Die vier unermesslichen Gedanken im Hinayana, Mahayana und Bon

Einführung

die vier unermesslichen Geisteshaltungen (tib. tshad-med bzhi, Skt. apramana, Pali: appamanna) sind:

  • unermessliche Liebe (tib. byams-pa, Skt. maitri, Pali: metta),
  • unermessliches Mitgefühl (tib. snying-rje, Skt. karuna, Pali: karuna),
  • unermessliche Freude (tib. dga'-ba, Skt. mudita, Pali: mudita),
  • unermesslicher Gleichmut (tib. btang-snyoms, Skt. upeksha, Pali: upekkha).

Sie werden auch als „die vier Verweilungsstätten Brahmas“ (tib. tshangs-gnas bzhi, Skt. brahmavihara, Pali: brahmavihara; „die vier göttlichen Verweilungszustände“ oder auch „die vier Erhabenen Verweilungen“) bezeichnet und können in den verschiedenen Hinayana- und Mahayana-Traditionen des Buddhismus gefunden werden, wie auch in der Tradition des Bön. Unterschiedliche Schulen und Texten interpretieren sie leicht unterschiedlich und bei bestimmten Praktiken einiger Traditionen wird ihre Anordnung verändert.

Die Theravada-Tradition des Hinayana

Innerhalb der achtzehn Schulen des Hinayana, ging die Theravada-Tradition der vier unermesslichen Geisteshaltung aus dem Text „Das Sutta von Brahmas Verweilungsstätten“ (Pali: „rahmavihara Sutta“, engl. „The Brahma Abodes Sutta“; „Die vier unermesslichen Gebiete“) hervor, der in dem Werk „Die Lehrreden des Buddha aus der angereihten Sammlung“ (Pali: „nguttara Nikaya“; engl. „The Collection of Progressive Divisions“; „Angereihte Sammlung“, Zehner-Buch, Nr. 208) zu finden ist. Dort spezifiziert der Buddha, dass jede dieser vier Geisteshaltungen frei von Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit ist, und von Vergegenwärtigung und Wachsamkeit begleitet wird. Das aus dem ersten Jahrhundert stammende Werk „Der Weg zur Befreiung“ (Pali: „imuttimagga“) von Upatissa, das aus dem fünften Jahrhundert stammende Werk „Der Weg zur Reinheit“ (Pali: „Visuddhimagga“) von Buddhagosa und das aus dem neunten Jahrhundert stammende Werk von Anuruddha „Der allumfassende Text über Punkte aus den Themen des speziellen Wissens“ enthalten vollständige Erklärungen über die Praktiken der vier unermesslichen Geisteshaltungen.

Sie werden die „Verweilungsstätten Brahmas“ genannt, weil die vier Brahma-Bereiche der Ebene ätherischer Formen (Formbereich) der Reihe nach mit den vier unermesslichen Geisteshaltungen und den vier Ebenen geistiger Stabilität (bsam-gtan, Skt. dhyana, Pali: jhana) übereinstimmen. Die Brahma-Götter im ersten Brahma-Bereich haben unermessliche Liebe; die Brahma-Götter im zweiten Bereich haben unermessliches Mitgefühl; jene im dritten Bereich haben unermessliche Freude; und die Brahma-Götter im vierten Bereich haben unermesslichen Gleichmut. In gleicher Weise verweilen Praktizierende der ersten Ebene geistiger Stabilität in tiefer Konzentration über unermessliche Liebe; Praktizierende der zweiten Ebene verweilen in tiefer Konzentration über unermessliches Mitgefühl und so weiter. Da das Wort „Brahma“ rein, ausgezeichnet oder erhaben bedeutet, leben Praktizierende, die diese unermesslichen Geisteshaltungen entwickeln, in einem reinen, erhabenen Geisteszustand gleich den Brahma-Göttern. Zudem werden die Verweilungsstätten Brahmas als „unermessliche“ Geisteshaltungen bezeichnet, weil sie alle begrenzten Wesen (fühlenden Wesen) in allen denkbaren Umständen umfassen und weil jede dieser Geisteshaltungen in ihrer Intensität grenzenlos ist.

Die vier unermesslichen Geisteshaltungen sind in einer Liste der Theravada-Tradition mit zweiundfünfzig Geistesfaktoren enthalten. In Anuruddhas Erklärungen dieser zweiundfünfzig Geistesfaktoren werden zwei dieser vier Faktoren als grenzenlose Geistesfaktoren spezifiziert, weil sie unbegrenzt viele Wesen als Objekte haben:

  • Mitgefühl ist der Geistesfaktor, der das Herz erbeben lässt, wenn andere Leiden. Zudem ist Mitgefühl der Wunsch, ihr Leiden zu beseitigen. Sein direkter Feind ist eine grausame oder auf Schaden gerichtete Geisteshaltung (Pali: himsa). Der indirekte Feind des Mitgefühls ist Betrübnis, ein Zustand, indem man vom Leiden anderer emotional überwältigt ist.
  • Mitfühlende Freude oder ein mitfühlendes Sich-Erfreuen ist der Geistesfaktor, bei dem man über den Erfolg anderer glücklich ist. Sein direkter Feind ist Eifersucht und sein indirekter Feind ist Jubel, ein Zustand, in dem man über den Erfolg anderer so erregt ist, dass man sich in einem gestörten Geisteszustand befindet.

Die grundlegenden Formen der anderen beiden Geisteshaltungen, im Gegensatz zu den unermesslichen Formen, sind in der Liste von neunzehn Geistesfaktoren enthalten, die jeden konstruktiven Geisteszustand begleiten:

  • Liebe ist der Wunsch danach, dass andere glücklich sein mögen. Sie ist im Nicht-Ärger (Pali: adosa; engl. imperturbability; Unerschütterlichkeit) enthalten. Ihr direkter Feind ist Feindseligkeit oder Ärger, und ihr indirekter Feind ist Anhaften, zu nahe kommen.
  • Gleichmut ist in der Ausgewogenheit (Pali: tatra majjhattata, engl. evenminded, wörtlich: gleichmütig sein) enthalten und ist der Geistesfaktor, mit dem man seinem Objekt gegenüber ausgeglichen ist. Sein Feind ist die Anhaftung (Pali: raga) und sein indirekter Feind ist die Gleichgültigkeit.

Buddhaghosas Erklärungen zum unermesslichen Gleichmut werfen ein weiteres Licht auf diesen Geisteszustand. Der unermessliche Gleichmut hat die Funktion, die Gleichheit aller Wesen zu sehen. Der Gleichmut, als eine ausgeglichene Haltung gegenüber jedem Wesen charakterisiert, manifestiert sich als ein Zur-Ruhe-Kommen von Anhaftung und Feindseligkeit gegenüber anderen. Sie erreicht ihr Ziel nicht, wenn sie sich als Gleichgültigkeit manifestiert. Ihre Ursache ist das Verständnis, dass jedes begrenzte Wesen für sein Karma verantwortlich ist.

Die Meditation über diese vier Geisteshaltung, beinhaltet, dass man jeden dieser Geisteszustände der Reihe nach entwickelt und immer weiter ausdehnt: zuerst zu sich selbst and danach zur eigenen Mutter, zum Vater, zu Familie, Freunden, Fremden, Feinden, zu allen Menschen im eigenen Land und so weiter, bis das Gefühl alle begrenzten Wesen erreicht. Hat man diese Abfolge mit der ersten unermesslichen Geisteshaltung durchlaufen, erzeugt man die darauffolgende Geisteshaltung und dehnt diese in der gleichen Weise aus. Die Geisteshaltungen sind:

  • jedem dieser begrenzten Wesen Gutes zu wünschen,
  • die Beseitigung ihrer Leiden zu wünschen,
  • sich an ihrem Wohlsein zu erfreuen und sich an ihren Bemühungen, in konstruktiver Weise zu handeln und auf Befreiung hin zu arbeiten, zu erfreuen,
  • ihnen gegenüber ausgeglichen zu sein, in dem Sinne, dass wenn wir ihnen helfen, wir weder zu sehr verstrickt sind, noch ihnen gegenüber gleichgültig sind, da letztendlich jeder die Befreiung durch sein oder ihr eigenes Bemühen erreichen muss.

Als Vorbereitung für die Entwicklung unermesslicher Liebe erklärt Upatissa, dass es erforderlich ist, zuerst über die Nachteile von Ärger und Ressentiment nachzudenken – das sind die negativen Zustände des Geistes, welche Liebe verhindern – und über die Methoden zu meditieren, mit denen man diese überwindet und Geduld entwickelt. Dann bringt man Liebe hervor: den Wunsch, dass man selbst sowie dann auch andere glücklich sein mögen. Buddhagosha führt aus, dass dieser Wunsch, der Liebe ausmacht, den Wunsch beinhaltet, dass man selbst sowie dann auch andere frei davon sein mögen, unglücklich zu sein: Mögen sie glücklich sein und nicht unglücklich. Buddhagosha bietet auch eine ausführlichere Version dieses Wunsches an, in der drei unglückliche Geisteszustände genannt werden, welche Liebe und Glück verhindern: Mögen sie frei von Feindseligkeit sein (indem sie von Bosheit und Feindschaft ablegen) sowie frei von Aggression (indem sie Ungehaltenheit ablegen) und Angst (indem sie Furcht ablegen), und mögen sie glücklich leben.

Die Vaibhashika- und Sautrantika-Traditionen des Hinayana

Die Vaibhashika- und Sautrantika-Traditionen der Sarvastivada-Schule des Hinayana verwenden beide Vasubandhus im vierten oder fünften Jahrhundert verfassten Text „Eigen-Kommentar über ‚Ein Schatzhaus spezieller Themen des Wissens’“ (tib. Chos-mngon-pa'i mdzod-kyi rang-'grel, Skt. Abhidharmakosha-bhashya) als Quelle für ihre Erläuterungen der vier unermesslichen Geisteshaltungen. Die tibetisch-buddhistischen Traditionen verwenden diesen Text ebenfalls als eine ihrer Quellen.

Vasubandhu akzeptiert die Erklärungen der Theravada-Traditionen, die besagen, dass die vier Geisteshaltungen unermesslich sind, weil sie auf eine unermessliche Anzahl begrenzter Wesen hin abzielen. Vasubandhu stimmt, hiermit Buddhaghosa und Anuruddha vorausgehend, mit ihren Erklärungen überein, dass:

  • Liebe ein Gegenmittel gegen Böswilligkeit ist,
  • Mitgefühl ein Gegenmittel gegen grausame, schädliche Geisteshaltungen,
  • Freude ein Gegenmittel gegen einen Mangel an Freude,
  • Gleichmut ein Gegenmittel gegen (1) sehnsüchtig Begierde für Wesen oder Objekte der Sphäre sinnlichen Begehrens (Begierde-Bereich) und (2) Böswilligkeit.

Einen Mangel an Freude bedeutet, dass man sich nicht am Glück anderer oder ihren konstruktiven Erreichung erfreuen kann, was auch gleichzeitig die definierende Eigenschaft der Eifersucht ist. Wenn Vasubandhu bemerkt, dass er die Behauptung der Vaibashikas nicht akzeptiert, die besagt, dass Gleichmut ein Gegenmittel gegen sehnsüchtiges Begehren nach Geschlechtsverkehr ist. Stattdessen akzeptiert er jedoch die Behauptung der Sautrantikas, dass Gleichmut ein Gegenmittel gegen das sehnsüchtige Begehren nach dem eigenen Vater, der eigenen Mutter, den Kindern und nahe stehenden Menschen ist. Gleichmut ist auch ein Gegenmittel gegen Böswilligkeit, da die Böswilligkeit, die man gegenüber einigen Wesen hegt, durch das sehnsüchtige Begehren nach anderen Wesen hervorgerufen wird.

Vasubandhu erklärt weiter, dass

  • sowohl Liebe als auch Mitgefühl die funktionale Natur (tib. rang-bzhin) von Nicht-Ärger (tib. zhe-sdang med-pa, Skt. advesha; Unerschütterlichkeit) haben, die Anuruddha in Bezug auf Liebe widerspiegelt.
  • Freude hat die funktionale Natur von geistigem Glück (tib. yid bde-ba) hat, wohingegen
  • Gleichmut die Identitäts-Natur (tib. bdag-nyid) von Nicht-Anhaftung besitzt (tib. ma-chags-pa; engl. detachment; Ablösung).

Alle vier Ebenen geistiger Stabilität (tib. bsam-gtan), wie auch alle vier Brahma-Bereiche, sind frei von Ärger. Entsprechend sind unermessliche Liebe und unermessliches Mitgefühl frei von Ärger. Diese Art von Symmetrie fehlt jedoch in Vasubandhus Erklärung der Freude als geistiges Glück. Obwohl Freude als die Dritte der unermesslichen Geisteshaltungen mit der dritten Ebene geistiger Stabilität korreliert, ist diese Ebene, ebenso wie auch der dritte Brahma-Bereich, frei von geistigem Glück. Wesen, die in diesen Zuständen verweilen, erfahren lediglich die ruhige Freude des geistigen Friedens.

Vasubandhu erläutert außerdem den Aspekt des Gedankens, den jede dieser vier unermesslichen Geisteshaltungen erzeugt, während man an jene begrenzten Wesen denkt, die physisches Glück, Schmerz und geistiges Glück erfahren. Bei derlei begrenzten Wesen handelt es sich ausschließlich um solche Wesen, die zurzeit auf der Ebene der sinnlichen Begierde (Begierde-Bereich) wiedergeboren werden. Jene Wesen, die gegenwärtig auf der Ebene der ätherischen Formen (Form-Bereich) und der formlosen Wesen (formloser Bereich) wiedergeboren werden, erfahren keinen Schmerz; die Wesen im zweiten Brahma-Bereich erfahrenen kein physisches Glück; während die Wesen im dritten Brahma-Bereich und den darüber liegenden Bereichen kein geistiges Glück erfahren.

