Äußeres Kalachakra

Kalachakra: Das klare Tantra

Lassen Sie uns kurz ein wenig in das umfangreiche Material des „Kalachakra-Tantra“ selbst hineinblicken. Es ist nicht notwendig, dieses Material in die Tiefe zu studieren, um die Ermächtigung zu nehmen oder als Beobachter teilzunehmen. Nichtsdestoweniger hilft eine gewisse Bekanntschaft mit ihm, eine Wertschätzung für das weite Spektrum der in den Kalachakra-Lehren enthaltenen Themen zu entwickeln und Respekt gegenüber ihrem Nutzen. Dieser alte Text beinhaltet eine große Menge praktischer Ratschläge für Menschen und Gesellschaften, die auch heute noch relevant sind. Er stellt nicht nur eine veritable Enzyklopädie hochentwickelter Techniken zum Erreichen der Erleuchtung dar, sondern auch Denkanstöße gebender Sozialkommentare und wissenschaftlicher Analysen.

Kalachakra wird als das klare Tantra bezeichnet, wohingegen die anderen Anuttarayoga-Tantras als dunkel bekannt sind. Der Hauptgrund für diese Unterscheidung betrifft die vierte Initiation, die uns dazu ermächtigt, die beiden Wahrheitsebenen bezüglich der Wirklichkeit gleichzeitig und direkt wahrzunehmen. Das Kalachakra-System formuliert die beiden Wahrheiten als den Geist des klaren Lichts, erzeugt als unveränderliches glückseliges Gewahrsein der Leerheit von allem, und die Erscheinung, die solch ein Geist auftreten lässt. In anderen Anuttarayoga-Systemen erklären die Worte dieser Ermächtigungsstufe die Einheit beider Ebenen nicht direkt, sondern nur durch Analogie. Die Kalachakra-Ermächtigung andererseits erklärt diese Einheit explizit. Tatsächlich verhält es sich so, dass, obwohl Kalachakra sich in vielen Punkten merklich von anderen Anuttarayoga-Systemen unterscheidet, das Studieren des Kalachakra oft enigmatische Punkte in den Texten dieser Systeme erhellt. Darüber hinaus ist das ganze „Kalachakra-Tantra“ in klarer Sprache geschrieben, anders als die anderen Tantras, die ein ausführliches Schema zur Decodierung der vielen Bedeutungsebenen erfordern, die hinter ihrem knappen, poetischen Stil versteckt sind.

Die Textüberlieferung

Wie wurde „Das Kalachakra-Tantra“ eigentlich geschrieben? Nach der Tradition war Suchandra, der König von Shambhala, der Hauptschüler der ersten Kalachakra-Ermächtigung. Im folgenden schrieb er in seiner eigenen Sprache und in Versform „Das Wurzel-Kalachakra-Tantra“ nieder sowie einen ausführlichen Kommentar hierzu. Interessanter Weise half ihm hierbei ein Grammatiker, der absichtlich einige Fehler in der Metrik und der Verszählung machte. Dies tat er mit dem Ziel, dem König und den Leuten der damaligen Zeit bei der Beseitigung ihrer Anhaftung an Regelmäßigkeit und strenge Formalien zu helfen. Obwohl das Kalachakra-Material mit seinen äußeren, inneren und alternativen Zyklen vor Symmetrie nur so strotzt, ist es wichtig, kein Sklave der Ordnung zu werden und nicht zu erwarten, dass alles im Universum nett und regelmäßig ist oder dass wir immer über alles die Kontrolle haben werden. Wie Sharpa Rinpoche, einer meiner tibetischen Mentoren, einmal sagte: "Symmetrie ist dumm." Denn obwohl sich viele Dinge in dieser Welt tatsächlich zu einander analog verhalten, leben wir in einem Traum falscher Erwartungen, wenn wir darauf bestehen, dass alles inhärent symmetrisch und daher kontrollierbar ist. Bloß weil es fünf hiervon gibt, folgt daraus nicht notwendig, dass es auch fünf davon gibt. Es treten immer unerwartete Ausnahmen auf.

Auf Suchandra folgten sechs Generationen von Königen, bevor Manjushri-Yashas den Thron von Shambhala erbte und der erste einer Folge von fünfundzwanzig Kalki-Herrschern bzw. Hütern der Kaste wurde. Er stellte das „Gekürzte Kalachakra-Tantra“ zusammen und sein Sohn und Nachfolger Pundarika schrieb einen Kommentar hierzu, das „Makellose Licht“. Das sind die zwei Grundtexte, die die Seher Chilupa und Kalachakrapada der Ältere nach Indien brachten und die bis zum heutigen Tag erhalten geblieben sind. Beide haben fünf Kapitel. Die ersten beiden Kapitel betreffen die äußeren beziehungsweise inneren Zeitzyklen, während die letzten drei die alternativen Zyklen darstellen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit der Ermächtigung, das vierte mit der Erzeugungsstufe und das fünfte mit der vollständigen Stufe und dem Erreichen der Erleuchtung. Alle späteren Kommentare folgen diesem fünfteiligen Aufbau. Lassen Sie uns den Inhalt dieser Kapitel im größeren Kontext der reichen Sanskrit- und tibetischen Kalachakra-Literatur betrachten.

Beschreibung des Universums

Das erste Kapitel des „Gekürzten Kalachakra-Tantra“ beginnt mit einer Erklärung der Methoden, mit denen das Wurzel-Tantra konzentriert wurde, und präsentiert den Aufbau dieses Monumentalwerkes. Der Text bereitet dann das Umfeld, indem er erzählt, wie Buddha die erste Ermächtigung dem König Suchandra gegeben hat und wie der König die Lehren nach Shambhala brachte. Für die Lokalisierung von Shambhala benötigt man geographische Studien. Der Kontext hierfür ist die Erörterung des Universums, die in den meisten Kommentaren nun als nächstes folgt.

Die Beschreibung des Universums im Kalachakra weicht ziemlich von denjenigen ab, die im anderen Hauptsystem der buddhistischen Metaphysik präsentiert wird: Dem Abhidharma, den "Themen besonderen Wissens". Es gibt natürlich auch Punkte, die beiden Systemen gemeinsam sind und auch in nichtbuddhistischen indischen Beschreibungen gefunden werden können. Darunter befindet sich die Vorstellung von vielfachen Universen, die alle anfangslose, vierteilige Zyklen der Formierung, der Stabilisierung, der Auflösung und des Leerseins durchlaufen und zwar zu von Universum zu Universum unterschiedlichen Zeiten; weiterhin die Vorstellung, dass jedes Universum einen Zentralberg hat, den Berg Meru, der von Kontinenten, Himmeln und Höllen umgeben wird. Die Hauptunterschiede zwischen den beiden Systemen betreffen die Einzelheiten des vierteiligen Zyklus und die Gestalt und Ausdehnung des Universums, des Berg Meru und der Kontinente.

