, verwirrte Sicht von der Welt, dem Leben, uns selbst und anderen zu lockern. Diese Lockerung öffnet den Weg für unsere Fähigkeit, Leerheit im Hinblick auf gegenseitig abhängiges Entstehen zu sehen. Der Verlauf unseres Lebens ist leer davon, als unabhängig etablierte, solide, festgelegte Sache zu existieren. Stattdessen hängt er von Millionen von Faktoren ab. Astrologische Information und Horoskope spiegeln nur einen winzigen Bruchteil der beeinflussenden Variablen wider. Dennoch können sie uns durch die Enthüllung einiger der möglichen Ereignisse, die eine größere Wahrscheinlichkeit haben zu geschehen, dabei helfen, achtsam gegenüber Karma, Leerheit und abhängigem Entstehen zu bleiben. In diesem Lichte betrachtet ist die Tatsache, dass die aus der tibetisch-mongolischen Astrologie erhaltene Information oft inakkurat ist, in Wirklichkeit hilfreich. Sie zeigt uns, dass das Leben nicht solide und festgelegt ist. Viele Arten des Heranreifens von Karma sind möglich.

Fragen

Das tibetisch-mongolische Jahr wird anhand des Mondes berechnet und das westliche Jahr anhand der Sonne. Was ist der Unterschied?

Die tibetischen und mongolischen Kalender kombinieren Mond- und Sonnenmerkmale. Gemäß der buddhistischen Definition ist Zeit ein Maßstab der Veränderung Man kann die Bezeichnungen Jahr, Monat und Tag auf den Messwerten der verschiedenen Zyklen der Veränderung basieren. Die tibetischen und mongolischen Kalender messen einen Monat von Neumond zu Neumond. Zwölf Zyklen von Neumonden, mit anderen Worten zwölf Mondmonate, ergeben zusammen weniger als ein Sonnenjahr – die Maßeinheit der Zeitspanne, die die Sonne braucht, um ihren Kreis zu vollenden und zum selben Punkt im Tierkreis zurückzukehren. Da die tibetischen und mongolischen Kalender Mondmonate haben, aber Sonnenjahre, brauchen sie einen Ausgleich, um die beiden anzugleichen.

So wie der westliche Kalender Schaltjahre hat, in denen er alle vier Jahre einen Tag hinzufügt, um auszugleichen, aus etwas mehr als 365 vollständigen Sonnentagen besteht, haben die tibetischen und mongolischen Kalender auf ähnliche Weise „Schalt“-Einrichtungen, um die Mondmonate für die Sonnenjahre passend zu machen. Manchmal fügen sie einen zusätzlichen Schaltmonat ein, und manchmal, um sicherzustellen, dass der Neu- oder Vollmond auf ein bestimmtes Datum des Mondmonats fällt, verdoppeln sie bestimmte Tage oder lassen einen aus. Die mathematischen Formeln und Regeln sind recht komplex.

Woraus leiten sich die Zwölf-Sternzeichen- und Siebenundzwanzig-Sternzeichentierkreise ab?

Der Zwölf-Sternzeichentierkreis leitet sich aus den markantesten Konstellationen am östlichen Himmel ab, wenn die Sonne zum jeweiligen der zwölf Neumonde eines Jahres aufgeht. Der Siebenundzwanzig-Sternzeichentierkreis – in manchen Kalkulationen achtundzwanzig – entspringt den markantesten Konstellationen am östlichen Himmel, wenn der Mond in den siebenundzwanzig oder achtundzwanzig Neumondnächten im Jahr aufgeht.

Macht die tibetisch-mongolische Astrologie einen Unterschied zwischen einer Geburt auf der nördlichen oder südlichen Halbkugel?

Nein, macht sie nicht. Der tibetisch-mongolischen Astrologie fehlt nicht nur jegliche Einrichtung, um die Geburt in der nördlichen oder südlichen Halbkugel auszugleichen, sie berücksichtigt auch nicht die unterschiedlichen Geburtsorte oder Zeitzonen innerhalb der nördlichen Halbkugel. Dies lässt wiederum die Frage entstehen, ob man das System abändern und diese Dinge hinzufügen sollte, wie es die traditionellen indisch-hinduistischen Systeme getan haben, oder ob das nicht weiter wichtig ist.

Die Entscheidung darüber bedarf ausführlicher Untersuchungen. Das Computerprogramm, das ich mit einem Kollegen entworfen habe, um einige der weißen Merkmale des meistbenutzten tibetischen Kalender und der Ephemeriden zu berechnen, bietet eines der grundlegenden Werkzeuge, um das Projekt in Angriff zu nehmen. Die nächsten Schritte wären, das Material der schwarzen Berechnungen hinzuzufügen und die Berechnungen für die verschiedenen tibetisch-mongolischen Systeme einzuprogrammieren, indem man die Algorithmen für die Variablen ändert, die sie unterschiedlich behandeln. Die Forscher müssen dann die Geburts- und Todesdaten einer statistisch aussagekräftigen Anzahl von Menschen eingeben, über deren Lebensverlauf und Persönlichkeit man ausreichend bescheid weiß, und überprüfen, welche Varianten jeder Variablen die verlässlichsten Resultate ergeben, wenn man sie gemäß dem tibetisch-mongolischen Auslegungsprinzip für Horoskope analysiert. Natürlich müssen sie dabei bedenken, dass Astrologie nie völlig akkurat sein kann. Sie müssen auch die Resultate überprüfen, die man erhält, wenn man die Positionen der Himmelskörper anhand der westlichen Ephemeriden berechnet, die die Präzession des Frühlingspunktes berücksichtigen, und wenn man unterschiedliche Halbkugeln, Geburtsorte und Zeitzonen mit einberechnet.

Ich persönlich bin zuversichtlich, dass das tibetisch-mongolische System nicht nur hilfreich ist, um Einsichten in Karma und Leerheit zu gewinnen, sondern dass es auch konventionelle Information geben kann, die genauso nützlich ist wie die, die man aus westlichen, indisch-hinduistischen und chinesischen Horoskopen erhält. Immerhin haben sich große tibetische und mongolische Meister der Vergangenheit auf diese astrologischen Lehren gestützt und sie hoch gelobt. Sie waren keine Dummköpfe.

Widmung

Schließen wir mit einer Widmung ab. Möge jegliche positive Energie, jedes Potential und Verständnis, das sich durch unser Zuhören aufgebaut hat, dazu beitragen, dass alle, einschließlich unserer selbst, fähig sein mögen, alle schwierigen Aspekte ihres Horoskops und all ihre unkontrollierbaren Handlungsweisen zu überwinden. Unsere astrologischen Horoskope sind nicht nur ein Blatt Karten, das uns ausgeteilt wurde und mit dem wir lernen wollen, geschickt zu spielen und zu gewinnen. Mögen wir uns völlig davon befreien, dumme Spiele spielen zu wollen, so dass wir unser gesamtes Potential vollständig benutzen können, um jedem von größtmöglicher Hilfe zu sein.

[1] Das mathematische Spiel, in dem zwei Spieler abwechselnd Kreuze und Kreise in die neun Felder eines Quadrats füllen, in dem Versuch, waagerecht, senkrecht oder diagonal drei gleiche Zeichen neben einander stehen zu haben.

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