  • Liebe widmet ihre Aufmerksamkeit diesen begrenzten Wesen, indem man denkt: „Mögen die begrenzten Wesen physisches Glück erfahren.“
  • Mitgefühl widmet seine Aufmerksamkeit diesen Wesen, indem man denkt: „Mögen die begrenzten Wesen kein Leid (Schmerz) erfahren.“
  • Freude widmet ihnen seine Aufmerksamkeit, indem man denkt: „Mögen die begrenzten Wesen geistiges Glück erfahren.“
  • Gleichmut widmet ihnen seine Aufmerksamkeit, indem man denkt: „Die begrenzten Wesen sind gleich (tib. mnyam-pa).“

Vasubandhu unternimmt hier in Bezug auf die unermessliche Freude im Vergleich zu der Darstellung der Theravada-Tradition eine bedeutende Veränderung. Freude ist bei ihm nicht nur lediglich der freudvolle Geisteszustand, der sich an all dem Glück erfreut, das andere bereits erfahren, sondern vielmehr der Geisteszustand, der zusätzlich noch wünscht, dass andere geistiges Glück (Freude) erfahren mögen.

Vasubandhu gibt außerdem einen Überblick darüber, wie man die unermesslichen Geisteshaltungen entwickelt. Zum Entwickeln der unermesslichen Liebe denkt man, dass genauso wie ich selbst, kurze Erfahrungen von Glück gemacht habe oder genauso wie die Buddhas, Bodhisattvas, Aryas und Arhats ein stabileres Glück erlangt haben, so mögen auch die begrenzten Wesen Glück erfahren. Während man dies denkt, stellt man sich vor, dass die begrenzten Wesen glücklich sind. Wenn man nicht in der Lage ist, dies zu tun, weil man einen großen Anteil an störenden Emotionen und Geisteshaltungen hat, kann man dies auch in Stufen üben. Dabei unterteilt man seine Freunde in drei Stufen von Nähe. Zunächst richtet man den Gedanken, dass man ihnen Glück wünscht an jene, die einem sehr nahe stehen, dann an jene, zu denen man einen mittleren Grad von Nähe empfindet, und schließlich an jene, zu denen man nur ein wenig Nähe empfindet. Wenn die Empfindungen der Liebe allen drei Gruppen gegenüber gleich groß ist, richtet man den Gedanken, anderen Glück wünschen, auf Menschen, mit denen man nur eine alltägliche Beziehung hat. Dann richtet man seinen Gedanken des Glück-Wünschens auf die Menschen, denen gegenüber man etwas Feindschaft empfindet, dann auf jene, denen gegenüber man einen mittleren Grad von Feindschaft empfindet, und schließlich auf jene Menschen, denen gegenüber man eine große Feindschaft empfindet. Wenn man dieselbe Intensität von Liebe für seinen liebsten Freund und seinen größten Feind empfindet, dehnt man sie in Stufen weiter aus: zuerst zu den Menschen in der eigenen Nachbarschaft, dann zu den Menschen im Bezirk, in der Stadt, im Bundesland, im Land, und schließlich zu den Menschen der ganzen Welt.

Vasubandhu erklärt außerdem, dass diejenigen, die in der Lage sind, die guten Qualitäten in allen anderen zu erkennen, dazu fähig sind, die unermessliche Liebe schnell zu entwickeln. Sie verstehen, dass die jetzige Anwesenheit oder Abwesenheit von guten Qualitäten in einem Wesen, darauf beruht, dass frühere positive oder negative karmische Hinterlassenschaft gereift sind.

Das unermessliche Mitgefühl und die unermessliche Freude werden durch dieselbe Abfolge entwickelt, wie wir sie bei der unermesslichen Liebe verwendet haben. Beim unermesslichen Mitgefühl denkt man: „Die begrenzten Wesen sind in einem Fluss aus vielerlei Arten von Leiden versunken. Wie wunderbar wäre es doch, wenn sie so schnell wie möglich aus ihrem Leiden befreit werden würden.“ Für die unermessliche Freude denkt man: „Wie wunderbar wäre es doch, wenn sie auch Freude erfahren würden.“ Vasubandhu macht keine Angaben über den Gedanken, den man zum Entwickeln des unermesslichen Gleichmuts kultiviert, weist jedoch darauf finden, dass man die Abfolge des Ausdehnens des unermesslichen Gleichmuts zu anderen hin, mit Menschen beginnt, zu denen man eine ganz alltägliche Beziehung hat. Er macht außerdem darauf aufmerksam, dass nur Menschen die vier unermesslichen Geisteshaltungen entwickeln können.

Die Mahayana-Tradition

Innerhalb der Mahayana-Tradition werden die vier unermesslichen Geisteshaltungen in mehreren weit verbreiteten Sutren erwähnt wie beispielsweise in den folgenden:

  • „Das Sutra des weißen Lotus des heiligen Dharma“ (tib. Dam-pa'i chos pad-ma dkar-po zhes-bya-ba theg-pa chen-po'i mdo, Skt. Saddharmapundarika-nama Mahayana Sutra; engl. The Lotus Sutra; “Das Sutra der Lotosblume vom wunderbaren Gesetz“, „das Lotos-Sutra“ ),
  • „Das Sutra von der großen letztendlichen Befreiung von allen Sorgen“ (tib. Yongs-su mya-ngan-las 'das-pa chen-po'i mdo, Skt. Mahaparinirvana Sutra).

Die Nichiren-Tradition des japanischen Buddhismus interpretiert unermessliche Liebe, unermessliches Mitgefühl und unermessliche Freude, die lediglich im „Lotos-Sutra“ erwähnt werden, in ähnlicher Weise wie sie in der Theravada-Tradition dargestellt werden. Die unermessliche Freude wird so zum Beispiel als die Geisteshaltung dargestellt, mit der man sich darüber erfreut, wenn die begrenzten Wesen Glück erfahren. Der unermessliche Gleichmut wird jedoch als eine ausgewogene Haltung gegenüber Glück und Unglück, Freude und Schmerz, und zwar unter allen Umständen beschrieben, wie zum Beispiel wenn man Freunden und Feinden begegnet. Es handelt sich hier um einen Zustand vollständiger Ruhe. Beim unermesslichen Gleichmut handelt es sich außerdem um einen Geisteszustand, der frei von den Geisteshaltungen der unermesslichen Liebe, des unermesslichen Mitgefühls und der unermesslichen Freude ist. Wenn man einen gleichmütigen Geist besitzt, ist man anderer in solcher Weise gewahr, dass man dabei weder Glück noch Unglück erlebt, und sich außerdem von anderen weder angezogen noch abgestoßen fühlt. Daher kommt der unermessliche Gleichmut der vierten Ebene geistiger Stabilität gleich, auf der man frei ist von allen Gefühlen des Unglücklichseins, des physischen und geistigen Glücks, und auf der man auch frei ist von Gefühlen der ruhigen Freude geistigen Friedens.

In einem anderen Mahyana-Sutra, „Das Sutra, dass von der Arya Akshayamati gelehrt worden ist“ (tib. Blo-gros mi-zad-pas bstan-pa'i mdo, Skt. Arya Akshayamati-nirdesha Sutra), werden die Ergebnisse erklärt, die man in zukünftigen Leben erfährt, wenn man die vier unermesslichen Geisteshaltungen in seiner Meditationspraxis kultiviert. Sie scheinen mit den oben gegebenen Erklärung zum „Lotus-Sutra“ übereinzustimmen.

  • „Wenn man große Liebe entwickelt, wird man in Umständen wiedergeboren, in denen man kein Unheil erfährt.
  • Wenn man großes Mitgefühl entwickelt, wird man mit stabilen Wurzeln wiedergeboren.
  • Wenn man große Freude entwickelt, wird man in Umständen wiedergeboren in denen man im körperlichen Glück verweilt, einem festen Glauben, in das, was wahr ist, hat und eine überragende geistige Freude empfindet.
  • Wenn man den großen Gleichmut entwickelt, wird man wiedergeboren, ohne dass man von Glück oder Unglück beunruhigt wird.“

Die Geisteshaltungen, die hier erwähnt werden, sind „große“ Liebe, „großes“ Mitgefühl und so weiter, und nicht „unermessliche“ Liebe, „unermessliches“ Mitgefühl und so weiter. Unklar ist, ob die „großen“ Formen und die „unermesslichen“ Formen gleichbedeutend sind. Wenn man trotzdem die oben erwähnten Resultate mit den feindlichen Geisteszuständen (d.h. mit den nahen und fernen Feinden), die von Vasubandhu beschrieben werden, verbindet, (obgleich Vasubandhu die unermessliche Freude anders definiert), kann man die Wirkungen der Geisteshaltungen vielleicht wie folgt verstehen:

  • Liebe überwindet ihre Feinde Böswilligkeit und Hass. Ebenso wie die Wirkungen ihren Ursachen ähneln, und zwar in Bezug auf das eigene Erleben (tib. myong-ba rgyu-mthun-gyi 'bras-bu), genauso wird der Wunsch, anderen keinen Schaden zuzufügen, darin resultieren, dass einem selbst keine Schaden zugefügt wird.
  • Mitgefühl überwindet seinen Feind: eine grausame oder schädliche Geisteshaltung. Hass und Zorn, also der Wunsch, dass jemandem, den man nicht leiden kann, Gewalt widerfährt, zerstört die Wurzel der eigenen konstruktiven Kraft (tib. dge-rtsa, engl. roots of virtue; Wurzeln der Tugend). Daraus folgt, dass das, was aus ihnen reifen wird, sich erheblich verzögert und dass das Reifen viel schwächer ausfallen wird. Deshalb führt der Wunsch, dass andere frei vom Leiden sein mögen – statt dass man ihn wünscht zu leiden – dazu, dass diese Wurzeln auf dem eigenen geistigen Kontinuum viel stabiler sein werden.
  • Sich an den guten Qualitäten, an den Dharma-Errungenschaften und dem Glück anderer zu erfreuen, überwindet den Feind der Mitfreude, das heißt die Eifersucht oder die Unfähigkeit, sich an den tatsächlichen guten Qualitäten anderer zu erfreuen und so weiter. So wie die Wirkungen den Ursachen im eigenen instinktiven Verhalten (tib. byed-pa rgyu-mthun-gyi 'bras-bu) ähneln, bewirkt das Anerkennen der wahren Qualitäten anderer Menschen und dass man sich an diesen Qualitäten erfreut, dass man einen festen Glauben in das entwickelt, was wahr ist. Und sich am Glück anderer zu erfreuen, hat zur Folge, dass man selber körperliches und geistiges Glück erfahren wird.
  • Gleichmut überwindet seine Feinde: Anhaftung oder sehnsüchtiges Begehren und Böswilligkeit. Der Gleichmut hat eine neutrale Empfindung gegenüber allen anderen. In gleicher Weise wie die Wirkungen den Ursachen im eigenen instinktiven Verhalten ähneln, wird man daher durch Empfindungen von Glück oder Unglück nicht aufgewühlt.

Die indischen Mahayana-Texte von Maitreya und Asanga

Die geistige Stabilität und das unterscheidende Gewahrsein, die erforderlich sind, damit die vier Geisteshaltungen unermesslich sein können

Die vier unermesslichen Geisteshaltungen erscheinen auch in den indischen Mahayana-Texten, wie zum Beispiel im „Filigranschmuck der Verwirklichungen“ (tib. mNgon-rtogs rgyan, Skt. Abhisamayalamkara), einem Kommentar des zukünftigen Buddha Maitreya über „Die Prajnaparamita Sutras“ (tib. Pha-rol-tu phyin-pa'i mdo; engl. „Sutras on Far-Reaching Discriminating Awareness“, „Perfection of Wisdom Sutras“; „Die Sutras des weitreichenden unterscheidenden Gewahrseins“ , „Die Sutras der Vollkommenheit der Weisheit“). In diesem Text wird das Kultivieren der vier Geisteshaltungen als eine von neun Praktiken beschrieben, in denen sich die Bodhisattvas üben, um das allwissende Gewahrsein (tib. rnam-mkhyen, Allwissenheit) eines Buddha zu erlangen. Man kultiviert daher die vier unermesslichen Geisteshaltungen, nachdem man die Bodhichitta-Ausrichtung, d.h. die Absicht die Erleuchtung zum Wohle aller Wesen zu erreichen, bereits entwickelt hat.

Obwohl diese vier Geisteshaltungen möglicherweise mit einem Bewusstsein erlangt werden können, das sich immer noch in der Sphäre des Bereichs sinnlicher Begierde befindet, sind Maitreya zufolge diese Geisteszustände, die mit einem solchen Bewusstsein entwickelt werden, nicht „unermesslich“. Es handelt sich lediglich dann um die unermesslichen Formen dieser Geisteshaltungen, wenn sie mit einem Bewusstsein erreicht werden, das einen wirklichen Zustand (tib. dngos-gzhi) einer der vier Ebenen geistiger Stabilität erlangt hat.

In der Schrift „Ein goldener Rosenkranz ausgezeichneter Erklärungen“ (tib. Legs-bshad gser-phreng), einen Kommentar zum „Filigranschmuck der Verwirklichung“, erläutert der im späten vierzehnten Jahrhundert lebende Gründer der Gelug-Tradition Tsongkhapa (tib. Tsong-kha-pa Blo-bzang grags-pa), dass Bodhisattvas die vier unermesslichen Geisteshaltungen in Verbindung mit allen sechs weiterreichenden Geisteshaltungen (tib. pha-rol-tu phyin-pa, Skt. paramita, Vollkommenheiten) praktizieren müssen, und nicht nur mit einer Ebene geistiger Stabilität. Insbesondere müssen Bodhisattvas von ihrem Verständnis in die Natur aller Phänomene vollständig Gebrauch machen, indem sie das Verständnis auf die Sphäre des Nutzens für andere durch diese vier Geisteshaltungen anwenden. Da das Anhaften (tib. mngon-zhen, engl. clinging) an unmögliche Arten zu existieren, das entscheidende Hindernis ist, um anderen zu nutzen, muss man insbesondere die vier unermesslichen Geisteshaltungen in Verbindung mit dem weiterreichenden unterscheidendem Gewahrsein (der Vollkommenheit der Weisheit) entwickeln. Mit anderen Worten müssen die vier unermesslichen Geisteshaltungen ohne Ausrichtung auf ein Bezugsobjekt in Bezug auf (tib. dmigs-med, unausgerichtet) die unmögliche Art der Existenz

  • ihrer Handlungen des Wünschens,
  • was sie sich wünschen, dass es sich ereignen soll,
  • und des Meditierenden, der diese Wünsche hegt, entwickelt werden.