Es ist bezeichnend, dass der Buddhismus zwei Beschreibungen des Universums vorlegt. Beide sind gültig für ein je unterschiedliches Ziel und in keinem der beiden Fälle ist das Ziel die Navigation eines Schiffes. Dies ermöglicht es dem Buddhismus, die moderne wissenschaftliche Darstellung für den Zweck des Reisens völlig zu akzeptieren. Weiter erlaubt es, im Vorhandensein vieler Porträts keinen Widerspruch zu sehen. Denn die Beschreibung eines beliebigen Phänomens hängt nicht nur vom begrifflichen Rahmen des Autors und seiner Leserschaft ab, sondern auch von der Verwendung, um deren Willen die Beschreibung gegeben wird. Ganz sicher würden wir das Vorhaben, eine bemannte Mission zum Mars zu schicken, in einer anderen Weise den Politikern erklären, die über das Budget entscheiden, als den Ingenieuren, die die Technik entwerfen sollen. Beide Schilderungen der Mission sind dabei richtig, nützlich und notwendig. Die Wertschätzung dieses Punktes hilft uns, die Leerheit zu verstehen. Nichts existiert mit inhärenten Merkmalen aus sich selbst heraus, sodass es nur einen zutreffenden Weg übrigläßt, wie man es konventionell wahrnehmen, erfassen oder beschreiben kann.

Der Sinn des Bildes vom Universum im Abhidharma besteht darin, dem Praktizierenden beim Entwickeln von unterscheidendem Gewahrsein zu helfen, indem man mit komplexen Systemen mit vielfältigen Variablen arbeitet. Der Zweck der Kalachakra-Version ist ein ganz anderer. Hier geht es darum, ein buddhistisches Äquivalent einer vereinigten Feldtheorie zur Verfügung zu stellen, das die Struktur und Arbeitsabläufe des Kosmos, der Atome, des menschlichen Körpers und des Erlebens der Wiedergeburt in einer parallelen Art und Weise erklärt. Die Notwendigkeit dieser vereinigten Theorie besteht darin, dass wir über eine umfassende Grundlage verfügen können müssen, die soviel wie möglich von Samsara abdeckt und auf die wir die Meditationspraktiken des alternativen Kalachakra zum Erreichen von Befreiung und Erleuchtung ausrichten können.

Die Beschreibung der äußeren und inneren Welten mit den Parallelen, die die beiden einigen, offenbart die zugrundeliegende Basis, von der beide herkommen – nämlich den Geist des klaren Lichts. Die Karma-Winde, die die Impulse für die Entfaltung eines bestimmten Universums bereitstellen, stammen vom kollektiven Karma im Geist des klaren Lichts früherer Lebewesen. Diese Geiste des klaren Lichts bleiben auch während der leeren Äonen zwischen den Universumsepochen vorhanden. Ganz ähnlich kommen die Karma-Winde, die die Impulse für das Auftreten einer spezifischen Wiedergeburt bereitstellen, vom individuellen Karma im Geist des klaren Lichts eines bestimmten Lebewesens her. Dieser Geist des klaren Lichts setzt sich ebenfalls fort während der Bardo-Perioden zwischen den Wiedergeburten.

Meditation in Analogie zu den Zyklen, durch die die äußeren und inneren Welten hindurchgehen – und insbesondere in Analogie dazu, wie jeder dieser Zyklen periodisch zu seiner Grundlage des klaren Lichts zurückkehrt -, stellt ein Mittel dar, um zu eben dieser Grundlage vorzudringen. Dies ist ein einzigartiges Merkmal der Anuttarayoga-Tantra-Technik. Sobald man Zugang zum Geist des klaren Lichts hat, ist es möglich, die notwendigen Änderungen durchzuführen – namentlich durch die Ausrichtung auf die Leerheit, um die Verwirrung und deren Instinkte zu eliminieren, die diesen verdecken -, sodass diese Grundlage keine Probleme und Leiden mehr auftreten lässt, die mit den äußeren und inneren Zyklen verbunden sind. Darin liegt der tiefste Grund dafür, dass die Proportionen und die Gestalt des Universums, des menschlichen Körpers und des Mandalas und Körpers der Buddha-Form Kalachakra alle gleich sind.

Raumpartikel und der Ursprung eines Universums

Einer der interessantesten Punkte in der Beschreibung des Universums im Kalachakra ist die Beschreibung von Raumpartikeln. Das „Kalachakra-Tantra“ spricht sehr umfangreich über atomare Partikel und die sechs Elemente – Erde, Wasser, Feuer, Wind, Raum und Bewusstsein bzw. tiefes Gewahrsein. Dieses letzte Element ist nicht physisch und entspricht dem ursprünglichen Geist des klaren Lichts, der Grundlage, aus der sich die anderen gröberen Elemente manifestieren und auf der sie ruhen. Entsprechend zu den fünf gröberen Elementen gibt es fünf Arten von atomaren oder subatomaren Partikeln – Erdpartikel, Wasserpartikel, usw. -, jedes subtiler als das vorhergehende. Am subtilsten sind die Raumpartikel, die die kleinsten Baueinheiten der Materie bilden. Wenn die vier gröberen Partikel manifest sind, dann sind die Raumpartikel der Raum zwischen ihnen.

Diese Raumpartikel sind im Kalachakra stark mit dem Ursprung eines Universums verbunden. Diese Darlegung hat das Interesse der Wissenschaftler geweckt, weil darin bestimmte Punkte enthalten sind, die auf moderne Ideen über die Struktur des Universums bezogen werden können. Alle Universen bestehen aus atomaren Partikeln. Entsprechend der aktuellen Theorie der Wissenschaft begann das Universum mit einem Urknall, dehnte sich mittels Teilchen und Atomen aus, die zunehmend komplexer und zusammengesetzter werden, und zieht sich dann wieder zusammen und endet in einem "Big Crunch". Ähnlich beschreibt Kalachakra Äonen der Formation, in dem sich ebenfalls atomare Partikel miteinander verbinden, gefolgt von Äonen des Andauerns und Äonen der Auflösung.

