Grundvoraussetzungen für die Teilnahme an einer Kalachakra-Initiation

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Die Bedeutung von Tantra und Initiation

Das Wort Tantra bedeutet „ewiger Strom von Kontinuität“. Es gibt drei Ebenen einer solchen Kontinuität:

  • Der ewige Basisstrom ist das individuelle geistige Kontinuum (Geistesstrom) eines jeden begrenzten Wesens (fühlenden Wesens) mit all seinen Faktoren der Buddha-Natur, die Erleuchtung ermöglichen.
  • Der ewige Strom des Pfades ist die Kontinuität der Bodhisattva-Praktiken mit Buddha-Formen (Yidam, tantrische Gottheiten). Diese Praktiken können endlos aufrechterhalten werden, da Buddha-Formen niemals müde oder alt werden und niemals sterben.
  • Der resultierende ewige Strom ist die nie endende Kontinuität der erleuchtenden Körper eines Buddha.

Die Praxis eines Stroms des Pfades reinigt flüchtige Flecken vom Basisstrom einer Person, so dass er sich in einen resultierenden Strom verwandelt. Die Texte, die sich mit diesen Themen beschäftigen, werden ebenfalls Tantras genannt.

Der tibetische Begriff Wang, der üblicherweise mit „Initiation“ übersetzt wird, meint wörtlich eine Ermächtigung. Eine Ermächtigung ist ein Ritual, das komplexe Visualisationen enthält und der Erweckung unserer Buddha-Natur dient. Es ermächtigt uns dazu, dass wir uns selbst als Buddha-Formen visualisieren, in diesem Fall als die Buddha-Form Kalachakra.

Die wichtigsten Faktoren für das Erwecken unserer Potentiale während der Ermächtigung sind: Inspiration (Segen) vom tantrischen Meister zu erhalten und bestimmte Geisteszuständen und Einsichten zu erfahren, die dem Ritual entsprechen.

Die Notwendigkeit, die Ermächtigung zu erhalten

Wenn wir die Kalachakra-Ermächtigung bekommen ermöglicht dies Fortschritt in unserer Praxis mit dieser Buddha-Form indem

  • eine enge Verbindung mit dem tantrischen Meister als einer lebendigen Quelle von Inspiration geknüpft wird;
  • wir mit der lebendigen Tradition verbunden werden, die auf Buddha selbst zurückgeht;
  • die Bodhisattva- und die tantrischen Gelübde übertragen werden, die wir reinhalten müssen, um unserem Verhalten und unserer Praxis die korrekte Form zu geben;
  • verschiedene Blockaden und Hindernisse abgebaut werden;
  • die Faktoren unserer Buddha-Natur aktiviert werden;
  • diese Faktoren verstärkt werden durch das Pflanzen von „Samen“ mittels bewusster Erfahrung von bestimmten Geisteszuständen und Einsichten während des Rituals – wie des glückseligen Gewahrseins von Leerheit in der Gelug-Tradition oder unserer Buddha-Natur in den anderen Traditionen.

Was muss stattfinden, damit die Ermächtigung tatsächlich erhalten wird

Wir erhalten die Kalachakra-Ermächtigung nicht wirklich, bevor wir

  • Respekt für und Vertrauen in die tantrische Methode haben, idealerweise auf einem gewissen Verständnis der Methode basierend;
  • Volles, auf unbestreitbaren Beweisen gründendes Vertrauen in die Fähigkeit unserer tantrischen Meister haben, uns auf dem tantrischen Pfad in korrekter Weise anzuleiten;
  • uns von unserem tantrischen Meister stark inspiriert fühlen;
  • die mit dem Ritual übertragenen Gelübde ablegen und versprechen, sie zu halten;
  • nach bestem Können aktiv an dem Visualisationsvorgang teilnehmen;
  • bewusste Erfahrungen der besonderen Geisteszustände oder Einsichten erlangen, die von unserem tantrischen Meister während der Zeremonie beschrieben werden, auf der uns bis dahin zugänglichen Ebene.

Motivation, die Ermächtigung zu empfangen

Der Nutzen, den wir aus der Teilnahme an einer Kalachakra-Ermächtigung erhalten, hängt von unserer Motivation ab. Im Buddhismus ist mit Motivation unsere Zielvorstellung gemeint: das, was wir durch eine bestimmte Handlungsweise erlangen wollen.