Ohne eine „Ausrichtung auf ein Bezugsobjekt“ bedeutet: ohne sich auf die drei Sphären (tib. ‘khor-gsum) des Wunsches hin auszurichten – d. h. sich nicht auf die Handlung selber, nicht auf das Objekt und auch nicht auf den Handelnden selber hin (so) auszurichten – (als ob sie) in einer unmöglichen Art existieren, und (als ob sie das sind), was die unermessliche Geisteshaltung beinhaltet oder auf was sie Bezug nimmt.

Wenn die vier unermesslichen Geisteshaltungen nicht von den sechs weiterreichenden Geisteshaltungen begleitet werden, wirkt die Praxis der vier unermesslichen Geisteshaltungen lediglich als eine Ursache für einen Geburt als ein Brahma-Gott in einer der vier Bereiche ätherischer Formen. Daher erklärte der im späten 18. Jahrhundert lebende Gelug-Meister Detri (tib. sDe-khri 'Jam-dbyangs thub-bstan nyi-ma) in seiner „Darstellung der Erzeugungsstufe des glorreichen Kalachakra“ (tib. dPal-dus-kyi ‘khor-lo’i bskyed-rim-gyi rnam-bzhag ‘jam-dpal zhal-lung), dass der Begriff „tshangs-pa“ (Skt. brahma) entweder Brahma-Gott oder Nirvana bedeuten kann, da beide rein, ausgezeichnet und überragend sind; wohingegen der Begriff „gnas“ (Skt. vihara, engl. abode; Verweilungsstätte) auch „Ursache“ bedeuten kann. Mit „ Nirvana“ ist hier der erleuchtete Zustand eines Buddhas gemeint.

Die Bedingungen für die Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltungen

Tsongkhapa fährt im gleichen Kommentar damit fort, die Bedingungen zu erläutern, die für die Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltung, wie beispielsweise des unermesslichen Mitgefühls, notwendig sind, indem er aus dem Maitreyas „Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ zitiert. Diese Erläuterungen stimmen mit den Theorien des Chittamatra-Lehrsystems überein, dem Maitreyas Text folgt.

  • Die ursächlichen Bedingungen (tib. rgyu'i rkyen) sind die Samen für die vier Geisteshaltungen, die nicht mit Verwirrung verbunden sind (tib. zag-med-kyi sa-bon), die auf das alles umfassende grundlegende Bewusstsein (tib. kun-gzhi rnam-shes, Skt. alayavijnana; Speicherbewusstsein) zugeschrieben werden können. Diese Samen sind Aspekte der natürlich andauernden Familieneigenschaften (tib. rang-bzhin gnas-rigs, andauernde Buddha-Natur). Mit anderen Worten sind die Tendenzen, welche die Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltungen ermöglichen, in allen begrenzten Wesen als Aspekte ihrer eigenen Buddha-Naturen vorhanden.
  • Die dominierende Bedingung (tib. bdag-po'i rkyen) für die Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltungen ist die Inspiration und die Führung durch einen spirituellen Lehrer. Eine dominierende Bedingung ist die Bedingung, die den maßgeblichen Einfluss darauf ausübt, eine Ergebnis hervorzubringen, und zwar in gleicher Weise wie die Sinneszellen des Auges die Entstehung einer visuellen Sinneswahrnehmung ermöglichen
  • Die unmittelbar vorausgehende Bedingung (tib. de-ma-thag rkyen) bezieht sich auf ein Verstehen der Selbstnatur (tib. rang-bzhin) aller Phänomene. Die Vergegenwärtigung eines solchen Verständnisses muss dem Entstehen der unermesslichen Geisteshaltungen unmittelbar vorausgehen. Mit anderen Worten: Die Faktoren, die notwendig sind, damit die Buddha-Natur-Samen für die vier unermesslichen Geisteshaltungen wachsen können, sind der positive Einfluss eines spirituellen Lehrers und ein richtiges Verständnis der Natur aller Phänomene, insbesondere der Natur aller begrenzten Wesen. Weiterhin, wie bereits oben erwähnt, muss der Geist, welcher die vier unermesslichen Geisteshaltungen entwickelt, eine Bodhichitta-Ausrichtung und eine fortgeschrittene Stufe der Konzentrationen besitzen.

Asangas Definitionen der vier unermesslichen Geisteshaltungen

Tsongkhapa zitiert daraufhin die Definitionen der vier unermesslichen Geisteshaltungen, wie sie der im 3. Jahrhundert lebende indische Meister Asanga in seinem Text „Eine Anthologie spezieller Themen des Wissens“ (tib. Chos mngon-pa kun-las btus-pa, Skt. Abhidharmasamuccaya) gibt:

  • Die unermessliche Liebe ist die tiefe Konzentration (tib. ting-nge-'dzin, Skt. samadhi) oder das unterscheidende Gewahrsein (tib. shes-rab, Skt. prajna; Weisheit), das auf einer der Ebenen der geistigen Stabilität beruht und auf das Verweilen (Situation) des Gedankens: „Mögen alle begrenzten Wesen dem Glück begegnen“, angewendet wird. Die unermessliche Liebe umfasst zudem auch das Hauptgewahrsein und das Nebengewahrsein (Geist und Geistesfaktoren), welche kongruent mit einem der beiden sind.

Die anderen drei unermesslichen Geisteshaltungen haben dieselben ausführlichen Definitionen wie die unermessliche Liebe, jedoch mit unterschiedlichen Gedanken:

  • In Bezug auf das unermessliche Mitgefühl hegt man den Gedanken: „Mögen die begrenzten Wesen getrennt sein von Leiden.“ An anderer Stelle erklärt Asanga, dass das Leiden, welches hier gemeint ist, alle drei Arten des Leidens umfasst: das Problem des Leidens, das Problem des Wandels und das allumfassende Problem.
  • In Bezug auf die unermessliche Freude hegt man den Gedanken: „Mögen alle begrenzten Wesen niemals vom Glück getrennt sein.“
  • Der unermessliche Gleichmut ist mit dem Gedanken verbunden: „Mögen die begrenzten Wesen Nutzen (tib. phan-pa) erfahren.“

Die vier Eigenschaften, die benötigt werden, damit die vier unermesslichen Geisteshaltung stabil bleiben

Um ein klareres Verständnis dieser vier Eigenschaften zu erlangen, kehrt Tsongkhapa in seiner Erörterung nochmals zu Maitreyas Text „Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ zurück. Hier zählt Maitreya die vier spezifischen Eigenschaften auf, die die vier unermesslichen Geisteshaltungen besitzen müssen, um stabil zu bleiben. Sie müssen (1) sich von ihren spezifisch unharmonischen Faktoren im geistigen Kontinuum der Person, welche die unermesslichen Geisteshaltungen entwickeln möchte, befreien, (2) einem die Erlangung der spezifischen Zustände ermöglichen, die diesen Faktoren entgegenstehen, (3) spezifische Arten der Ausrichtung besitzen, mit denen sie auf ihre Objekte gerichtet sind, und (4) eine spezifische Funktion ausüben.

(1) Die unharmonischen Faktoren, von denen sich der Übende durch die vier unermesslichen Geisteshaltung befreit, sind der Reihe nach: Böswilligkeit, eine grausame oder abträgliche Geisteshaltung, ein Mangel an Freude, und sowohl Böswilligkeit als auch sehnsüchtiges Verlangen. In diesem Fall stimmt Maitreya mit Vasubandhu überein.

(2) Die spezifischen Zustände, die man erreicht, die den unharmonischen Faktoren entgegenstehen, sind Zustände von nichtkonzeptuellem tiefen Gewahrsein (tib. rnam-par mi-rtog-pa'i ye-shes), die frei von diesen sind.

(3) Die spezifischen Arten sich auf ihre Objekte auszurichten, bedeutet, sich auf die Objekte als begrenzten Wesen, als Phänomene und ohne Ausrichtung auf ein Bezugsobjekt (tib. dmigs-med, unausgerichtet) auszurichten. Diese Eigenschaft ist eine ausführliche Darstellung des Verständnisses der Realität, das als eine unmittelbar vorausgehende Bedingung notwendig ist, um die vier unermesslichen Geisteshaltungen zu entwickeln, die oben erwähnt sind. In einem anderen Abschnitt desselben Textes erläutert Maitreya, dass die Objekte, auf die die vier Geisteshaltungen ausgerichtet sind, der Reihe nach wie folgt lauten:

  • die begrenzten Wesen, die kein Glück erfahren,
  • die Wesen die Leid erfahren,
  • die Wesen, die bereits glücklich sind, und
  • Wesen, die sich von anderen angezogen und abgestoßen fühlen, weil sie andere Wesen dahingehend unterteilen, ob sie sich ihnen nah und fern fühlen.

(4) Die spezifische Funktion, die alle vier unermesslichen Geisteshaltungen gemeinsam erfüllen, ist die vollständige Reifung der begrenzten Wesen. Diese Eigenschaft stimmt mit den Erklärungen überein, die Maitreya im „Filigranschmuck der Verwirklichung“, in Bezug auf die vier unermesslichen Geisteshaltungen gibt und zwar als eine Praxis, mit der sich die Bodhisattvas beschäftigen, um ein allwissendes Gewahrsein zu erlangen. Mit einem allwissenden Gewahrsein ausgestattet, werden die Bodhisattvas, durch ihre geschickten Belehrungen, besser in der Lage sein, für andere Wesen die Umstände zu schaffen, dass die Buddha-Natur-Samen im geistigen Kontinuum aller anderen Wesen zur Reife gelangen können. In dieser Weise helfen die Bodhisattvas dabei, alle begrenzten Wesen zur Erleuchtung zu führen.

Die drei Arten, auf welche die vier unermesslichen Geisteshaltungen sich auf ihre Objekte ausrichten.

Tsongkhapa arbeitet den dritten Punkt sorgfältig aus, d.h. die spezifische Art mit der die vier Geisteshaltungen sich auf ihre Objekte hin ausrichten, was in Übereinstimmung mit der Chittamatra-Theorie Maitreyas und Asangas geschieht.

  • „Wenn die vier unermesslichen Geisteshaltungen sich auf diese Objekte als begrenzte Wesen hin ausrichten, fokussieren sie sich auf sie, so als hätten sie die essenzielle Natur davon, substantielle Personen zu sein (tib. gang-zag-kyi rdzas-kyi ngo-bo).
  • Wenn sich die vier unermesslichen Geisteshaltungen auf die Objekte als Phänomene hin ausrichten, fokussiere sie sich auf sie in der Weise, dass sie keine substantielle Existenz haben, aber gleichwohl die essenzielle Natur der bloßen Phänomene (tib. chos-tsam) besitzen.
  • Wenn sich die vier unermesslichen Geisteshaltungen auf die Objekte ohne Ausrichtung auf ein Bezugsobjekt, dann konzentrieren sie sich auf diese so, als seien diese nicht bloße Phänomene, sondern als eher getrennt seiend und von unmöglichen Arten der Existenz in Bezug auf das Bewusstsein, das sie als Objekte erfasst, und sie selbst als Objekte des Bewusstseins (tib. gzung-'dzin-dang bral-ba).“ Mit anderen Worten fokussiert sich die absichtlose Variante der vier unermesslichen Geisteshaltungen auf Personen und die Bewusstseinsmomente, die sie erkennen, in der Art, dass sie nicht aus verschiedenen Geburtsquellen (tib. gzung-'dzin-dang bral-ba) stammen – beide entstammen aus demselben karmischen Samen des Alayavijnana des Wahrnehmenden von ihnen.

In dem Kommentar „Klarstellen der Absichten: ein Kommentar zu (Chandrakirtis) großer Abhandlung „ Sich mit dem mittleren Weg befassen“ (tib. bsTan-bcos chen-po dbu-ma-la 'jug-pa'i rnam-bshad dgongs-pa rab-gsal) legt Tsongkhapa die Madhyamaka-Erklärungen der drei Arten dar, in der die unermesslichen Geisteshaltung sich auf ihre Objekte ausrichten. Die Madhyamaka-Erklärungen verdeutlichen die knappe Chittamatra-Präsentation der ersten beiden Arten der Ausrichtung, die Tsongkhapa in seinem Werk „Ein goldener Rosenkranz ausgezeichneter Erklärungen“ gibt. Indem er alle drei Arten der Ausrichtung in Bezug auf die unterschiedlichen Ebenen des unterscheiden Gewahrseins erläutert, entwickelt Tsongkhapa den Punkt von Maitreya im „Filigranschmuck der Verwirklichung“ weiter, der besagt, dass die vier unermesslichen Geisteshaltungen in Verbindung mit den sechs weitreichenden Geisteshaltung entwickelt werden müssen, insbesondere in Verbindung mit dem weiterreichenden unterscheidendem Gewahrsein. Seine Erklärungen resultieren auch aus dem Punkt, auf den Asanga in seinem Text „Eine Anthologie spezieller Themen des Wissens“ hinweist, dass die vier unermesslichen Geisteshaltungen entweder Zustände tiefer Konzentration oder Zustände unterscheidenden Gewahrseins sind. In Übereinstimmung mit Chandrakirtis Vers, zu dem Asanga Stellung nimmt, erläutert Tsongkhapa die drei Arten der Ausrichtung hier lediglich in Hinblick auf Mitgefühl.