Was von besonderem Interesse ist, ist die Periode zwischen diesen Zyklen. Im Buddhismus werden diese Perioden als "leere Äonen" bezeichnet. Die Entsprechung, die dem in der modernen Wissenschaft am nächsten kommt, ist die Periode, in der sich eine Galaxie zu einem Schwarzen Loch zusammenzieht. Nach der Beschreibung des Abhidharma existieren die Grundelemente während der leeren Äonen nur in potentieller Form. Die Kalachakra-Lehren sagen allerdings, dass in dieser Periode nur ein Raumpartikel existiert. In diesem Kontext besteht ein Raumpartikel aus einer Spur der gröberen Elementarteilchen eines Universums, die nicht mehr miteinander verbunden sind. Wissenschaftlich ausgedrückt ist dies eine Situation, in der die normalen Gesetze der Physik nicht mehr gelten, wie im Falle eines Schwarzen Lochs.

Ein leeres Äon endet, wenn durch die Kraft karmischer Winde, die von den Handlungen von Lebewesen früherer Äonen stammen, ein Impuls auftritt, der die subatomaren Partikel sich erneut vereinigen lässt und die normalen Gesetze der Physik wieder in Kraft setzt. So ist der Raumpartikel eines bestimmten Universums während des leeren Äons so etwas wie ein superkonzentrierter Kern von dessen Materie, aus dem dessen nächste Expansionsphase wächst. Diese Darstellung ist insbesondere im Lichte der jüngsten Entdeckung interessant, dass ein Schwarzes Loch Strahlung emittiert, wenn Materie in ihm zusammenfällt, und deutet auf eine Beziehung zwischen dem Lebenslauf einer Galaxie und des Universums im allgemeinen hin. Noch faszinierender ist sogar, dass die inneren Kalachakra-Lehren einen parallelen Prozess darlegen, der während dem Erleben jedes Menschen von Tod und Wiedergeburt abläuft.

Der Ort von Shambhala

Genauso wie die moderne Wissenschaft Galaxien und Universen im allgemeinen mit einem Zentrum beschreibt, um das sich alles dreht, stellt auch das Kalachakra jedes Universum mit einer Achse dar, allerdings in Form eines Berges mit Namen Meru. Die Kontinente drehen sich nicht um diesen Zentralberg, umgeben ihn aber im Kreis. Sie verbleiben an ihrem Standort, während Sonne, Mond, Planeten und Sterne über ihnen rotieren. Die Landmasse ist in zwölf Kontinente aufgeteilt, parallel zur Einteilung der Ekliptik in die zwölf Zeichen des Zodiak. Die Ekliptik ist jenes Band am Himmel, durch welches sich die Sonne, der Mond und die Planeten bewegen. Die Nordhälfte des südlichen Kontinents wird in sechs Regionen eingeteilt, in der Art horizontaler Streifen. Indien ist dabei die südlichste, während Shambhala die fünfte ist.

Das erste Kapitel präsentiert im weiteren die Berechnungen für die Länge des kürzesten Wintertages in diesen sechs Regionen. Darauf basierend kann man Shambhala mit der Region um den Kailasch identifizieren, dem Berg in Südwesttibet, der sowohl Hindus wie Buddhisten heilig ist. Dies ergibt Sinn, denn nach tibetischer Etymologie bedeutet Shambhala "Aufenthalt der Glückseligkeit", ein Synonym sowohl für den Hindugott Shiva wie für die Buddha-Form Heruka. Der Hinduismus hält den Kailasch für den Sitz Shivas und der Buddhismus für den Hauptort Herukas. Einige Gelehrte identifizieren die drei Regionen zwischen Indien und Shambhala – Bhotia, Li und Chin – mit Tibet, Khotan und China und nehmen dann an, dass Shambhala irgendwo in Ostturkestan liegt (der Provinz Xinjiang des modernen China), aber das scheint fehl zu gehen. Diese drei Namen werden auch für die Regionen Terai, Kathmandu-Tal und Dolpo in Süd-, Zentral- und Nordwestnepal verwendet. Die Bezeichnung der sechste Region, Himavan bzw. Schneeland, ist ein üblicher Name für Tibet.

Der Kailasch ist aber jedenfalls nicht das wirkliche Shambhala, sondern repräsentiert Shambhala nur auf dieser Welt. Das „Kalachakra-Tantra“ spricht von vier heiligen Orten um den Vajrasana (Bodh Gaya), der Stelle, an der Buddha seine Erleuchtung manifestierte: Der Berg der fünf Gipfel im Osten, der Berg Potala im Süden, Shambhala im Norden und Oddiyana im Westen. Diese sind der Reihe nach die besonderen Orte in Verbindung zu Manjushri, Avalokiteshvara, den Kalki-Herrschern und Guru Rinpoche. Sie können mit dem Wutaischan in Nordchina, der Vindhya-Kette in Südindien, dem Kailasch in Südwesttibet und Swat in Nordpakistan identifiziert werden. Wenn wir diese Orte allerdings aufsuchen, finden wir dort weder diese hohen Wesen noch auch nur archäologische Spuren von ihnen. Wie bereits zuvor erklärt ist die Reise nach Shambhala eine spirituelle, keine physische.

Drohende Invasion

Das erste Kapitel fährt fort mit einer Beschreibung der Geschichte Shambhalas, insbesondere der Zeit des ersten Kalki-Herrschers Manjushri-Yashas, in der sich über dem Land die Drohung einer Invasion durch barbarische Horden zusammenballte. Obwohl es die Lehren des Kalachakra bereits seit siebenhundert Jahren in Shambhala gab, wurden sie hauptsächlich am königlichen Hof studiert und praktiziert. Die meisten Menschen waren Hindus, aber die reinen Prinzipien des Hinduismus waren größten Teils verfallen. Die Unterschiede zwischen den Kasten wurden sehr streng gehandhabt und die Gesellschaft war nicht harmonisch. Der König erkannte, dass wenn die Menschen von einander streng getrennt bleiben würden bis hin, dass bestimmte Gruppen nicht Willens waren, miteinander zu essen oder auch nur irgendwie zu verkehren, es keinen Weg gäbe, der Invasion zu widerstehen. Er entschied sich daher, alle Kasten in eine einzige zu vereinen, indem er alle zu "Vajrabrüdern und -Schwestern" machte. Er verwirklichte dies, indem er die gesamte Bevölkerung in dem riesigen Kalachakra-Mandala-Palast versammelte, den seine Vorfahren im königlichen Garten errichtet hatten, und die Ermächtigung auf diejenigen übertrug, die teilnehmen wollten. Der Rest schaute zu.