  • Wir können als nichtbuddhistische interessierte Beobachter kommen und allgemein dazu inspiriert werden, eine gütige Person zu werden, besonders durch die vorbereitenden Belehrungen. So können wir teilnehmen, um unsere Hingabe, mit der wir den ethischen Lehren unserer eigenen Traditionen folgen, zu bestärken, wie in der Schilderung der von König Manjushri Yashas gegebenen Ermächtigung für die Bevölkerung von Shambhala. Vielleicht empfinden wir auch das Ermächtigungsritual selbst als Inspiration.
  • Wir können als Buddhisten kommen, die noch nicht bereit dazu sind, Bodhisattva- oder tantrische Gelübde abzulegen, oder die noch nicht ausreichend vorbereitet sind für die Ausübung einer Tantra-Praxis. In diesem Falle können wir Inspiration zum Beschreiten des Sutra-Pfades erhalten. Wir können auch mehr über Tantra lernen wollen während der Ermächtigung, in der Absicht, zu einem späteren Zeitpunkt nach ausreichender Vorbereitung mit dieser Praxis anzufangen.
  • Wir können kommen, um das erste Mal die Bodhisattva-Gelübde abzulegen oder um diese zu bekräftigen, ohne schon bereit dazu zu sein, tantrische Gelübde abzulegen.
  • Wir können kommen, um unsere tantrischen Gelübde, die wir bereits bei früheren Ermächtigungen abgelegt haben, zu bekräftigen, ohne dass wir mit einer Kalachakra-Praxis beginnen wollen und deshalb ohne den Wunsch, tatsächlich die Kalachakra-Ermächtigung zu erhalten. Wenn wir zuvor noch keine tantrischen Gelübde abgelegt haben, können wir sie nicht zum ersten Mal ablegen, ohne gleichzeitig die Ermächtigung zu erhalten.
  • Wir können auch das Ziel haben, sowohl die Gelübde abzulegen, als auch die Ermächtigung zu erhalten, ohne sofort mit der Praxis von Kalachakra zu beginnen: Wir wollen Samen säen für eine zukünftige Praxis, sei es in diesem Leben oder einem zukünftigen. Viele Tibeter nehmen die Ermächtigung mit dieser Motivation oder dieser Zielvorstellung.

Auch wenn wir als Beobachter eine gewisse Inspiration erhalten und diese einen Eindruck in unserem Geist hinterlässt, der in der Zukunft heranreifen kann zu einem Interesse die Ermächtigung zu empfangen, erhalten wir jedoch weder die Ermächtigung noch säen wir Samen, solange wir nicht sowohl Bodhisattva-, als auch tantrische Gelübde mit der vollen Absicht, sie so gut als möglich zu halten, abgelegt haben. Wir legen keine Gelübde ab, indem wir nur dem Ritual beiwohnen. Um Gelübde abzulegen, müssen wir sie bewusst annehmen und versprechen, sie zu halten.

  • Wir können die Gelübde ablegen und die Ermächtigung erhalten, um in der Folge zu versuchen, Kalachakra zu studieren und zu praktizieren, so gut wir es immer können. Wenn wir die Ermächtigung erhalten, müssen wir für den Rest unseres Lebens jeden Tag sechsmal „Der Yoga in sechs Sitzungen“ praktizieren als die in der Gelug-Tradition übliche Verpflichtung aus den tantrischen Gelübden. Wir müssen uns nicht zwingend einer spezifischen Kalachakra-Praxis widmen.

Erforderliche Sutra-Vorerfahrung

Die Kalachakra-Praxis setzt eine solide Erfahrung mit den Bodhisattva-Sutra-Praktiken voraus. Tatsächlich ist Tantra eine Methode, diese zu kombinieren und alle gleichzeitig zu praktizieren. Besonders grundlegend sind ein Verständnis der Vier edlen Wahrheiten und eine tiefe Überzeugung von ihrem Wahrheitsgehalt. Wir brauchen mit anderen Worten die Überzeugung, dass es uns möglich ist, ein wirkliches Aufhören wirklicher Probleme und ihrer wirklichen Ursachen zu erreichen, und dass wir einen wirklichen Pfadgeist erlangen, der zu diesem Ergebnis führt.

Auf dieser Grundlage schließen die Sutra-Praktiken Folgendes ein:

  • Sichere Ausrichtung (Zuflucht)
  • Entschlossenheit, Freiheit zu erlangen (Entsagung)
  • Ethische Selbstdisziplin
  • Konzentration
  • Unterscheidendes Gewahrsein von Leerheit
  • Liebe und Mitgefühl
  • Bodhichitta
  • Andere weitreichende Geisteshaltungen (Vollkommenheiten) wie Großzügigkeit, Geduld und freudige Ausdauer.

Wenn man versucht, Tantra ohne Erfüllung all dieser Voraussetzungen zu praktizieren, kann das zu ernsthaften Fehlern und Problemen führen. Die minimale Anforderung ist eine künstliche Form aller dieser Voraussetzungen – das heißt die Fähigkeit, diese auf einer aufrichtig gefühlten Ebene zu erzeugen, indem man sich auf eine Argumentationskette stützt.

Besondere vorbereitende Übungen

Die Kalachakra-Praxis erfordert auch zumindest in einem gewissen Umfang besondere vorbereitende Übungen, um negative Potentiale zu läutern und positive aufzubauen. Die besonderen vorbereitenden Übungen enthalten meistens Hunderttausend Wiederholungen

  • von Niederwerfungen, in Verbindung mit einem Vers für die Zufluchtnahme und die Bekräftigung von Bodhichitta,
  • des hundertsilbigen Mantras von Vajrasattva zur Reinigung,
  • der Darbringung des Mandala, was symbolisch dafür steht, alles zu geben, um Erleuchtung zu erlangen und anderen von Nutzen zu sein,
  • der Verse oder des Mantras des Guru-Yoga, um unseren Körper, unsere Rede und unseren Geist mit denen der spirituellen Meister zu vereinen, die für uns Buddhas verkörpern.

In der Gelug-Tradition wird das Abschließen der besonderen vorbereitenden Übungen nicht vorausgesetzt, um an einer Kalachakra-Ermächtigung teilzunehmen. Wenn wir aber wünschen, tiefer in die eigentliche Praxis dieses Tantra einzusteigen, benötigen wir zumindest die aufrichtige Absicht, diese vorbereitenden Übungen in naher Zukunft zu vervollständigen.

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