  • Mitgefühl, das sich auf seine Objekte, d.h. die begrenzten Wesen hin ausrichtet, wird von dem unterscheidenden Gewahrsein begleitet, dass die begrenzten Wesen eine verblendete Auffassung in Bezug auf die vergänglichen Netzwerke (tib. 'jig-lta, engl. transitory networks) ihrer Aggregate haben. Mit dieser störenden Geisteshaltung greifen sie nach den Aggregat-Faktoren ihre Erfahrung als „Ich“ und „Mein“, und zwar trotz der Tatsache, dass ihrer Aggregate nicht in dieser unmöglichen Art existieren. Infolgedessen werden sie unter dem Einfluss von Karma und störenden Emotionen wiederholt Wiedergeburt annehmen und die drei Arten des Leidens erfahren. Die Formulierung der Chittamatra-Schule dieser ersten Art der Ausrichtung steht im Einklang mit den Erklärungen der Madhyamaka-Position. Sie weist lediglich auf einen anderen Aspekt dieser ersten Art hin, nämlich, dass, mit ihr einhergehend, der Bodhisattva Personen immer noch als statische, monolithische und unabhängige Wesen (tib. rtag gcig rang-dbang-gi sems-can) und/oder als eigenständig erkennbare Wesen (tib. rang-rkya thub-pa'i rdzas-yod-kyi sems-can, engl. self-sufficiently knowable beings) wahrnimmt.
  • Mitgefühl, das auf seine Objekte als bloße Phänomene hin ausgerichtet ist, nimmt Menschen nicht mehr als statische, monolitische, unabhängige Wesen oder als eigenständig erkennbare Wesen war. Das Mitgefühl wird vielmehr vom unterscheidenden Gewahrsein begleitet, dass sie lediglich auf die nicht-statischen Phänomene ihrer Aggregate als Grundlage für ihre Zuschreibung zugeschrieben sind. Das ist die Bedeutung der Formulierung der Chittamatra-Schule, dass die Art der Ausrichtung sich auf seine Objekte als bloße Phänomene hin ausrichtet. Diese Art der Ausrichtung wird durch die Ausrichtungen auf begrenzte Wesen als nicht statische Phänomene veranschaulicht. Aber der Punkt hier ist noch tiefgründiger. Nicht nur die Personen verändern sich von Augenblick zu Augenblick, sondern sie sind zugeschrieben auf eine Grundlage für Zuschreibung, die sich gleichfalls von Augenblick zu Augenblick verändert.
  • Mitgefühl, das sich auf seine Objekte ohne Ausrichtung auf ein Bezugsobjekt hin ausrichtet, fokussiert sich auf Wesen als leer von einer Existenz, die durch ihre Selbst-Natur begründet werden (tib. rang-bzhin-gyis grub-pas stong-pa, leer von inhärenter Existenz). Diese Art der Leerheit bedeutet, dass die begrenzten Wesen nicht – mit einer Existenz von ihrer eigenen Seite her begründet als die Bezugsobjekte (tib. btags-don,) des Namens und Konzeptes für sie gefunden werden können. Derlei Bezugsobjekte oder konzeptuell erfasste Objekte (tib. zhen-yul) existieren nicht. Deswegen ist diese Art von Mitgefühl auf Wesen gerichtet ohne dass es auf irgendwelche auffindbaren Bezugsobjekte hin abzielt. Diese Art der Ausrichtung ohne auf auffindbare Bezugsobjekte ausgerichtet zu sein ist einzigartig für die Prasangika-Madhyamaka-Schule.

Tsongkhapa zeigt in seinem Werk „Ein goldener Rosenkranz ausgezeichneter Erklärungen“ ferner die beiden Darstellungen der Ebene von Praktizierenden auf, die jede dieser Ebenen von Ausrichtung entwickeln. Dem Text „Das Sutra, das von der Arya Akshayamati gelehrt wurde“ zufolge sind die vier unermesslichen Geisteshaltungen, die sich auf die begrenzten Wesen hin ausrichten, die Praxisebenen der Bodhisattvas, wenn diese zunächst Bodhichitta entwickeln. Bei den vier unermesslichen Geisteshaltungen, die auf die Phänomene hin ausgerichtet sind, handelt es sich um die Praxisebene, wenn sie das Verhalten eines Bodhisattvas durch das Ablegen der Bodhisattva-Gelübde aufgenommen haben. Als „unausgerichtet” werden die vier unermesslichen Geisteshaltung bezeichnet, wenn die Bodhisattvas die fünf Arten von Pfadgeist (fünf Pfade) erlangt haben. Dem im 17. Jahrhundert lebenden indischen Meister Shakyabodhi zufolge, beziehen sich die vier unermesslichen Geisteshaltungen, die auf die begrenzten Wesen hin ausgerichtet, jedoch auf die Praxisebene der gewöhnlichen Wesen (tib. so-skye) – das heißt auf jene Wesen, die noch keine nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Abwesenheit einer unmöglichen Identität einer Person (tib. gang-zag-gi bdag-med) gehabt haben. Die vier unermesslichen Geisteshaltungen, die auf die Phänomene hin ausgerichtet sind, beziehen sich auf die Praxisebene, die gemeinsamen mit den Shravakas und Pratyeka-Buddhas geteilt wird; wohingegen sich die unausgerichteten vier unermesslichen Geisteshaltungen auf die Praxisebene der Buddhas und in Bodhisattvas beziehen.

Die zwei wichtigsten Varianten der unermesslichen Freude und des unermesslichen Gleichmuts

Diese Untersuchung macht deutlich, dass es von der unermesslichen Freude zwei wesentliche Varianten gibt. Der Theravada-Tradition und der Nichiren-Tradition zufolge, ist die unermessliche Freude ein Geisteszustand, der sich am Glück anderer erfreut. Den zwei Traditionen des Abhidharma zufolge, wie auch den mit diesen Traditionen verbundenen Texte zufolge, nach denen sich die verschiedenen Schulen des tibetischen Buddhismus ausrichten, umfasst die unermessliche Freude das Erfreuen über das Glück anderer, geht jedoch noch darüber hinaus. Vasubandhu, der die Vaibashika-/Sautrantika-Position repräsentiert, erklärt, dass die unermessliche Freude vor allem als den Wunsch danach, dass andere geistiges Glück erfahren mögen. Asanga, der die Chittamatra-Schule repräsentiert, erklärt die unermessliche Freude vor allem als Wunsch danach, dass andere niemals getrennt sein mögen von dem Glück, das sie bereits erfahren. Die verschiedenen tibetisch-buddhistischen Schulen übernehmen Vasubandhus oder Asangas Formulierung, wobei sie sich im Wesentlichen in der Art der Erklärung des Glücks unterscheiden, welches sich die unermessliche Freude wünscht. Entweder wünscht man, dass andere Glück besitzen mögen, oder man wünscht, dass andere nicht vom Glück getrennt sein mögen, ganz gleich ob andere bereits dieses Glück erfahren oder nicht.

Maitreyas Text „Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ zufolge sind die Objekte, auf die sich der unermessliche Gleichmut hin ausrichtet, die begrenzten Wesen, die Anhaftung oder Abneigung gegenüber anderen besitzen, weil sie andere dahingehend unterteilen, ob sie ihnen nahe stehen oder sie als fern empfinden. In einer anderen Passage des gleichen Textes spezifiziert Asanga den Geist, der störende Emotionen besitzt, als Objekt des unermesslichen Gleichmuts. Ein Geist, der sich unter dem Einfluss der störenden Emotionen befindet, kann aber entweder lediglich der Geist des Meditierenden sein, oder auch auf den Geist aller anderen Wesen.

Asanga bestätigt mit der Darstellung des Gedankens: „Möge alle begrenzten Wesen Nutzen erfahren“, der den unermesslichen Gleichmut begleitet – wie er sich in seinem Werk „Eine Anthologie spezieller Themen des Wissens“ findet – , dass es hier zwei Erscheinungsformen des Gleichmuts gibt, da die Aussage in zweierlei Weise interpretiert werden kann. Eine Interpretation lautet: „Mögen die begrenzten Wesen gleichermaßen Nutzen erfahren“, und weist so auf den Gleichmut im Geist des Meditierenden hin. Die andere mögliche Interpretation lautet: „Mögen die begrenzten Wesen Nutzen erfahren, indem sie selbst Gleichmut entwickeln“.

Tsongkhapa zeigt deshalb in seinem Werk „Eine umfassende Darstellung der aufeinander folgenden Stufen des Pfades“ (tib. Lam-rim chen-mo) zwei Arten von unermesslichem Gleichmut auf. Die eine Art ist frei von Anhaftung und Ablehnung, und ist mit einer ausgewogenen Geisteshaltung auf andere hin ausgerichtet. Dies stimmt mit den Darstellungen der Theravada-Tradition, der Nichiren-Tradition, und der Vaibashika-/Sautrantika-Schule überein. Die andere Form von Gleichmut wünscht sich hauptsächlich, dass andere Gleichmut besitzen mögen, der frei von Anhaftung und Ablehnung ist. Auch hier führen verschiedene Texte innerhalb der mannigfaltigen tibetisch-buddhistischen Traditionen die eine oder andere Form des Gleichmuts an.

Die vier unermesslichen Geisteshaltungen als Geisteshaltungen, die zur Entwicklung von Bodhichitta hinführen

Unterschiedliche Texte innerhalb der verschiedenen tibetisch-buddhistischen Traditionen weichen außerdem auch dahingehend voneinander ab, wo die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen innerhalb des Bodhisattva-Pfades seinen Platz findet. Einige Texte folgen Maitreyas Darstellung, die sich in Maitreyas Texte „Filigranschmuck der Verwirklichung“ und „Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ wiederfindet. Dort findet die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltung nach der Entwicklung von Bodhichitta ihren Platz, und zwar als eine der Praktiken mit der sich Bodhisattvas befassen, um die Erleuchtung zu erlangen und alle Wesen zur Reife zu bringen. Andere Texte folgen der Darstellung, wie sie der im späten 10. Jahrhundert lebenden indischen Meister Atisha gegeben hat. In seinen beiden Texten „Selbstkommentar zu den schwierigen Punkten der Lampe für den Pfad zur Erleuchtung‘“ (Tib. Byang-chub lam-gyi sgron-me'i dka'-'grel, Skt. Bodhimargapradipa-panjika) und „Kurzgefasst formulierte Methode zum Erlangen des Mahayana-Pfades“ erklärt Atisha, dass die vier unermesslichen Geisteshaltung vornehmlich dazu da sind, eine erleuchtende Bodhichitta-Ausrichtung zu entwickeln.

Noch vor dieser Äußerung in dem erstgenannten dieser beiden Texte, zitiert Atisha einen langen Abschnitt aus dem „Sutra, das von der Arya Akshayamati gelehrt wurde“, der das oben angeführte Zitat enthält. Daher können wir vielleicht vermuten, dass Atisha mit der Reihenfolge der vier unermesslichen Geisteshaltungen, wie sie in diesem Sutra gefunden wird und die mit der unermesslichen Liebe beginnt, übereinstimmt. Nichtsdestotrotz verändern viele der tibetischen Texte, die Atishas Ausführungen in Bezug auf die Anordnung der Meditation folgen, die Reihenfolge dieser vier in Geisteshaltungen und setzen den unermesslichen Gleichmut an erste Stelle.

Beispiele der Nyingma-Tradition, in der die Meditation über die vier Unermesslichkeiten nach (Vorgabe von) Atisha noch vor der Bodhichitta-Praxis angeordnet wird und mit der Entfaltung von Gleichmut begonnen wird

„Ruhe und Erholung in der Natur des Geistes“ von Longchenpa

Innerhalb der Nyingma-Tradition folgt der im 14. Jahrhundert lebende Meister Longchenpa (tib. Klong-chen-pa Dri-med ‘od-zer) den Erklärungen von Atisha. Longchenpa präsentiert in seinem Werk „Ruhe und Erholung in der Natur des Geistes“ (tib. Sems-nyid ngal-gso; engl. Rest and Restoration in the Nature of the Mind; Kindly Bent to Ease Us, „Gütig geneigt, um uns zu besänftigen“) eine ausführliche Erläuterung der vier unermesslichen Geisteshaltungen als eine vorbereitende Praxis zur Entwicklung von Bodhichitta. Er legt dar, dass die vier unermesslichen Geisteshaltungen, obwohl ihre traditionelle Reihenfolge Liebe, Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut ist, keine festgelegte Reihenfolge der Praxis haben. Für Anfänger ist es passender, zunächst über Gleichmut zu meditieren; ansonsten werden die anderen drei Geisteshaltungen parteiisch sein und sich nicht in gleicher Weise zu jedem Wesen hin erstrecken. Wenn das der Fall sein sollte, würden die vier unermesslichen Geisteshaltungen lediglich samsarische Ergebnisse hervorbringen.

Die definierenden Eigenschaften der vier unermesslichen Geisteshaltungen lauten:

  • der unermessliche Gleichmut ist ein Geist, der gegenüber jedem Wesen gleich fühlt;
  • die unermessliche Liebe ist der Wunsch, dass alle Wesen glücklich sein mögen;
  • das unermessliche Mitgefühl ist der Wunsch, dass sie frei sein mögen von Leiden;
  • die unermessliche Freude ist der Wunsch, dass sie niemals getrennt sein mögen vom Glück.

Longchenpas Liste dieser definierenden Eigenschaften bringt Asangas Abhandlung der unermesslichen Freude mit Vasubandhus Abhandlung des unermesslichen Gleichmuts zusammen. Longchenpas Ausführungen über die vier Geisteshaltungen offenbaren jedoch einen aussagekräftigen Unterschied zu den zwei indischen Darstellungen.

  • Der unermessliche Gleichmut wird in Stufen entwickelt. Als erstes befreit man sich von den störenden Emotionen der Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit gegenüber allen anderen Wesen, wie auch von jeder Vorstellung, die die einen Wesen als näher stehend und andere als entfernter betrachten würde. Im Fachvokabular der Gelug-Tradition, wie es in dem Buch „Die gesammelten Werke des Tutors Trijang Rinpoche“ (tib. Yongs-’dzin Khri-byang gsung-’bum) verwendet wird, wird die erste Form von Gleichmut als „bloßer Gleichmut“ (tib. btang-snyoms-tsam) bezeichnet: es handelt sich hierbei um den Gleichmut, den Hinayana und Mahayana gemeinsam haben. Die zweite Art von Gleichmut wird entwickelt, wenn man tatsächlich damit befasst ist, anderen zu helfen. Im Fachvokabular der Gelug-Tradition handelt es sich hierbei um die Art von Gleichmut, die ausschließlich im Mahayana entwickelt wird (tib. thun-mong ma-yin-pa’i btang-snyoms). Man entwickelt beide Arten von Gleichmut, indem man darüber reflektiert, dass ein jedes Wesen in zahlreichen vorherigen Leben mal ein Freund gewesen ist, mal ein Feind und mal ein Fremder.