Das Ziel des Königs war nicht, alle zum Buddhismus zu bekehren. Vielmehr erklärte er, dass jede Religion die gleichen grundlegenden ethischen Prinzipien lehrt, dass aber, wenn die Menschen ihrer Religion nicht in reiner Weise folgen, sie von diesen Prinzipien abfallen. Als er alle in eine Kaste zusammenführte, rief er seine Leute dazu auf, zu den reinen Lehren ihrer Religion zurückzukehren. Nur mit einer derartigen Grundlage könnten sie der demoralisierenden Bedrohung ihrer Gesellschaft in der besten Weise gegenübertreten. Der Aufruf des Königs zu Einheit und Frieden im Wege der Kalachakra-Initiation ist auch heute noch relevant. Die Beobachter einer Kalachakra-Ermächtigung sind nicht aufgefordert, ihre eigene Religion aufzugeben, sondern gemäß deren Ideale zu leben und in Brüder- und Schwesterschaft sich mit anderen zu vereinigen, die dies ebenfalls tun.

Barbarische Horden

Einige Gelehrte identifizieren die im Kalachakra erwähnten Barbaren mit den Moslems, aber das ist eine übereilte und verantwortungslose Schlussfolgerung. Das Sanskrit Wort für "Barbar", mleccha, bedeutet eine Person, die eine andere Sprache als Sanskrit spricht, Rindfleisch ist und sich grob und ungehobelt verhält. Die Inder haben diesen Begriff für alle Invasoren verwendet, angefangen bei Alexander dem Großen. Wenn wir uns die Weltgeschichte anschauen, dann scheinen tatsächlich Invasionen von Barbaren zyklisch aufzutreten, die spiritueller Freiheit feindselig gegenüberstehen. Obwohl die Kalachakra-Literatur viele Merkmale der Barbaren beschreibt, die darauf hindeuten, dass sie islamisch waren – wie zum Beispiel dass ihre Tradition in Mekka gegründet wurde, dass sie ein Zentrum in Bagdad besitzen, dass die Männer beschnitten werden, dass Frauen Schleier tragen, spezielle religiöse Methoden zur Schlachtung von Herdentieren, usw. – scheint sich dies nicht auf den Islam im allgemeinen zu beziehen.

Während des frühen abassidischen Kalifats und besonders während der zweiten Hälfte des achten und dem Beginn des neunten Jahrhunderts, griffen fanatisch-terroristische Gruppen die orthodoxen sunnitischen Moslemherrscher in Bagdad, Samarkand und in anderen Orten an und versuchten, die Dynastie abzusetzen. Diese Terroristen folgten einer Religion, die sie selbst als Islam bezeichneten, die aber tatsächlich ein Kult war, der die reinen Lehren des Koran mit vielen anderen Doktrinen verfälschte, einschließlich jener des Manichäismus, einer weiteren Religion dieser Zeit. Die Tatsache, dass die Literatur des Kalachakra in der dort aufgeführten Liste der Propheten der Barbaren nicht nur Adam, Moses, Jesus, Mohammed und den zukünftigen Messias, den Mahdi, aufzählt, sondern auch Mani, den Gründer des Manichäismus, deutet darauf hin, dass die Barbaren tatsächlich eine dieser terroristischen Gruppierungen waren. Nach ihrer Niederlage zogen viele von ihnen in das heutige Nordafghanistan, wo sie auf eine multireligiöse Gesellschaft aus Buddhisten, Hindus, Zarathustriern und Moslems trafen. Ihre Ankunft ist sicherlich als eine potentielle Barbareninvasion angesehen worden und ein Aufruf, dass alle in Harmonie zusammenkommen und in reiner Weise den ethischen Prinzipien ihrer eigenen Religion folgen sollen, wäre auch an die örtlichen Moslems gerichtet gewesen. Das ist ein wichtiger Punkt, an den wir uns auch in unserer heutigen Welt erinnern müssen. Jede Religion hat ihr fanatisches, fundamentalistisches, terroristisches Element. Wir müssen darauf achten, nicht die politischen Händel dieser kleinen Störgruppen mit den reinen, ursprünglichen Lehren ihrer Mutterreligion zu vermischen.

Die buddhistische Lösung für barbarischen Terrorismus und Gewalt besteht in einer Gesellschaft, die dem in ethischer Solidarität gegenübertritt. Dieser Zugang ist nicht einzig im Buddhismus zu finden. Heutzutage rufen viele religiöse und politische Führer rund um die Welt zu einer Rückkehr zu den grundlegenden ethischen Werten auf. König Manjushri-Yasha gab seinem Volk den Rat, ihre eigenen Gebräuche und die der Barbaren zu untersuchen. Wenn sie beide ähnlich fänden, dann würden ihre Kinder und Enkel keinen großen Unterschied sehen zwischen den Lebensweisen ihrer Vorväter und denen der Barbaren. Wenn dies der Fall wäre, würden sie viel leichter die Herrschaft der Barbaren akzeptieren. Manjushri-Yashas glaubte, dass wenn wir im Umgang mit Bedrohungen für uns selbst oder unsere Gesellschaft immer sofort gewalttätig werden wir uns in keiner Weise anders verhalten als die wilden Barbaren. Wir müssen nach friedlichen Lösungen suchen.

Bedeutungsebenen Shambhalas

Aus der obigen Diskussion wird klar, dass aus der Sicht eines modernen Historikers Shambhala am wahrscheinlichsten im heutigen Nordafghanistan liegt. Die Tatsache, dass die großen buddhistischen Klöster dieser Gegend den Gepflogenheiten des vorislamischen iranischen Hofs folgten, die zwölf Zeichen des Zodiak rund um die Decke der Haupthalle darzustellen, bringt dieser Hypothese weitere Unterstützung. Gestalten, die die zwölf Tierkreiszeichen repräsentieren, umgeben auch das Kalachakra-Mandala. Daher trifft genau so, wie verschiedene Zielsetzungen nach unterschiedlichen Beschreibungen des Universums verlangen, dies auch für Shambhala zu. Zur Erklärung der Berechnung der Länge des kürzesten Tages im Jahr ist Shambhala die Gegend um den Berg Kailasch. Um historische Zyklen von Invasionen zu erklären ist es Nordafghanistan. Im Zusammenhang mit dem spirituellen Ziel ist es ein Geisteszustand, der nur durch intensive Meditationspraxis erreicht werden kann. Shambhala ist daher lediglich ein Name, der verschiedenen Orten in Beziehung zu bestimmten Anforderungen gegeben wird. Bei letztendlicher Untersuchung kann Shambhala nicht aufgefunden werden.