Auf Grundlage dieser zweifachen Art von unermesslichem Gleichmut erzeugt man dann den Wunsch, dass alle Wesen in gleicher Weise frei sein mögen von Anhaftung, Ablehnung, Gleichgültigkeit und der Vorstellung von nah und fern. Longchenpa zeigt folglich beide Arten von Gleichmut auf, wie sie von Tsongkhapa aufgeführt werden: eine ausgewogene Geisteshaltung gegenüber allen anderen Wesen und der Wunsch, dass alle anderen Wesen ebenfalls eine solche Geisteshaltung entwickeln mögen. Auf diese Weise entwickelte man eine ausgewogene Geisteshaltung, und zwar sowohl in Bezug auf sich selbst, als auch in Bezug auf alle anderen Wesen.

  • Die unermessliche Liebe wünscht allen anderen Wesen, dass sie das vorläufige Glück einer besseren Wiedergeburt, und das letztendliche Glück der Erleuchtung erfahren mögen. Diese Liebe ist größer als die Liebe einer Mutter für ihr einziges Kind. Longchenpa zeigt hier auf, dass die unermessliche Liebe weit mehr ist als lediglich der Wunsch danach, dass andere physisches Glück erfahren mögen, wie es Vasubandhu behauptet. Die unermessliche Liebe geht sogar weit über den Wunsch danach hinaus, dass andere Wesen geistiges Glück erfahren mögen, d.h. über den Gedanken hinaus, den man Vasubandhu zufolge hegt, um unermessliche Freude zu entwickeln.
  • Das unermessliche Mitgefühl wünscht, dass alle Wesen frei sein mögen von Leiden; dieser Wunsch wird von demselben Unvermögen das ihr Leiden zu ertragen, begleitet, welches man auch für die eigenen leidenden Eltern empfinden würde. Diese Geisteshaltung bietet allen leidenden Wesen die eigene positive Kraft (Verdienst) der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, wie auch den eigenen Körper und die eigenen Besitztümer als Gabe an, um sie von ihren Schmerzen zu befreien.
  • Die unermessliche Freude basiert auf dem Verständnis, dass es nicht notwendig ist, andere Wesen zu einem Zustand unübertrefflicher Freude zu führen, weil alle Wesen dieses Glück bereits als einen Aspekt ihrer Buddha-Natur besitzen. Daher ist die unermessliche Geisteshaltung der Freude, der Wunsch danach, dass alle Wesen niemals davon getrennt sein mögen, ihr angeborenes Glück zu erkennen. Sie erkennen ihr angeborenes Glück nicht, wenn Unwissenheit die Existenz des angeborenen Glücks verschleiert.

In Übereinstimmung mit den Dzogchen-Belehrungen (tib. rdzogs-chen, große Vollendung) erläutert Longchenpa auch, dass es von jeder der vier unermesslichen Geisteshaltungen zwei Formen gibt. Die eine Form ist mit einem begrenzten Geist (tib. sems) auf alle Wesen ausgerichtet (tib. dmigs-bcas) und ist mit flüchtigen Befleckungen emotionaler und kognitiver Schleier (tib. nyon-sgrib und shes-sgrib) vermischt. Die andere Form geht mit reinem Gewahrsein (tib. rig-pa) einher, und ist nicht in dieser Weise ausgerichtet (tib. dmigs-med). Die letztere unterscheidet sich erheblich von der Darstellung der unausgerichteten Formen der Chittamatra- und Madhyamaka-Schule, wie sie von Tsongkhapa erklärt werden. Nachdem man jede der ausgerichteten Formen der vier Geisteshaltungen entwickelt hat, versucht man der Reihe nach die unausgerichteten Formen jeder der Geisteshaltungen zu entwickeln.

  • Mit unausgerichtetem Gleichmut ruht man im Aspekt des offenen Raumes (tib. klong) des reinen Gewahrseins, der ursprünglich frei ist von allen flüchtigen Befleckungen der störenden Emotionen, wie beispielsweise der Anhaftung und der Ablehnung, und der auch frei ist von Konzepten wie nah und fern.
  • Mit unausgerichteter Liebe ruhte man im Aspekt der Gleichheit (tib. mnyam-nyid) des offenen Raumes des reinen Gewahrseins, die sich mit der Liebe gleichmäßig überallhin ausdehnt.
  • Mit unausgerichtetem Mitgefühl ruht man im vollkommen vertieften (tib. mnyam-bzhag) Aspekt des offenen Raumes des reinen Gewahrseins, die sich auch in die Phase der nachfolgenden Verwirklichung (tib. rjes-thob) mit untrennbarer Offenheit und Mitgefühl ausdehnt.
  • Mit unausgerichteter Freude ruht man im glückseligen Aspekt des offenen Raumes des reinen Gewahrseins.

Nachdem man über die ausgerichteten und unausgerichtetem Formen der vier unermesslichen Geisteshaltungen in der Reihenfolge, die mit dem Gleichmut beginnt, meditiert hat, skizziert Longchenpa weitere Meditationen über diese vier Geisteshaltungen, die nun allerdings mit der Liebe beginnen. Das Praktizieren der traditionellen Reihenfolge der vier Geisteshaltungen hilft dabei, das Greifen nach den ausgerichteten Formen dieser Geisteshaltungen zu verringern, das möglicherweise auftritt.

  • Wenn man durch die ausgerichtete Liebe Anhaftung an jedes Wesen entwickelt wie an seinen Freund, meditiert man über das unausgerichtete Mitgefühl, um die Leiden zu überwinden, die aus den verwirrten karmischen Verwicklungen mit anderen entstehen.
  • Wenn man sich durch ausgerichtetes Mitgefühl zu sehr auf andere als wahrhaft existente Objekte fixiert, meditiert man über die unausgerichteter Freude, um die Depressionen und Ermüdung, die aus dieser Fixierung entsteht, zu überwinden.
  • Wenn der eigene Geist durch ausgerichtete Freude übermäßig aufgeregt und flatterhaft wird, meditiert man über unausgerichteten Gleichmut, um sich von der Anhaftung zu befreien, die einige als nahe stehend und andere als entfernt betrachtet.
  • Wenn man durch ausgerichteten Gleichmut gleichgültig und passiv wird, meditiert man über unausgerichteter Liebe, die sich gleichmäßig zu allen Wesen hin erstreckt.

Wenn die eigene Praxis der vier Geisteshaltungen stabil geworden ist, kann man über die vier in jeder Reihenfolge meditieren.

Longchenpa verbindet die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen auch mit den Praktiken zur Auflösung der fünf störenden Emotionen in ihre zu Grunde liegenden Formen des tiefen Gewahrseins:

  • Liebe fungiert als Umstand dafür, dass Hass und Ärger sich in das zu Grunde liegende spiegelgleiche tiefe Gewahrsein auflösen (tib. me-long lta-bu’i ye-shes).
  • Mitgefühl fungiert als ein Umstand dafür, dass sich sehnsüchtige Begierde und Anhaftung in das zu Grunde liegende individualisierende tiefe Gewahrsein auflösen (tib. so-sor rtogs-pa’i ye-shes).
  • Freude fungiert als ein Umstand dafür, dass sich Eifersucht und Neid in das zu Grunde liegende vollbringende tiefe Gewahrsein auflösen (tib. bya-ba grub-pa’i ye-shes).
  • Gleichmut fungiert als ein Umstand dafür, dass sich Stolz und Arroganz in das zu Grunde liegende gleichsetzende tiefe Gewahrsein (tib. mnyam-pa nyid-kyi ye-shes) auflösen und dass sich Naivität in das zu Grunde liegende tiefe Gewahrsein der Wirklichkeitssphäre (tib. chos-kyi dbyings-kyi ye-shes; tiefes Gewahrsein des Dharmadhatu) auflösen.

Paltrüls „Persönliche Anleitungen meines vollkommen vortrefflichen Lehrers“

Der im 19. Jahrhundert lebende Nyingma-Meister Paltrül (Patrul, tib. rDza dPal-sprul O-rgyan ‘jigs-med chos-kyi dbang-po) folgt in seinem Werk „Persönliche Anleitung meines vollkommen vortrefflichen Lehrers“ (tib. Kun-bzang bla-ma’i zhal-lung; Die vollkommenen Worte meines vortrefflichen Lehrer, auf Deutsch als „Worte meines vollendeten Lehrers“ erschienen) Atishas Punkt in Bezug auf die vier unermesslichen Geisteshaltung als eine vorbereitende Übung zur Entwicklung von Bodhichitta. Daher strukturiert er die Methoden zur Entwicklung einer erleuchtenden Absicht in Übereinstimmung mit den vier unermesslichen Geisteshaltungen und folgt Longchenpa, indem er die traditionelle Reihenfolge dadurch ändert, dass er den Gleichmut an erste Stelle setzt.

Darüber hinaus verbindet Paltrül die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltung mit den meisten Komponenten der siebenteiligen Quintessenz-Lehren von Ursache und Wirkung zur Entwicklung von Bodhichitta (tib. rgyu-’bras man-ngag bdun), die sich aus dem Text „Bodhisattva-Stufen des Geistes” (tib. Byang-chub sems-dpa’i sa, Skt. Bodhisattvabhumi). des indischen Meisters Asanga herleitet. Die folgenden Aspekte werden mittels dieser sieben Stufen entwickelt:

  • Gleichmut,
  • die Erkenntnis, dass alle Wesen in vorherigen Leben die eigene Mutter gewesen sind,
  • sich an die Freundlichkeit in der Mutter zu erinnern,
  • diese Freundlichkeit wert zu schätzen und zu wünschen dass man sie erwidern kann,
  • Liebe,
  • Mitgefühl,
  • einen außergewöhnlicher Entschluss
  • und eine Bodhichitta-Ausrichtung.

Paltrül erläutert:

  • Unermesslicher Gleichmut ist ein Geisteszustand, der frei von Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit gegenüber allen begrenzten Wesen ist und der auch frei davon ist, einige Wesen als nahe stehend zu betrachten und andere als entfernt anzusehen. Der unermessliche Gleichmut gründet sich darauf, zu erkennen, dass alle begrenzten Wesen gleichermaßen in einigen vorhergehenden Leben die eigene Mutter waren, trotzt der Veränderungen der Konstellationen, die seitdem aufgetreten sind.
  • Liebe wird dadurch entwickelt, dass man alle Wesen in der gleichen Weise betrachtet wie Eltern ihre Kinder betrachten – nämlich mit einer herzerwärmenden Liebe (tib. yid-du ‘ong-ba’i byams-pa). Das ist die Liebe, mit der man sich freut, jemanden zu treffen und mit der man Traurigkeit empfindet, wenn dieser Person irgendetwas Schlimmes widerfährt. Man muss zudem daran denken, dass jeder glücklich sein will, genauso wie man selbst glücklich sein will. Die Betonung liegt darauf, dass man anderen gegenüber freundlich ist, insbesondere gegenüber den eigenen Eltern – als Erwiderung ihrer Freundlichkeit.
  • Mitgefühl entsteht dadurch, dass man das Leiden anderer so betrachtet, als wäre es das Leiden der eigenen Mutter. Und daher entsteht es dadurch, dass man andere Wesen so betrachtet, dass sie die eigene Mutter gewesen sind.
  • Freude ist der Geisteszustand, der sich an dem Glück und Wohlstand anderer erfreut und sich, ohne eifersüchtig zu sein, wünscht, dass sie davon noch mehr erfahren mögen. Unermessliche Freude führt zu Bodhichitta, dem Wunsch danach, dass alle begrenzten Wesen das Glück (die Glückseligkeit) der Erleuchtung erfahren mögen.

Beispiele aus der Gelug-Tradition, die der Anordnung von Maitreya und Asanga folgen, in der die vier unermesslichen Geisteshaltungen ihren Platz nach der Entwicklung von Bodhichitta finden und bei denen mit Gleichmut begonnen wird

Der Grund für diese Anordnung

Etliche Texte der Rezitationspraxis innerhalb Gelug-Tradition setzten in ihrer Darstellung der vier unermesslichen Geisteshaltungen gleichfalls den Gleichmut an erste Stelle. Aber sie stellen die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen (erst) nach der Entwicklung einer Bodhichitta-Ausrichtung dar. Hiermit sind sie in Übereinstimmung mit Maitreyas und Asangas Erklärungen. Die beiden am weitesten verbreiteten Praktiken sind:

  • „Ausführliches Yoga in sechs Sitzungen“ (tib. Thun-drug-gi rnal-’byor rgyas-pa) des im 17. Jahrhundert lebenden Meisters, dem Ersten Panchen Lama (tib. Pan-chen Blo-bzang chos-kyi rgyal-mtshan, Pantschen Lama),
  • „Ein Ritualtext vorbereitender Praktiken“ (tib. Byang-chub lam-gyi-rim-pa’i dmar-khrid myur-lam-gyi sngon-’gro’i ngag-’don-gyi rim-pa khyer bde-bklag chog bskal-bzang mgrin-rgyan, sByor-chos; Jorcho; Die Lamrim-Puja) des im späten 19. Jahrhundert lebenden Meisters Dagpo Jampel-lhundrub (tib. Dvags-po Blo-bzang ‘jam-dpal lhun-grub).

Die allgemeinen Verse mit denen man eine sichere Ausrichtung im Leben einschlägt (Zuflucht nimmt) und eine Bodhichitta-Ausrichtung entwickelt, stehen in diesen Texten an erster Stelle: „In Buddha, Dharma und der Höchsten Versammlung suche ich eine sichere Ausrichtung, bis ich in meinen gereinigten Zustand erlangt habe. Durch die positive Kraft meiner Großzügigkeit und so weiter, möge ich die Buddhaschaft verwirklichen, um den umherwandernden Wesen zu helfen.“ Daraufhin folgen die Verse, die zur Entwicklung des anstrebenden Bodhichitta dienen und dann die Verse, mit denen man die Bodhisattva-Gelübde – begleitet vom handelnden Bodhichitta – ablegt. Danach folgt dann der Vers zur Entwicklung der vier unermesslichen Geisteshaltungen.

In dem Text „Befreiung in unseren Händen“ (tib. rNam-grol lag-bcangs) erläutert der im frühen 20. Jahrhundert lebenden Meisters Pabongka (tib. Pha-bong-kha Byams-pa bstan-’dzin ‘phrin-las rgya-mtsho) die Gründe dieser Anordnung als er zum Text von Dagpo Jampel-lhundrub Stellung bezieht wie folgt. Die vier unermesslichen Geisteshaltungen sind keine Praxis, um die Bodhichitta-Ausrichtung zum aller ersten Mal hervorzubringen. Vielmehr stärkt die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen die erleuchtende Absicht, wenn sie bereits entwickelt worden ist. In der Praxis bekräftigt man seine Bodhichitta-Ausrichtung nochmals, und fragt sich dann, warum man bis jetzt noch nicht in die Erleuchtung erlangt hat. Man hat sie deshalb noch nicht erlangt, weil man die vier unermesslichen Geisteshaltungen noch nicht voll entwickelt hat. Diese Reflektion für dann zur Meditation über die vier Geisteshaltungen.

Pabongka erläutert in seinem Kommentar „Die Art und Weise wie man das Yoga der ‚Hunderte von Gottheiten von Tushita’ praktiziert“ (tib. Zab-lam dga’-ldan lha-rgya-ma’i rnal-’byor nyams-su len-tshul snyan-brgyud zhal-shes lhug-par bkod-pa’i man-ngag rin-chen gter-gyi bang-mdzod, Guru-Yoga der Götterscharen von Tushita) noch einen weiteren Grund für diese Anordnung. In eben diesem Kommentar fügt Pabongka dem Text „Hunderte Gottheiten von Tushita“ (Götterscharen von Tushita) die Formulierung der vier unermesslichen Geisteshaltungen von Dagpo Jampel-lhundrub als eine vorbereitende Praxis hinzu. Er erläutert, dass die Praxis der vier unermesslichen Geisteshaltungen nicht nur dabei hilft, dass die Kraft des eigenen Bodhichitta weiter anwächst, sondern dass sie zusätzlich hilft, das eigene Bodhichitta weiterzuentwickeln, indem sie Störungen in Bezug auf das Bodhichitta beseitigen.

Der Text „Ausführliches Yoga in sechs Sitzungen“ des Ersten Panchen Lama

Im Text „Ausführliches Yoga in sechs Sitzungen“ des Ersten Panchen Lama lauten die Formulierungen der vier unermesslichen Geisteshaltungen wie folgt:

  • Für den unermesslichen Gleichmut: „Mögen alle Wesen getrennt sein von (Empfindungen von) Nähe und Distanz, Anhaftung und Ablehnung.“
  • Für unermessliche Liebe: „Mögen sie ein Glück erlangen, dass besonders erhaben ist.“
  • Für unermessliches Mitgefühl: „Mögen sie befreit sein vom Ozean ihrer unerträglichen Leiden.“
  • Für unermessliche Freude: „Mögen sie niemals getrennt sein vom Glück der reinen Befreiung.“

Im Gegensatz zu der Darstellung von Longchenpa und Paltrül wird der unermessliche Gleichmut als ein Geisteszustand beschrieben, der wünscht, dass alle Wesen diesen Geisteszustand besitzen mögen und keine ausgewogene Geisteshaltung, die man gegenüber allen anderen Wesen entwickelt. Da man jedoch in der Menge aller begrenzten Wesen inbegriffen ist, wünscht man auch, dass man selber diesen Gleichmut besitzt. Daher werden in diesem Fall beide Arten von Gleichmut, wie sie von Tsongkhapa erwähnt werden, entwickelt.

„Das Glück, das besonders erhaben ist“ bezieht sich auf den Zustand der Glückseligkeit eines Arya, eines hoch verwirklichten Wesens, das eine einfache, nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit besitzt. Die unermessliche Liebe wünscht sich, dass andere diesen Grad von Glück erfahren mögen, während die unermessliche Freude sich wünscht, dass andere niemals von einem glückseligen Zustand der reinen Befreiung als ein Buddha getrennt sein mögen.

In dem Text „Kurze Anmerkung zu einem erläuternden Diskurs über das ‚Guru-Yoga in sechs Sitzungen’ “ (tib. Thun-drug bla-ma’i rnal-’byor bshad-khrid gnang-ba’i zin-tho mdor-bsdus) macht Pabongka darauf aufmerksam, dass das Erzeugen des unermesslichen Gleichmuts die bindende Praktik (tib. dam-tshig, Skt. samaya) an Ratnasambhava erfüllt, die einem Freiheit von Furcht schenkt. Wenn Wesen von einer Person nicht befürchten müssen, dass er oder sie mit Anhaftung an ihnen hängt, sie mit Ablehnung zurückweist, sie mit Gleichgültigkeit ignoriert, oder andere als ihr oder ihm näher stehend betrachtet, dann hat diese Person ihnen Freiheit von Furcht gegeben. Alle begrenzten Wesen brauchen vor dieser Person keine Furcht zu haben.

Dagpo Jampel-lhundrubs „Ritualtext vorbereitender Praktiken”

Dagpo Jampel-lhundrubs „Ritualtext vorbereitender Praktiken” stellt die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen als einen Weg dar, mit dem man seine Bodhichitta-Ausrichtung verstärken kann, nachdem man bereits Bodhichitta entwickelt hat. In seiner Darstellung beginnt die Abfolge ebenfalls mit dem unermesslichen Gleichmut. Er formuliert wie folgt:

  • Unermesslicher Gleichmut ist der Wunsch danach, dass alle begrenzten Wesen Gleichmut besitzen mögen, der frei von (Gefühlen der) Nähe und Distanz, Anhaftung und Ablehnung ist.
  • Unermessliche Liebe ist der Wunsch danach, dass sie Glück und die Ursachen von Glück erfahren mögen.
  • Unermessliches Mitgefühle ist der Wunsch danach, dass sie getrennt sein mögen von Leiden und den Ursachen des Leidens.
  • Unermessliche Freude ist der Wunsch danach, dass sie niemals getrennt sein mögen vom reinen Glück überragender Wiedergeburtszustände (tib. mtho-ris) und vom Glück der Befreiung.

Bemerkenswert ist, dass die unermessliche Liebe der Wunsch danach ist, dass die begrenzten Wesen nicht nur Glück erfahren mögen, sondern dass sie auch die Ursachen für das Glück erfahren mögen. Unermessliches Mitgefühl ist nicht nur der Wunsch danach, dass die Wesen niemals getrennt sein mögen von Leiden, sondern auch, dass sie niemals getrennt sein mögen von den Ursachen des Leidens. Diese Hinzufügungen stimmen mit den Standard-Formulierungen der unermesslichen Geisteshaltungen überein, wie man sie im Kontext der vier unermesslichen Geisteshaltungen in zahlreichen Texten der Nicht-Gelug-Tradition des tibetischen Buddhismus und in der Bön-Tradition findet.

In Bezug auf die unermessliche Freude fügt Dagpo Jampel-lhundrub zu der Darstellung des Ersten Panchen Lama dieser Unermesslichkeit, die nämlich als der Wunsch danach formuliert wird, dass die begrenzten Wesen, nicht vom Glück der reinen Befreiung getrennt sein mögen, noch den Wunsch hinzu, dass sie niemals getrennt sein mögen vom reinen Glück besserer Wiedergeburtszustände. Indem er dies tut, schließt er das Glück des Erreichens aller drei Stufen spiritueller Ziele eines Praktizierenden mit ein, wie sie in der Lamrim-Tradition der Stufen des Pfadgeistes zu finden sind. Praktizierende mit einem anfänglichen Grad spiritueller Motivation zielen auf eine bessere Wiedergeburt hin ab, insbesondere auf eine kostbare menschliche Wiedergeburt. Praktizierende mit einem mittleren Grad von Motivation zielen auf die Befreiung eines Arhat ab. Praktizierende mit einem fortgeschrittenen Grad an Motivation zielen auf die vollkommene Befreiung der Erleuchtung als ein Buddha ab.

In „Befreiung in unseren Händen“ erläutert Pabongka in Übereinstimmung mit Dagpo Jampel-lhundrubs Ritualtext, dass jede der vier unermesslichen Geisteshaltungen wiederum vier unermessliche Geisteshaltungen beinhaltet. Diese zusätzlichen unermesslichen Geisteshaltungen sind zum Beispiel im Falle des unermesslichen Mitgefühls:

  • Unermessliche Absicht (tib. ‘dun-pa tshad-med), „Wie wunderbar wäre es, wenn alle begrenzten Wesen von Leid und seinen Ursachen getrennt wären.“
  • Unermessliches Anstreben (tib. smon-pa tshad-med), „Mögen sie getrennt sein, vom Leid und seinen Ursachen.“
  • Unermesslicher außergewöhnlicher Entschluss (tib. lhag-bsam tshad-med), „Ich will erreichen, dass sie getrennt sind von Leid und seinen Ursachen.“
  • Unermessliche Bitte (tib. gsol-’debs tshad-med), „Um in der Lage zu sein, das zu erreichen, bitte ich dich, Guru-Gottheit, um Inspiration.“

Dagpo Jampel-lhundrub fächert hier die vier Aspekte der Liebe und des Mitgefühls, die der im frühen 16. Jahrhundert lebende Sakya Meister in seinem Werk „Ein Ornament zur Verschönerung der drei Erscheinungen“ (tib. sNang-gsum mdzes-par byed-pa’i rgyan; engl. A Filigree for Beautifying the Three Appearances; The Beautiful Ornament of the Three Visions; „Der wunderschöne Schmuck der drei Visionen“) darstellt, weiter auf. In Ngorchen Konchog-lhundrubs Darstellung wird der Aspekt des außergewöhnlichen Entschlusses jedoch als Bodhichitta-Aspekt bezeichnet und folgt noch vor dem Aspekt des Anstrebens. Der Aspekt bezieht sich sowohl auf den Guru, als auch auf die Drei Juwelen.

Beispiele dafür, die Meditation nach der Entwicklung von Bodhichitta anzuordnen und mit der Liebe zu beginnen

Die Bön-Tradition

Die Bön-Tradition ist eines der frühesten tibetischen Beispiele dafür, die Meditation über die vier unermesslichen Geisteshaltungen hinter die Entwicklung von Bodhichitta anzuordnen und die traditionelle Reihenfolge der vier unermesslichen Geisteshaltungen beizubehalten, die mit der unermesslichen Liebe beginnt. Darüber hinaus ist dies die früheste tibetische Formulierung der vier unermesslichen Geisteshaltungen, in der die Ursachen für Glück und die Ursachen für Leiden explizit erwähnt werden. Asangas Spezifizierungen, dass das unterscheidende Gewahrsein, das in den drei Arten von Fokus enthalten ist, von den vier unermesslichen Geisteshaltungen begleitet werden muss, impliziert dass man die Ursachen des Glücks und der Ursachen des Leidens versteht. Die indischen Texte scheinen diese Ursachen in ihren Formulierungen der vier Geisteshaltungen jedoch nicht explizit zu erwähnen.

In dem Text „Eine Schatzhöhle“ (tib. mDzod-phug; engl. A Cavern of Treasures), der im frühen 11. Jahrhundert von Shenchen Luga (tib. gShen-chen Klu-dga’) zu Tage gefördert worden ist, werden die vier unermesslichen Geisteshaltungen wie folgt beschrieben:

  • Große Liebe, der Wunsch, dass alle begrenzten Wesen Glück und die Ursachen für Glück finden mögen.
  • Großes Mitgefühl, der Wunsch, dass sie frei sein mögen von Leiden und seinen Ursachen.
  • Große Freude, der Geisteszustand, der sich daran erfreut, wenn sie Glück und dessen Ursachen finden.
  • Großer Gleichmut, die Geisteshaltung, mit der man diese Wünsche unparteiisch zu allen Wesen hin ausdehnt, ohne dass man einige von ihnen als Freunde, Feinde oder Fremde betrachtet.

Die Bön-Tradition stimmt mit dem Theravada-Buddhismus, der Nichiren-Schule und dem Nyingma-Meister Paltrül in Bezug auf die Formulierungen überein, welche die große Freude als einen Geisteszustand beschreibt, der sich an dem Glück anderer erfreut. Obwohl viele tibetische Traditionen und Texte eine Erwähnung der Ursachen des Glücks in der Beschreibung der unermesslichen Liebe und die Ursachen des Leidens in der Beschreibung des unermesslichen Mitgefühls erwähnen, scheint Bön einzigartig in seiner Erwähnung der Ursache für Glück im Kontext der unermesslichen Freude zu sein.

Die Bön-Formulierung des großen Gleichmuts scheint gleichfalls einzigartig zu sein. In anderen Formulierungen, in denen der unermessliche Gleichmut als eine Geisteshaltung von Ausgewogenheit gegenüber allen Wesen beschrieben wird, und in denen seine Entwicklung als letztes in der Reihenfolge der vier Geisteshaltungen kommt, scheint die Betonung darauf zu liegen, sich an die Abfolge der vier Ebenen geistiger Stabilität anzupassen. In der Theravada-Tradition bedeutete Gleichmut, in dem Sinne ausgeglichen gegenüber allen Wesen zu sein, dass man – selbst wenn man ihnen hilft – nicht zu sehr hineingezogen wird oder gleichgültig gegenüber anderen wird, da letztendlich jeder die Befreiung durch sein oder ihr eigenes Bemühen erreichen muss.

In der Nichiren-Schule ist die Entsprechung vom unermesslichen Gleichmut zur vierten Ebene geistiger Stabilität viel näher. Der unermessliche Gleichmut wird dort als ein vollständig beruhigter Geisteszustand beschrieben, der unter allen Bedingungen gegenüber Glück und Unglück ausgewogen ist, wie beispielsweise bei der Begegnung mit Freunden und Feinden. Es handelt sich um einen Geisteszustand der frei von der Geisteshaltung der unermesslichen Liebe, des unermesslichen Mitgefühls und der unermesslichen Freude ist.