Die Relevanz des Verständinisses dieses Punktes liegt darin, dass es Argwohn bezüglich Ursprung und Gültigkeit der Kalachakra-Praktiken beseitigt. Die Überlieferung besagt, dass Buddha das Kalachakra vor 2.800 Jahren gelehrt hat und dass es in Shambhala bewahrt wurde und in Indien durch eine in einer Vision erhaltenen Übertragung wiedereingeführt wurde. Den meisten modernen Menschen kommt das eher unglaubwürdig vor und ganz natürlich bezweifeln sie, ob es sich bei Kalachakra um eine authentische Lehre des Buddha handelt.

Der indisch-buddhistische Meister Dharmakirti aus dem siebten Jahrhundert hat klar gemacht, dass wenn eine Lehre mit dem, was der Buddha erläuterte, übereinstimmt und wirksam ist für das Erreichen des aufgestellten Zieles der Befreiung oder Erleuchtung, wir dann sagen können, dass die Quelle der allwissende Geist eines Buddhas ist, ob sie tatsächlich vom historischen Buddha gegeben wurde oder nicht. Für den Zweck, Vertrauen zu einem allwissenden Geist zu erlangen, können wir daher die Quelle der Kalachakra-Lehren als Buddha und Shambhala bezeichnen. Zum Zwecke der historischen Analyse können wir die buddhistischen Klöster des neunten Jahrhunderts in Nordafghanistan als ihre Quelle postulieren. Vom Blickwinkel der Leerheit und des abhängigen Entstehens liegt da kein Widerspruch vor. Da die Kalachakra-Lehren mit anderen vom Buddha gelehrten Systemen übereinstimmen und ihre Praxis ganz gewiss die gewünschten Erfolge zu bringen scheint, wie dies durch Seine Heiligkeit den Dalai Lama und andere zeitgenössische große Kalachakrameister bezeugt ist, können wir versichert sein, dass die Ermächtigung der Eingang zu einem verlässlichen spirituellen Pfad ist.

Die Nutzung von Hindubildern

Um sein Volk zu einen folgte König Manjushri-Yashas dem Beispiel des Buddha, indem er die Sprache und Metaphern der Zuhörerschaft benutzte, die er unterwies. Da die Mehrheit seiner Untertanen Hindus waren, nahm er freimütig von den Bildern, Vorstellungen und der Terminologie der Hindus. Er stilisierte sich selbst und seine Nachfolger zu Kalki-Herrschern. Kalki ist der zehnte und letzte Avatar bzw. Inkarnation des Hindugottes Vishnu, der in der Zukunft als Messias auftreten wird, um in einem apokalyptischen Krieg zu kämpfen. Gemäß den hinduistischen Puranas wird Kalki in Shambhala geboren werden, das in den Bergen des heutigen Uttar Pradesch in Indien lokalisiert wird. Vielleicht hat Manjushri-Yashas den Namen Shambhala lediglich geliehen, um ihn auf sein Königreich zu beziehen, und es wurde tatsächlich nie so genannt. Es ist so gut wie ohne Bedeutung. Der wichtige Punkt liegt darin, dass zur Erreichung friedlicher Zusammenarbeit zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur und Religion es unweise ist zu versuchen, jeden dazu zu zwingen unsere eigene Sprache zu sprechen, unsere eigenen kulturellen Metaphern zu benutzen und zu unserer Religion oder unserem politischen System zu konvertieren. Der Weg andere dazu zu ermutigen, offen im Geist und für Botschaften des Friedens empfänglich zu sein, liegt darin, dass man denjenigen besonderen Aspekten ihrer eigenen Kultur, Religion und politischer Philosophie entspricht, die ganz natürlich mit diesem Ziel zusammenpassen.

Die Vorhersage eines zukünftigen Weltkrieges

König Manjushri-Yashas prophezeite eine barbarische Invasion erneut für das Jahr 2424, in dem antispirituelle Kräfte einen galaktischen Eroberungs- und Zerstörungskrieg führen werden, der nicht auf diesen Planeten begrenzt bleibt. Er gab den Menschen dieser zukünftigen Ära den Rat, sich ebenso zu vereinen wie seine eigenen Untertanen. Er sagte ebenfalls voraus, dass vom fünfundzwanzigsten Kalki-Herrscher angeführte Kräfte aus Shambhala in fliegenden Schiffen eintreffen werden, um den Schlachtenverlauf zu entscheiden und die barbarischen Horden zu besiegen. Auf der Basis dieser Prophezeiung haben einige Leute vorgeschlagen, dass sich Shambhala irgendwo in den Tiefen des Alls befände und dass seine Bewohner sich in fliegenden Untertassen fortbewegen. Als unterstützendes Beweismaterial führen sie an, dass die Aymara Indianer Boliviens und die Zulu Südafrikas glauben, dass vor einigen Jahrtausenden außerirdische Wesen die Wissenschaft der Kalendererstellung und andere wissenschaftliche Errungenschaften auf diesen Planeten brachten. Wir müssen allerdings aufpassen, keine voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen. Obwohl der Buddhismus das Vorhandensein intelligenten Lebens in anderen Teilen des Universums akzeptiert, öffnen wir, sobald wir die Tür für Helden aus den Tiefen des Alls aufmachen, die auf fliegenden Untertassen hereinschnellen, auch die Tür für Hexen, die auf Besenstielen fliegen.

Die Kalachakra-Kommentare erklären, dass man die Kriege gegen die Spiritualität auf zwei Ebenen verstehen muss: Als Invasion äußerer barbarischer Horden und als Angriffe innerer Schwärme barbarischer störender Emotionen und Einstellungen, die angeführt werden von der Verwirrung über die Wirklichkeit. Die verschiedenen vom König erwähnten Waffen und Kräfte, die benutzt werden müssen, um den Sieg davonzutragen, symbolisieren verschiedene durch spirituelle Praxis erlangte Verwirklichungen, wie zum Beispiel Mitgefühl, eine klare Sicht der Wirklichkeit usf. . Diese Kräfte sind im Geist des klaren Lichts beheimatet, der der Aufenthalt der Glückseligkeit ist, genauso wie bei der etymologische Bedeutung von Shambhala.