In der Bön-Tradition ist der unermessliche Gleichmut andererseits nicht frei von den anderen drei unermesslichen Geisteshaltungen, sondern dehnt die anderen drei unermesslichen Geisteshaltungen eher gleichmäßig zu allen Wesen hin aus. In den Formulierungen der Nyingma-Meister Longchenpa und Paltrül wird jedoch der unparteiische Geisteszustand, der frei ist von einer Vorstellung von Freund, Feind und Fremden, noch vor der Entwicklung unermesslicher Liebe, Gefühl und Freude benötigt, und nicht erst hinterher, um die drei Geisteshaltungen gleichmäßig zu allen anderen Wesen hin auszudehnen.

Die Standardformulierung der Kagyü- und Sakya-Tradition

In der Sakya-Tradition und in den verschiedenen Kagyü-Schulen des tibetischen Buddhismus – Karma Kagyü, Drigung Kagyü, and Drugpa Kagyü – lauten die gebräuchlichsten Formulierungen der vier unermesslichen Geisteshaltungen wie folgt:

  • Für die unermessliche Liebe: „Mögen alle begrenzten Wesen Glück und die Ursachen von Glück erfahren.“
  • Für das unermessliche Mitgefühl: „Mögen alle begrenzten Wesen getrennt sein von Leiden und den Ursachen des Leidens.“
  • Für die unermessliche Freude: „Mögen alle begrenzten Wesen niemals getrennt sein vom reinen Glück, dass ohne jegliches Leiden ist.“
  • Für den unermesslichen Gleichmut: „Mögen alle Wesen in Gleichmut verweilen, und getrennt seien von dualistischen (Gefühlen) von nah und fern, Anhaftung und Ablehnung.“

Die Formulierung der unermesslichen Freude, „Reines Glück, das ohne jegliches Leiden ist“, bezieht sich auf den glückseligen Zustand der reinen Befreiung als ein Buddha, wie in dem „Ausführlichen Yoga in sechs Sitzungen“ des Ersten Panchen Lamas.

Ein Beispiel für das Schema der Karma-Kagyü-Tradition ist die „Sahaja Vajrayogini Sadhana“ (tib. dPal-ldan lhan-cig-skyes-ma rdo-rje rnal-’byor sgrub-thabs dkyil-’khor-gyi-cho-ga gsang-chen mchog-gi myur-lam gsal-ba’i-’dren-pa) des im frühen 16. Jahrhundert lebenden Sechsten Karmapa. Ein Beispiel aus der Sakya-Tradition ist die „Hevajra Sadhana mittlerer Länge“ (tib. dPal kye rdo-rje’i mngon-par rtogs-pa ‘bring-du bya-ba yan-lag drug-pa’i mdzes-rgyan; engl. A Medium-Length Hevajra Sadhana) von Ngorchen Konchog-lhundrub.

Diese Standardformulierung kommt auch in mehreren Gelug-Texten vor. Zum Beispiel in:

  • „Eine Lang-Lebens-Sadhana des Wunsch erfüllenden Rades Tara“ (tib. Kun-mkhyen rGyal-ba bsKal-bzang rgya-mtsho’i lha-tshogs sgrub-skor-las rje-btsun sgrol-ma yid-bzhin ‘khor-lo’i tshe-sgrub; engl. A Long-Life Sadhana of the Wish-Fulfilling Wheel Tara) des im 18. Jahrhundert lebenden Siebenten Dalai Lama (tib. rGyal-ba bsKal-bzang rgya-mtsho),
  • „Eine Vajrapani Mahachakra Sadhana” (tib. bCom-ldan-’das gsang-bdag ‘khor-lo chen-po’i mngon-rtogs dngos-grub kun-gyi gter-mdzod),
  • „Eine Chittamani Tara Sadhana” (tib. rJe-btsun sgrol-ljang bla-med lugs nye-brgyud ‘phags-ma’i zhal-lung tsitta ma-ni-las sgrub-thabs rkyang-pa’i ‘don-sgrigs zur-du bkol-ba),
  • „Ein Yoga der Untrennbarkeit von spirituellem Lehrer und Avalokiteshvara“ (tib. Bla-ma-dang spyan-ras-gzigs dbyer-med-kyi rnal-’byor dngos-grub kun-’byung, engl. A Yoga of the Spiritual Master Inseparable from Avalokiteshvara) von Seiner Heiligkeit dem Vierzehnten Dalai Lama (tib. rGyal-ba bsTan-’dzin rgya-mtsho).

Gleichmut ist in diesen Beispielen eher der Wunsch danach, dass alle begrenzten Wesen Gleichmut erfahren mögen, und nicht so sehr eine ausgewogene Geisteshaltung gegenüber allen Wesen. Gemäß der mündlichen Erklärung von Tsenzhap Serkong Rinpoche (tib. mTshan-zhabs Ser-kong Rin-po-che NGag-dbang blo-bzang thub-bstan stobs-’byor) muss man, nachdem man anderen gewünscht hat, niemals vom reinen Glück (Glückseligkeit) der Erleuchtung getrennt zu sein, darüber reflektieren, warum sie diesen Zustand bislang noch nicht erreicht haben. Das kommt daher, weil sie bislang noch keinen Gleichmut entwickelt haben. Daher wünscht man ihnen, dass sie diese Geisteshaltung entwickeln mögen. Das ist der Grund dafür, dass man den Gleichmut in der Reihenfolge der vier unermesslichen Geisteshaltungen an letzter Stelle anordnet.

Gelug-Varianten

Die verschiedenen Sadhana-Praktiken innerhalb der Gelug-Tradition, die dazu dienen, sich selbst als eine tantrische Buddha-Gestalt zu realisieren, zeigen eine umfangreiche Auswahl voneinander abweichender Formulierungen der vier unermesslichen Geisteshaltungen.

Kalachakra

Im Praxistext „Eine ausführliche Sadhana des Kalachakra Körper-, Sprache- und Geist-Mandalas“ (tib. bCom-ldan-’das dpal dus-kyi ‘khor-lo’i sku-gsung-thugs yongs-su rdzogs-pa’i dkyil-’khor-gyi sgrub-thabs mkhas-sgrub zhal-lung; engl. An Extensive Kalachakra Body, Speech, Mind Mandala Sadhana) des Siebten Dalai Lamas, die im Praxistext „Ein Kalachakra Guru-Yoga in Verbindung mit der Praxis in sechs Sitzungen“ (tib. Thun-drug-dang ‘brel-ba’i dus-’khor bla-ma’i rnal-’byor dpag-bsam yongs-’du’i snye-ma; engl. A Kalachakra Guru-Yoga in Conjunction with Six-Session Practice) von Seiner Heiligkeit dem Vierzehnten Dalai Lama, in Verse gefasst von Ling Rinpoche (tib. Yongs-’dzin Gling Rinpoche Thub-bstan lung-rtogs rnam-rgyal ‘phrin-las), wiederholt werden:

  • Unermessliche Liebe ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen Glück besitzen.“
  • Unermessliches Mitgefühl ist der Wunsch: „Mögen sie frei sein von Leiden.“
  • Unermessliche Freude ist der Wunsch: „Mögen sie die Freude erfahren, immer im Glück (Glückseligkeit) zu verweilen.“
  • Unermessliche Gleichmut ist der Wunsch: „Mögen sie den Gleichmut der Gleichheit (tib. mnyam-nyid) verinnerlichen.“

In den Gedanken für unermessliche Liebe und unermessliches Mitgefühl findet sich keinerlei Erwähnung der Ursachen für Glück und der Ursachen für Leiden. Den mündlichen Erklärungen zufolge, sind diese jedoch einzuschließen

Statt in Bezug auf die unermessliche Freude Asangas Formulierung „Mögen alle begrenzten Wesen niemals getrennt sein von Glück“ zu folgen, folgt der Siebente Dalai Lama Vasubandhus Art sich auszudrücken, „Mögen sie Glück besitzen.“ Indem der Siebente Dalai Lama das Wort „immer“ hinzufügt, impliziert er, dass das Glück, dass man sich mit der unermesslichen Freude wünscht, das nicht-endende glückselige Gewahrsein der Erleuchtung ist.

Die Formulierung des unermesslichen Gleichmuts ähnelt hier auch Vasubandhus Art, den Gleichmut auszudrücken: „Die begrenzten Wesen sind gleich (tib. mnyam-pa).“ Dies erinnert auch an Longchenpas Erörterung, dass der Gleichmut als ein Umstand dafür dient, dass sich Stolz und Arroganz in das zu Grunde liegende gleichsetzende tiefe Gewahrsein (tib. mnyam-pa nyid-kyi ye-shes) auflösen. Der Gleichmut umfasst dann sowohl eine unparteiische Geisteshaltung gegenüber allen anderen Wesen, die frei ist von Anhaftung und Ablehnung, wie auch ein Verständnis dafür, dass jedes Wesen darin gleich ist, leer zu sein von wahrhaft auffindbarer Existenz.

Das Chakrasamvara-Körper-Mandala

In dem Praxistext „Eine gekürzte Sadhana der Ghantapada-Linie des Chakrasamvara-Körper-Mandalas” (tib. Grub-chen Dril-bu-pa’i lugs-kyi ‘Khor-lo bde-mchog lus-dkyil-gyi bdag-bskyed mdor-bsdus) von Trijang Rinpoche (tib. Yongs-’dzin Khri-byang Rin-po-che Blo-bzang ye-shes) finden sich folgende Formulierungen:

  • Unermessliche Liebe ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen das Glück besitzen, das besonders erhaben ist.“
  • Unermessliches Mitgefühl ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen getrennt sein von allen Leiden und den Ursachen des Leidens.“
  • Unermessliche Freude ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen niemals vom Glück (Glückseligkeit) getrennt sein, das sie bereits erlangt haben.“
  • Unermesslicher Gleichmut ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen von allen wurzelgleichen störenden Emotionen und den sekundären störenden Emotionen getrennt sein.“

Trijang Rinpoche gebraucht dieselbe Formulierung für unermessliche Liebe wie der Erste Panchen Lama sie im Praxistext „Ein ausführliches Yoga in sechs Sitzungen“ verwendet hat. Das Glück, das besonders edel ist, bezieht sich auf das glückselige Gewahrsein eines Aryas. Die Ursachen für dieses Glück findet dabei keine Erwähnung. Beim unermesslichen Mitgefühl wird jedoch die gebräuchlichste Formulierung wiederholt und der Wunsch danach, dass andere auch von den Ursachen des Leidens getrennt sein mögen, explizit einbezogen.

Die Formulierung der unermesslichen Freude erinnert an die Spezifizierung, die Maitreya in seinem Text „Ein Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ macht, und zwar dass das Objekt für diese Geisteshaltung die begrenzten Wesen sind, die bereits Glück besitzen. Den mündlichen Erklärungen zufolge bezieht sich „Das Glück, das sie bereits erlangt haben“ auf den glückseligen Zustand eines Buddha. Demnach läuft Trijang Rinpoches Formulierung parallel zu der Formulierung im Text „Ausführliches Yoga in sechs Sitzungen“ des Ersten Panchen Lama, in der die unermessliche Freude anderen wünscht, nicht getrennt zu sein vom Glück der reinen Befreiung.

Die Formulierung des unermesslichen Gleichmuts scheint eine allgemeingültigere Art zu sein, den Wunsch auszudrücken, dass alle begrenzten Wesen den Gleichmut besitzen mögen, der getrennt ist von Gedanken an störende Emotionen von Anhaftung und Ablehnung. Aus der Erwähnung in Maitreyas Text „Ein Filigranschmuck für die Mahayana-Sutras“ scheint sich abzuleiten, dass das Objekt des unermesslichen Gleichmuts, ein Geist ist, der störende Emotionen besitzt. Das scheint auch mit Asangas Erklärungen der Funktion des Gleichmuts übereinzustimmen, wie sie in seiner „Anthologie spezieller Themen des Wissens“ gegeben werden, „dem Geist niemals zu gestatten, unter den Einfluss der wurzelgleichen oder sekundären störenden Emotionen zu geraten und dem Geist keine Gelegenheiten zu bieten, dass Faktoren, die mit Verwirrung (tib. zag-bcas, befleckte Faktoren) verbunden sind, aufsteigen können.“

Asanga legt in diesem Text dar, dass es drei Arten von Gleichmut gibt:

  • eine beeinflussende Variable (tib. ‘du-byed, Skt. samskara), die in dem Aggregat der anderen beeinflussenden Variablen enthalten ist,
  • eine Empfindung (tshor-ba, Skt. vedana) und
  • eine unermessliche Geisteshaltung.

Die oben erwähnte Funktion ist die des Gleichmuts als eine beeinflussende Variable, jedoch nicht die des unermesslichen Gleichmuts. Gleichmut als eine beeinflussende Variable wird von Asanga als ein leistungsfähiger Geisteszustand definiert, der seine Ziele spontan erreicht, ohne unter den Einfluss von Flatterhaftigkeit oder Trägheit zu geraten.

Vajrabhairava und Hayagriva

Eine weitere abweichende Formulierung findet sich in folgenden Texten:

  • „Eine ausführliche Vajrabhairava Sadhana mit 13 Gottheiten“ (tib. dPal rdo-rje ‘jigs-byed lha bcu-gsum-ma’i sgrub-thabs rin-po-che’i za-ma-tog; engl. An Extensive Thirteen-Deity Vajrabhairava Sadhana) des Ersten Changkya (lCang-skya Ngag-dbang blo-bzang chos-ldan),
  • „Eine ausführliche Ekavira Vajrabhairava Sadhana (tib. bCom-ldan-’das dpal rdo-rje ‘jigs-byed dpa’-bo gcig-pa’i sgrub-thabs bdud-las rnam-rgyal-gyi ngag-’don nag-’gros blo-dman las dang-po-pa-la khyer bde-bar bkod-pa) von Pabongka,
  • „Eine ausführliche Sadhana der Kyergang-Linie des verborgen verwirklichten Hayagriva“ (tib. sKyer-sgang lugs-kyi rta-mgrin gsang-sgrub-kyi sgrub-thabs rgyas-pa rTa-mchog rol-pa’i zhal-lung).