Der Gelug-Kommentator Kädrubje aus dem fünfzehnten Jahrhundert hat warnend darauf hingewiesen, diese Kriege nicht nur auf einer symbolischen Ebene zu sehen, sondern sich daran zu erinnern, dass sie sich auch auf historische Ereignisse beziehen. Die äußeren, inneren und alternativen Zyklen der Zeit sind alle gleich real. Das dem am nächsten kommende Beispiel im Westen ist der Bericht über den Exodus im Alten Testament. In der mystischen Tradition des Judentums symbolisiert der Exodus den spirituellen Pfad. In die Sklaverei der Verwirrung hineingeboren, müssen wir uns zuerst von den gröbsten Fesseln befreien und dann in der Wüste weiterer spiritueller Praxis umherwandern, bis wir das gelobte Land finden. Dieser Symbolismus basiert auf einem historischen Geschehen und seine Anwendung als Analogie stellt es nicht in Frage, dass das Ereignis tatsächlich stattfand. Das Gleiche gilt für den prophezeiten Krieg der Zukunft.

Kriege verhindern durch Technologieaustausch

Wie geht man am besten mit einem drohenden Krieg um? König Manjushri-Yashas gab den Rat, dass das Teilen der Errungenschaften der eigenen Kultur die Invasoren von ihren barbarischen Wegen abbringen könnte, ohne dass ein Kampf stattfinden müsse. Wenn andere die Vorteile schätzen können, die aus einem kultivierteren Lebensstil folgen, und ihnen diese Fortschritte einfach zugänglich gemacht werden, mag es einfacher für sie sein, ihre gewaltsamen Methoden fallen zu lassen. Der König benutzte als Beispiel das Teilen der wissenschaftlichen und technologischen Kenntnisse Shambhalas mit den Barbaren und warnte davor, diese Kenntnisse geheim halten zu wollen. Der weise Ratschlag des Königs ist auch heute noch von Bedeutung. Universelle Erziehung und gleiche Chancen zur Selbstentfaltung für alle sind die kraftvollste Methode zur Vorbeugung gegen Gewaltkriminalität.

Zur Zeit von König Manjushri-Yasha wurden Tabellen mit den Planetenpositionen zusammengestellt und in Umlauf gebracht, damit die Leute nicht selber die komplizierten Berechnungen erarbeiten mussten. In einigen Gesellschaften dieser Zeit wurde allerdings ebenso verfahren mit dem Hintergedanken, dass die Öffentlichkeit bald die Geschicklichkeit und die Fähigkeit verlieren würde, die Berechnungen selbst durchzuführen. Auf einer Ebene würde dies die Leute dazu zwingen, sich auf die Pandits, die sogenannten "Fachleute", verlassen zu müssen, die ihre Unkenntnis für wirtschaftliche Einnahmen und sozialen Status ausnutzen würden. Auf einer anderen Ebene würde dies die Öffentlichkeit anfällig machen für Täuschungen, da diejenigen, die die Tabellen in Umlauf brachten, sie sehr leicht verfälschen konnten.

Die Anführer jener Tage planten Aufstände und Angriffe auf der Grundlage guter astrologischer Zeichen. Strategien, die auf den Planetenpositionen aus täuschenden amtlichen Tabellen basierten, wären dann fehlerhaft und niemand hätte das Wissen, um sie zu überprüfen und zu korrigieren. Um derartige Ausbeutung zu verhindern war es essentiell, dass die Berechnungen weit zugänglich gehalten wurden, damit sie jeder erlernen konnte. Aus diesen Gründen legt das „Kalachakra-Tantra“ im ersten Kapitel die mathematischen Formeln zur Berechnung der Planetenpositionen, des Zeitpunkts von Finsternissen und für die Herstellung eines Mondkalenders in Verbindung mit dem Sonnenjahr vor.

Heute begegnen wir ähnlichen Gefahren, wenn Leute so abhängig von Taschenrechnern und Computern werden, dass sie nicht mehr fähig sind einfachstes Rechnen durchzuführen. Und wenn wir uns wieder daran erinnern, wie schwer es ist, Computerfehler bei unserer Telefonrechnung oder unserer Kreditfähigkeit zu korrelieren, dann lernen wir die Wichtigkeit der Kenntnis der Öffentlichkeit davon schätzen, wie man Fehlinformationen wieder abhilft.

Genauso wie die Beschreibung des Universums im Kalachakra und in der modernen Wissenschaft nicht deckungsgleich sind, da sie unterschiedlichen Zielsetzungen dienen, korrespondieren auch die Planetenpositionen nicht miteinander, die jeweils von ihnen herstammen. Der Hauptzweck der Astronomie und des Kalenderwesens im Kalachakra ist nicht das Errichten interstellarer Navigationsführungssysteme, sondern das Erhalten astrologischer Informationen. So legte König Manjushri-Yashas dar, dass wenn wir gezwungen sind, in den Krieg zu ziehen, wir astrologische Mittel benötigen, um den besten Zeitpunkt für den Beginn von Feldzügen und Angriffen festzustellen. Dies ist wahr für äußere und innere Schlachten. In diesem Zusammenhang präsentiert das erste Kapitel des „Kalachakra-Tantra“ eine umfangreiche Ansammlung astrologischer Berechnungen und Lehren. Diese stellt die Grundlage eines großen Teils des tibeto-mongolischen Astrologiesystems dar, das sein restliches Material aus der chinesischen Tradition bezieht.

Karma und Astrologie

Da die alternativen Zeitzyklen Methoden sind für unsere Befreiung von der Beherrschung durch äußere und innere Zyklen, also davon, unter der Kontrolle von Karma zu stehen, ist es unabdingbar, die Beziehung zwischen Karma und Astrologie klar zu verstehen. Sonst wird die Astrologie einfach nur unsere Abergläubigkeit verstärken. Zur Zeit von König Manjushri-Yashas hatte die Astrologie zu dem weitverbreiteten Brauch geführt, der Sonne Tier- und sogar Menschenopfer darzubringen, um ein gutes Schicksal zu erlangen. Daher betonte der König, dass die himmlischen Körper die Ereignisse, die im Leben auftreten, nicht verursachen. Aus der buddhistischen Perspektive ist kein Ereignis fest oder vorherbestimmt, sonst wären Befreiung und Erleuchtung nicht möglich.

Jede Person wird mit einer enormen Ansammlung an karmischem Potential geboren, das über anfangslose Lebenszeiten hinweg angesammelt wurde. Ein Geburtshoroskop und die darauf basierenden Voraussagen weisen nur auf ein beherrschendes karmisches Muster hin, mit dem wir geboren wurden. Es gibt noch viele andere Möglichkeiten. Darüber hinaus geht eine astrologische Aufstellung nur mit einer begrenzten Anzahl an Variablen um, wohingegen Karma unendlich komplexer ist. Wie Kädrubje sagte: "Wenn ein Geburtshoroskop alles zeigen würde, dann hätten ein Mensch und ein Hund, die zur gleichen Zeit am gleichen Ort geboren wurden, die gleichen Persönlichkeiten und Erlebnisse." Ganz ähnlich würde an einem glückverheißenden Tag, wenn er für jedermann günstig wäre, niemand irgendwo auf der Welt bei einem Unfall verletzt oder getötet. Was astrologische Konfigurationen zur Verfügung stellen sind lediglich mögliche Umstände für das Reifen geeigneter karmischer Potentiale. Ohne diese Potentiale passiert nichts Besonderes und auch mit ihnen sind manchmal weitere Umstände für ihr Reifen nötig.

Kalachakra-Astrologie

Dies im Geist behaltend, lassen Sie uns kurz das astrologische Material des Kalachakra durchsehen. Wie andere indische Systeme hat Kalachakra bestimmte Merkmale mit der alten griechischen Astrologie gemeinsam. Diese beinhalten die zwölf Tierkreiszeichen und ihre Namen, die Sieben-Tage-Woche mit Tagen, die nach den Himmelskörpern benannt sind, und Darlegungen über die Sonne, den Mond und die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn.

Das „Kalachakra-Tantra“ erörtert auch die nördlichen und südlichen Mondknoten, die als Planeten behandelt werden. Diese Knoten werden in der Hindu-Astrologie Rahu und Ketu genannt und Rahu und Kalagni im Kalachakra-System. Obwohl sowohl die Sonne wie auch der Mond durch jenen Streifen am Himmel ziehen, der als Ekliptik bezeichnet wird, decken sich ihre Umlaufbahnen nicht genau. Die Schnittpunkte dieser beiden sind der nördliche und südliche Mondknoten. Wenn sich bei Neumond Sonne und Mond an einem dieser beiden Punkte am Himmel befinden, kommt es zu einer Mondfinsternis. Wenn bei Vollmond Sonne und Mond sich an den entgegengesetzten Punkten befinden, gibt es eine Sonnenfinsternis. Der Symbolismus der Finsternisse ist eines der Hauptthemen, das sich in den inneren und alternativen Zeitzyklen wiederholt.

Wie schon die Beschreibungen des Universums und die Berechnung der Planetenpositionen unterscheiden sich auch die astrologischen Systeme je nach ihrem Zweck. Die westliche Astrologie analysiert die Persönlichkeit auf der Grundlage eines Geburtshoroskops – den Planetenpositionen in Beziehung zur exakten Zeit und zum exakten Ort der Geburt der jeweiligen Person. Sie sagt die zukünftigen Erlebnisse einer Person voraus, indem sie diese Geburtspositionen damit vergleicht, an welcher Stelle sich die Himmelskörper an verschiedenen Punkten ihres Lebens befinden. Hindu-Systeme berechnen ebenfalls ein Geburtshoroskop, betonen aber die Entfaltung des Lebens einer Person durch Perioden hindurch, die von einander folgenden Planeten regiert werden. Kalachakra teilt die Hindu-Orientation und deren Merkmale, betont aber die voraussagende Astrologie auf der Grundlage der Benutzung des Kalenders selbst zusammen mit ausführlichen Almanachinformationen.

Techniken zur Voraussage der Zukunft

Die Astrologie des Kalachakra unterhält zwei Hauptsysteme, um Voraussagen zu machen. Das erste unterteilt die Ekliptik in siebenundzwanzig Konstellationen anstatt der zwölf, die den üblicheren Tierkreis darstellen. Es ordnet jeder Konstellation und jedem der sieben Wochentage eines der vier Elemente zu – Erde, Wasser, Feuer und Luft bzw. Wind. Indem es das Element des Wochentages mit dem Element der Konstellation vergleicht, in der sich der Mond zu einem bestimmten Tageszeitpunkt befindet, deutet es diese Kombination, um die Gunst des Augenblicks für den Beginn einer Unternehmung wie einer Feldschlacht, einer Meditationsklausur oder des klösterlichen Lebens festzustellen.

Das zweite System wird "aus Vokalen erstehend" genannt. Das Sanskrit-Alphabet hat fünf Vokalfamilien: a, i, selbstlautendes r, u und selbstlautendes l. Diese sind verbunden mit den fünf Elementen in der Reihenfolge Raum, Wind, Feuer, Wasser und Erde. Mit dem Vokal jeder Familie ist ein Diphthong und ein Halbvokal verbunden, so zum Beispiel e und ya mit i, und sie alle haben in die Länge gezogene Formen, zum Beispiel i, ai und ya. Das System verbindet je einen der sich so ergebenden dreißig Vokale mit den dreißig Tagen des Mondmonats. Wenn nun jemand eine Beratung über den Ausgang einer Unternehmung haben möchte, dann lässt er sich von einem Astrologen beraten, der das Element des ersten Vokals des Namens des Klienten mit dem Element des Vokals vergleicht, der dem Tag zugeordnet ist, an dem er die Frage stellt. Das System verbindet auch ein Element mit jeder Richtung. Dergestalt kann sich ein Astrologe ähnlicher Methoden bedienen, um die beste Richtung festzustellen, aus der ein bestimmter General an einem bestimmten günstigen Datum angreifen sollte, oder aus der ein Meditierender an ein Ritualfeuer herangehen sollte, um am Ende seiner Klausur Brandopfer durchzuführen.

Die Darlegung des "aus Vokalen entstehenden" Systems führt zu einer vollständigen phonemischen Analyse des Sanskrit-Alphabets, wobei jeder Buchstabe einem Element zugeordnet wird. Dieses System besitzt ein Gegenstück in den inneren Zeitzyklen, spielt aber eine besonders hervorstechende Rolle in den alternativen Zyklen. Es erstellt die Grundlage für die Analyse scheinbar unsinniger Wörter in Mantras, den als Hilfestellung für die Aufrechterhaltung der Achtsamkeit auf eine Buddha-Form wiederholten Sanskrit-Ausdrücken. Es wird auch benutzt, um "Keimsilben" zu verstehen – Sanskrit-Buchstaben, die entweder Anfangssilben oder Code-Namen für Buddha-Formen oder eines der Elemente darstellen. Wie ein Keim sind sie nur eine Spur von dem, was sie andeuten, und sind das, woraus das Angedeutete entsteht. Während der Ermächtigung und später während der Meditationspraxis stellen wir sie uns wiederholt an bestimmten Punkten in unserem Körper vor und wir erzeugen verschiedene Gestalten und Objekte aus ihnen. Diese ansonsten verwirrenden Visualisationen fangen an Sinn zu machen, wenn wir uns die Verbindung zwischen den Vokalfamilien und den fünf Elementen gegenwärtig halten.