Dieser Formulierung zufolge ist:

  • Die unermessliche Liebe ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen Glück besitzen.“
  • Das unermessliche Mitgefühl ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen getrennt sein von Leiden.“
  • Die unermessliche Freude ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen niemals getrennt sein von Glück (Glückseligkeit).“
  • Der unermessliche Gleichmut ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen in Gleichmut verweilen, unbeeindruckt durch konzeptuelle Gedanken über die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens oder unbeeindruckt durch das Objekt-aufnehmende Bewusstsein und die Objekte, die es aufnimmt.“

Einer mündlichen Erklärung zufolge muss hier jedoch viel ergänzt werden, wie beispielsweise: die Ursachen des Glücks innerhalb des Wunsches der unermesslichen Liebe und die Ursachen des Leidens innerhalb des Wunsches des unermesslichen Mitgefühls. Bei dem Glück, das sich auf die unermessliche Freude bezieht, handelt es sich, obwohl das hier nicht explizit gesagt wird, um das glückselige Gewahrsein eines Buddhas.

Die Formulierung des unermesslichen Gleichmuts scheint, wie auch in der „Sadhana des Chakrasamvara-Körper-Mandalas“, aus Asangas „Anthologie spezieller Themen des Wissens“ zu folgen. Konzeptuelle Gedanken über die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens (tib. ‘jig-rten-gyi chos-brgyad, die acht weltlichen Dharmas) und über das Objekt-aufnehmende Bewusstsein und die Objekte, die es aufnimmt, gehören in den Bereich der Funktion des Gleichmuts als etwas, das den mit Verwirrung verbunden Faktoren nicht gestattet zu erscheinen. Die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens sind: Lob und Kritik, Gewinn und Verlust, die Dinge laufen gut und die Dinge laufen schlecht, gute Nachrichten und schlechten Nachrichten. Konzeptuelle Gedanken bezüglich dieser Angelegenheiten des Lebens, die mit Verwirrung verbunden sind, sind jene die, in Bezug auf die ersten jedes Paares, mit Gefühlen von Aufregung einhergehen und jene, die beim zweiten Aspekt jeden Paares mit Gefühlen von Deprimiert-Sein einhergehen. Unbeeindruckt zu sein von mit Verwirrung verbundenen konzeptuellen Gedanken über das Objekt-aufnehmende Bewusstsein und die Objekte, die es aufnimmt, erinnert an die Chittamatra-Interpretation der unausgerichteten Formen der unermesslichen Geisteshaltungen. Asanga schrieb seinen Text aus dem Blickwinkel der Chittamatra-Schule.

Die Anordnung des Mitgefühls an erster Stelle

Die Luipa-Linie Chakrasamvaras

Eine andere Variante, die man in bei den Gelug-Sadhanas finden kann, ist die Anordnung des unermesslichen Mitgefühls an der ersten Stelle. Zum Beispiel findet sich in dem Praxistext „Eine Sadhana der Luipa-Linie Chakrasamvaras“ (tib. dPal ‘khor-lo sdom-pa lu-yi-pa lugs-kyi mngon-rtogs, engl. A Sadhana for the Luipa Lineage of Chakrasamvara) des Ersten Panchen Lama Folgendes:

  • unermessliches Mitgefühl ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen getrennt sein von Leiden.“
  • Unermessliche Liebe ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen Glück (Glückseligkeit) besitzen.“
  • Unermessliche Freude ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen das Glück (die Glückseligkeit) festigen, das sie bereits erlangt haben.“
  • Unermessliche Gleichmut ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen einen Geist besitzen, der in dem einen Geschmack der übereinstimmenden Natur verweilt (tib. de-bzhin-nyid).”

Auch in der Praxis des Gebens und des Nehmens (tib. gtong-len, Tonglen) erfolgt die Anordnung des Mitgefühls vor der Liebe. Diese Praxis führt dazu, dass man einhergehend mit der Liebe, anderen Wesen Glück schenken möchte und dass man einhergehend mit dem Mitgefühl, anderen ihr Leiden abnehmen möchte. In einem Vers aus dem Text „Zeremonie der Darbringung an den spirituellen Meister“ (tib. Bla-ma mchod-pa, engl. The Guru Puja Offering Ceremony to the Spiritual Master) des Ersten Panchen Lamas, der die Praxis des Gebens und des Nehmens betrifft, geht das mitfühlende Annehmen des Leidens anderer, dem liebenden Geben von Glück voraus. In dem Buch „Befreiung in unseren Händen“ erläutert Pabongka, dass andere Wesen überhaupt kein Glück erfahren können, dass man ihnen möglicherweise mittels Liebe schenkt, wenn man ihnen nicht zuvor auf mitfühlende Art, ihr Leiden abgenommen hat. Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass die Ursachen für Leiden, wie auch die Ursachen für Glück implizit mit eingeschlossen sind, auch wenn sie nicht explizit erwähnt werden.

Der Wunsch danach, dass das Glück anderer, das sie bereits erlangt haben, stabil bleibt – der mit der unermesslichen Freude einhergeht – ist der Wunsch danach, dass sie für immer im glückseligen Zustand eines Buddhas verweilen mögen. Dieser Wunsch ähnelt dem Wunsch der unermesslichen Freude, wie er in der oben bereits erwähnten „Körper-Mandala-Sadhana Kalachakras“ und in der „Körper-Mandala-Sadhana Chakrasamvaras“ zu finden ist.

Die Formulierung des unermesslichen Gleichmuts als den Wunsch danach, dass der Geist anderer Wesen in dem einen Geschmack der übereinstimmenden Natur verweilt, ist der Wunsch danach, dass ihr Geist bei dem Verständnis verweilt, dass alle Wesen gleichermaßen leer von einer unmöglichen Art der Existenz sind. Diese Formulierung stimmt mit der Formulierung über einen, wie wir sie in der „Körper-Mandala-Sadhana Kalachakras“ finden, in der man mit dieser Geisteshaltung anderen wünscht, dass sie den Gleichmut der Gleichheit haben mögen.

Akshobhya

In dem Text „Eine Vajra-Akshobhya-Sadhana“ (tib. bCom-ldan-’das rdo-rje mi-’khrugs-pa’i sgrub-dkyil yongs-su rdzogs-pa’i cho-ga mngon-par dga’- ba’i sgo-’byed, engl. A Vajra Akshobhya Sadhana), die ebenfalls vom Ersten Panchen Lama verfasst worden ist, finden sich folgende Formulierungen:

  • Unermessliches Mitgefühl ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen getrennt sein von Leiden.“
  • Unermessliche Liebe ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen niemals von Glück getrennt sein.“
  • Unermessliche Freude ist der Wunsch: „Mögen alle begrenzten Wesen glücklich (glückselig) mit dem Glück (Glückseligkeit) eines Buddha werden.“
  • Unermesslicher Gleichmut ist der Wunsch: „Mögen alle Wesen mit dem unvergleichlichen Nirvana eines Buddha ins Nirvana übergehen.“

Hier wird die unermessliche Liebe so formuliert, wie gewöhnlicher Weise die unermessliche Freude ausgedrückt wird. Unermessliche Freude ist (bleibt) jedoch immer noch der Wunsch danach, dass andere das Glück oder die Glückseligkeit eines Buddha erfahren mögen. Der unermessliche Gleichmut ist der Wunsch, dass jeder die Erleuchtung eines Buddha erlangen möge, mittels derer sie dann alle anderen gleichermaßen helfen können, und zwar verbunden mit dem Verständnis, dass jeder und alles leer von wahrhaft auffindbarer Existenz ist.

Zusammenfassung

Diese Übersicht machte deutlich, dass es zahlreiche Variationen in Bezug auf das Verständnis, die Formulierung und die Praxis der vier unermesslichen Geisteshaltungen gibt. Die Vielfalt deutet auf eine große Bandbreite von Praktiken hin. Statt die verschiedenen Traditionen als sich widersprechende zu betrachten, können sie die Praxis der vier unermesslichen Geisteshaltungen bereichern, wenn man der mannigfaltigen Spielarten an Formen gewahr ist.

Zusammengefasst kann die unermessliche Liebe den Wunsch danach beinhalten, dass alle begrenzten Wesen:

  • ganz allgemein Glück erfahren mögen,
  • körperliches Glück erfahren mögen,
  • das Glück eines begrenzten Wesen (von jemandem, der bislang noch kein erleuchteter Buddha ist) erfahren mögen,
  • niemals getrennt vom Glück eines begrenzten Wesens sein mögen,
  • das Glück eines Arya zu besitzen mögen,
  • das provisorische Glück einer besseren Wiedergeburten und das letztendliche Glück der Erleuchtung erfahren mögen,
  • irgendeine dieser Arten von Glück und die Ursachen für dieses Glück erfahren mögen.

Das unermessliche Mitgefühl kann den Wunsch danach umfassen, dass alle begrenzten Wesen:

  • getrennt vom Leiden (den drei Arten von Leiden) sein mögen,
  • getrennt vom Leiden und den Ursachen des Leidens sein mögen

Die unermessliche Freude kann umfassen, dass man sich daran erfreut, dass die begrenzten Wesen folgendes erleben:

  • Wohlbefinden und die Bemühung, konstruktiv zu handeln und für die Befreiung zu arbeiten,
  • Wohlstand,
  • Glück im allgemeinen,
  • Glück und seine Ursachen zu finden.

Sie kann auch den Wunsch danach umfassen, dass alle Wesen:

  • geistiges Glück erfahren mögen,
  • die Freude erleben mögen, stets im Glück (dem Glück eines Buddha) zu verweilen,
  • niemals vom Glück getrennt sein mögen,
  • niemals davon getrennt sein mögen, dass sie das ihnen eigene, ihnen innewohnende Glück als ein Teil ihrer Buddha-Natur verwirklichen,
  • niemals getrennt sein mögen von dem Glück höherer Wiedergeburtzustände und der Befreiung,
  • niemals getrennt sein mögen vom reinen Glück eines Buddha,
  • niemals getrennt sein mögen vom reinen Glück (eines Buddha), das frei von Leiden ist,
  • niemals getrennt sein mögen vom Glück (eines Buddha), das man bereits erlangt hat,
  • stabil im Glück (eines Buddha), das man bereits erreicht hat, uu beleiben

Der unermessliche Gleichmut ist ein Geisteszustand der umfasst, dass man

  • ausgeglichen gegenüber allen begrenzten Wesen ist, und zwar in dem Sinne, dass man, sogar wenn man anderen hilft, nicht zu sehr hineingezogen wird oder nicht gleichgültig reagiert, da ja letztendlich jeder durch sein oder ihr eigenes Bemühen Befreiung erlangen muss,
  • in allen Lebenslagen vollkommen ruhig und ausgewogen gegenüber Glück und Unglück, wie auch gegenüber Vergnügen und Schmerz bleibt, unabhängig davon, ob man Freunden oder Feinden begegnet. Gleichzeitig ist man frei von den Geisteshaltungen der unermesslichen Liebe, des Mitgefühls und der Freude,
  • unermessliche Liebe, Mitgefühl und Freude gleichmäßig zu jedem Wesen hin ausdehnt, ohne zu berücksichtigen, ob sie Freunde, Feinde oder Fremde sind,
  • frei von Anhaftung, Ablehnung und Gleichgültigkeit gegenüber anderen ist, wobei man sich weder einigen nah, noch anderen fern fühlt,
  • ein Verständnis davon hat, dass alle begrenzten Wesen gleich sind,
  • den Wunsch hat, dass allen Wesen gleichermaßen begünstigt werden.

Der unermessliche Gleichmut kann auch den Wunsch beinhalten, dass alle Wesen:

  • davon frei sein mögen, sich anderen nah oder fern zu fühlen und auch frei sein mögen von Gefühlen der Anziehung und der Ablehnung,
  • den Gleichmut besitzen mögen, der frei ist von Gefühlen der Nähe und Distanz, der Anziehung und der Ablehnung,
  • den Gleichmut besitzen mögen, der frei ist von dualistischen Gefühlen der Nähe und Distanz, der Anziehung und der Ablehnung,
  • den Gleichmut der Gleichheit besitzen mögen (das gleichsetzende tiefe Gewahrsein, das erkennt, dass alle Wesen gleich sind, in Bezug auf Ihr Bedürfnis frei zu sein von Leiden, und das auch erkennt, dass alle Wesen gleichermaßen leer sind von einer unmöglichen Art des Existierens),
  • frei sein mögen von den wurzelgleichen und sekundären störenden Emotionen,
  • in Gleichmut verweilen mögen ungestört durch konzeptuelle Gedanken über die acht vergänglichen Angelegenheiten des Lebens oder über das Objekt-aufnehmende Bewusstsein und die Objekte, die es erfasst,
  • mit ihrem Geist in dem einen Geschmack der übereinstimmenden Natur (Leerheit) verweilen,
  • mit dem überragenden Nirvana eines Buddhas ins Nirvana eingehen.

Damit die vier Geisteshaltungen unermesslich sind, müssen sie zudem ganz allgemein auf alle begrenzten Wesen ausgerichtet sein oder spezifischer, auf alle Wesen ausgerichtet sein, die gegenwärtig in einer der sechs Wiedergeburtszustände des Bereichs der sinnlichen Begierde wieder geboren werden. Den Erläuterungen der Mahayana-Schulen zufolge müssen die vier Geisteshaltungen um unermesslich zu sein, von den sechs weitreichenden Geisteshaltungen (sechs Vollkommenheiten) begleitet werden und insbesondere mit einer der vier Ebenen geistiger Stabilität einhergehen, wie auch mit einer der drei Arten von unterscheidendem Gewahrsein.

Die Abfolge der vier unermesslichen Geisteshaltungen kann mit Liebe, Gleichmut oder Mitgefühl beginnen. Zudem können die vier Geisteshaltungen in Mahayana-Praktiken ausgeübt werden, um Bodhichitta zu entwickeln oder auch als Methode verwendet werden, das Bodhichitta, das man bereits entwickelt hat, zu verstärken, um Erleuchtung kraftvoller zu erreichen.

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