Kriegstechnologie und Friedenstechnologie

Der nächste Abschnitt des ersten Kapitels des „Kalachakra-Tantra“ präsentiert die Technologie für das Bauen von Waffen wie zum Beispiel Katapulten und Flammenwerfern. Einige Leute finden es seltsam, dass ein buddhistischer Text erklärt, wie man einen echten Krieg führt und nicht nur einen symbolischen gegen unsere eigenen Verblendungen. Schließlich lehrt der Buddhismus Gewaltlosigkeit. Wenn Seine Heiligkeit der Dalai Lama die Bedeutung von wahrer Gewaltlosigkeit erklärt, dann gibt er folgendes Beispiel:

Einmal saßen zwei Meditierende an der Seite eines dahinschießenden reißenden Flusses. Da kam ein Verrückter, der vorhatte, hinüber zu schwimmen. Beide Meditierende wussten, dass die Strömung äußerst trügerisch war und dass der Mann ganz sicher untergehen würde. Sie versuchten ihn von der Überquerung abzubringen, aber der Mann wollte keine Vernunft annehmen. Der eine der beiden Meditierenden entschied, dass man nichts tun könne, und begab sich wieder in seine versunkene Konzentration. Der andere stand auf und schlug den Mann bewusstlos, so dass er sich nicht selbst im Fluss umbringen würde. Wer beging einen Akt der Gewalttätigkeit? Es war derjenige Meditierende, der die Möglichkeit scheute, ein Leben zu retten. Wenn alle anderen Mittel zur Beendigung einer drastischen Situation fehlschlagen, dürfen wir daher aus dem Wunsch heraus, das Leiden anderer zu verhindern, und ohne Ärger und Hass nicht zögern, kraftvolle Mittel anzuwenden. Wenn wir so vorgehen müssen wir allerdings Willens sein, die schmerzhaften Folgen unserer Handlungen zu akzeptieren, selbst wenn das die Leiden der Hölle bedeutet. Das ist der Lebenswandel eines Bodhisattva.

Wenn die Schlacht gewonnen ist, dann wird die Kriegstechnologie auf Friedenszwecke hin ausgerichtet. Daher fährt das erste Kapitel fort mit Anweisungen, wie man Karusselle und andere Vergnügungen baut, damit die Leute den Sieg feiern können, sowie dekorative Springbrunnen, um ihren Geist zu entspannen, und Bewässerungssysteme, um die Lebensumstände zu verbessern. Wenn man eine friedliche angenehme Umgebung aufbaut, dann stellt das förderliche Umstände für das Heranwachsen freundlicher Beziehungen zwischen den Menschen zur Verfügung. Einen hohen Grad an Bewaffnung zu unterhalten erzeugt hingegen eher die Umstände für Misstrauen und Angst und dafür, dass sie von den Menschen benutzt wird.

Das Goldene Zeitalter im Kalachakra und das Zeitalter des Wassermanns

Das Kapitel endet mit der Vorhersage eines goldenen Zeitalters, in dem die spirituelle Praxis des Kalachakra blühen wird. Unter Benutzung der Hindu-Namen für die vier Äras eines Weltzeitalters, allerdings mit einer unterschiedlichen Festlegung ihrer Länge, prophezeit es, dass das gegenwärtige Kaliyuga bzw. dunkle Zeitalter mit der Niederlage der barbarischen Kräfte in jenem Krieg enden wird. Die heraufdämmernde neue goldene Ära wird im Jahre 2424 beginnen, einem Datum, das mit nur wenigen Jahren Abweichung mit dem Beginn des astronomischen Zeitalters des Wassermanns übereinstimmt. Die Kalachakra-Literatur nennt es allerdings nicht bei diesem Namen.

Das Datum dieser Änderung des Zeitalters kommt von einem Phänomen her, das als Präzession der Tagundnachtgleiche bezeichnet wird, was sich auf die Rückwärtsbewegung der Tagundnachtgleiche bezieht. In der Astronomie und der Astrologie gibt es zwei üblicher Weise benutzte Tierkreissysteme. Entsprechend dem in allen indischen Traditionen einschließlich Kalachakra benutzten Fixsternsystem ist die Position der Sonne Null Grad Widder, wenn sie sich am Beginn der Konstellation Widder befindet. Dies geschieht nicht jedes Jahr am gleichen Tag. In dem von den Griechen und im Westen benutzten siderischen System ist diese Position mit dem Sonnenkalender verbunden. So wird unabhängig davon, in welcher Konstellation am Himmel die Sonne sich tatsächlich befindet, ihre Position bei der Frühlings-Tagundnachtgleiche in der nördlichen Hemisphäre – dem Tag im Frühling, an dem Tag und Nacht gleich lang sind – als Null Grad Widder bezeichnet. Diese Position bewegt sich am Himmel jedes Jahr leicht rückwärts. Im Moment befindet sie sich in der Konstellation Fische, die dem Widder direkt vorausgeht. Wenn sie in die Konstellation Wassermann eintritt, beginnt das neue goldene Zeitalter dieses Namens. Wenn die Verfechter des New Age ein unmittelbar bevorstehendes Anbrechen des Zeitalters des Wassermanns darlegen, dann verwenden sie astrologische Begrifflichkeiten für die christliche Ansicht des Jahrtausendwechsels.

Die äußeren Zeitzyklen setzen sich auch nach dem Anbruch dieses neuen goldenen Zeitalters fort. Das Universum wird erneut durch vier Äras hindurchgehen und in einem weiteren Kaliyuga enden. An diesem Punkt werden die Lehren des gegenwärtigen Buddha von unserer Kontinent-Welt verschwinden. Die Kalachakra-Lehren werden dann zur nächsten der zwölf Kontinent-Welten kommen und die Zyklen werden sich wiederholen. Damit endet das erste Kapitel des „Kalachakra-Tantra“. Wie wir gesehen haben, bietet es bedenkenswerten Rat für den Weltfrieden, was es äußerst wertvoll erscheinen lässt, es zu studieren, selbst wenn wir an der Ermächtigung als Beobachter teilnehmen und uns nie mit seiner Meditationspraxis beschäftigen werden.

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